"Goethe war ein großer Liebender", sagte mein Deutschlehrer Prof. Bürke. Tatsächlich sind von kaum einem anderen Dichter so viele Liebesbeziehungen bekannt. Sie alle fanden Ausdruck in seinen bedeutendsten Werken. Die Sesenheimer Pfarrerstochter Friedericke Brion regte ihn zu seinen beliebten Gedichten "Mailied" sowie "Willkommen und Abschied" an. Lotte in Wetzlar beeinflusste seinen berühmten Roman "Die Leiden des jungen Werthers", Charlotte von Stein stand bei der "Iphigenie auf Tauris" Patin und war die Adressatin hunderter Liebesbriefe Goethes und Christiane Vulpius verdanken wir u. a. das Liebesgedicht "Gefunden" ("Ich ging im Walde so für mich hin"). In seinem folgenden Gedicht setzt sich Goethe sachlich mit dem Thema Liebe auseinander. "Wunderlich" empfindet er das Buch der Liebe und stellt fest, dass die Seiten der Liebesleiden die der Freuden bei weitem übersteigen. Doch die Lösung des Problems liegt in der Hand bzw. im Herzen der Liebenden.
Florian Russi
Wunderlichstes Buch der Bücher
Ist das Buch der Liebe;
Aufmerksam hab ich's gelesen:
Wenig Blätter Freuden,
Ganze Hefte Leiden;
Einen Abschnitt macht die Trennung.
Wiedersehn! ein klein Kapitel,
Fragmentarisch. Bände Kummers
Mit Erklärungen verlängert,
Endlos, ohne Maß.
O Nisami!1) - doch am Ende
Hast den rechten Weg gefunden;
Unauflösliches, wer löst es?
Liebende, sich wiederfindend.
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1) Nisami (auch Nizami oder Nezami) (1141 - 1209) war ein persischer Dichter
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