Wer ist die selbstbewusste Frau, die zu Goethes Lebzeiten ein uneheliches Kind erwartet und den Namen des Erzeugers nicht preisgeben will? Wir wissen es nicht. Goethe schrieb dieses Gedicht als 26-jähriger während seiner Sturm-und-Drang-Zeit. Es war in dem Jahr, in dem er erstmals nach Weimar kam (im November 1775), aber auch noch in Frankfurt eine Anwaltskanzlei führte. Möglicherweise war die werdende Mutter eine Mandantin von ihm oder eine Dame, die ihm vor Gericht begegnet ist. Sie scheint ihn beeindruckt zu haben.
Uneheliche Schwangerschaft bedeutete in dieser Zeit theologisch eine schwere Sünde, gesellschaftlich eine tiefe Schmach und im praktischen Leben eine beträchtliche Last. Die werdende Mutter weiß es und spricht es direkt an. Aber sie bereut es nicht und bedauert sich nicht selbst, sondern steht zu ihrer Lage. Sie präsentiert sich emanzipiert und lobt den Vater des Kindes, der ihr Geliebter ist oder war. Wer dieser Mann ist, geht nur sie etwas an. Nur eines sagt sie über ihn: Es könnte genau so jemand von höherem Stande, als auch ein einfacher Mann von „nebenan“ sein. Dieser Hinweis ist zugleich eine Abwehrstrategie als auch eine Kritik an der männlichen Doppelmoral: Kritisiert mich nicht, denn der Vater könnte einer von euch sein. Das aber zeigt, wie unmoralisch ihr Männer insgesamt seid.
Sie steht zu ihrem Spross, hat sich offenbar mit dessen Erzeuger geeinigt und will ihr Kind zur Welt bringen. Was braucht sie dazu den Pfarrer oder den Amtmann? Die würden, außer ihr Vorwürfe zu machen, ohnehin nichts für sie tun können.
Goethes Gedicht ist ein Beitrag zur Emanzipation der Geschlechter. Sie aber kam erst 200 Jahre später zum Erfolg, als die Frauen auch bestimmen konnten, ob sie überhaupt schwanger werden wollten.
Florian Russi
Von wem ich es habe, das sag’ ich euch nicht,
Das Kind in meinem Leib.
„Pfui!“ speit ihr aus: „die Hure da!“
Bin doch ein ehrlich Weib.
Mit wem ich mich traute, das sag’ ich euch nicht.
Mein Schatz ist lieb und gut,
Trägt er eine goldene Kett’ am Hals,
Trägt er einen strohernen Hut.
Soll Spott und Hohn getragen sein,
Trag’ ich allein den Hohn.
Ich kenn’ ihn wohl, er kennt mich wohl,
Und Gott weiß auch davon.
Herr Pfarrer und Herr Amtmann ihr,
Ich bitte, lasst mich in Ruh’!
Es ist mein Kind, es bleibt mein Kind;
Ihr gebt mir ja nichts dazu.
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Textquelle: wikipedia
Bildquelle: wikimedia; Goethe (1765) kurz vor seiner Studentenzeit in Leipzig, Ölgemälde von Anton Johann Kern - gemeinfrei