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Arno Pielenz
Kennst du Heinrich von Kleist?

"... mein Leben, das allerqualvollste, das ein Mensch je geführt hat." So schrieb Heinrich von Kleist an eine seinem Herzen nahe stehende Verwandte wenige Stunden, bevor er sich mit seiner Todesgefährtin am Wannsee erschoss. Immer wieder scheiterten seine Lebenspläne. Aber aus diesem unglücklichen Leben erwuchs ein Werk, das ohne Beispiel ist in der Literatur. 

Oktoberlied

Oktoberlied

Theodor Storm

„Er ist ein Meister, er bleibt", urteilte einst Thomas Mann über den bärtigen Norddeutschen des poetischen Realismus. Gemeint ist Theodor Storm, der uns vor allem als Novellenschreiber bekannt ist.
Im Jahre 1848 entsteht das Gedicht „Oktoberlied". Da Storm ein leidenschaftlicher Sänger war, der auch vor schweren Chorsätzen nicht Halt machte, liegt es durchaus im Bereich des Möglichen, dass er die Verse tatsächlich als Liedchen trällerte. Während die übrigen Werke Storms eher von einer gewissen Melancholie getragen werden, klingt aus diesen Zeilen ein ungewohnter Lebensdrang, eine Hoffnung, vielleicht auch Trotz.
Das Jahr 1848 bringt Aufregung. Schleswig-Holstein rebelliert gegen die regierende dänische Krone. Der junge Demokrat Storm verfolgt mit großem Interesse die Bemühungen der Nationalversammlung um eine Verfassung und die Bildung eines parlamentarischen deutschen Staates. Die Wiener Ereignisse im Oktober lassen die Hoffnung schwinden. Der demokratische Flügel steckt in der Sackgasse. Da schreibt Storm dies Gedicht „in natürlicher Opposition gegen die Politik". Daher also der ungewohnte Ton dieser Verse. Storms Blick haftet nicht an der trüben, hoffnungslosen Situation (Nebel, grau), sondern richtet sich auf die Errungenschaften des Jahres (Wein=Ernte) und auf die Hoffnung neu erwachender Kräfte im nächsten Frühling.
Winfried Neubert
 
 

Oktoberlied

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden!

Und geht es draußen noch so toll,
Unchristlich oder christlich,
Ist doch die Welt, die schöne Welt,
So gänzlich unverwüstlich!

Und wimmert auch einmal das Herz -
Stoß an und laß es klingen!
Wir wissen's doch, ein rechtes Herz
Ist gar nicht umzubringen.

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden!

Wohl ist es Herbst; doch warte nur,
Doch warte nur ein Weilchen!
Der Frühling kommt, der Himmel lacht,
Es steht die Welt in Veilchen.

Die blauen Tage brechen an,
Und ehe sie verfließen,
Wir wollen sie, mein wackrer Freund,
Genießen, ja genießen!

 

 

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Bild: Ilias81 "Orographic fog (Aetolia-Acarnania, Greece)"; gemeinfrei, wikipedia

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