Deutschland-Lese

Gehe zu Navigation | Seiteninhalt
Deutschland-Lese
Unser Leseangebot

Winfried Bütow: Kennst du Heinrich Heine?

Literaturneugierige Leser finden hier in den Texten Heines unerwartet viele Gedanken und Emotionen, die ihnen nahe sind. Die Einblicke in das künstlerisch so abwechslungsreiche Werk Heines machen begreiflich: Er ist ein universeller, ein moderner, ein europäischer Dichter. 

Rückschau

Rückschau

Heinrich Heine

In der Rückschau auf sein Leben preist der Autor im ersten Teil seines Gedichts die vielen Freuden und Genüsse, die es ihm geboten hat, um dann im zweiten ernüchtert festzustellen, dass das schöne muntere Leben doch nicht die ersehnte Erfüllung brachte. Der Schluss des Gedichts ist resignativ. Der ungläubige Dichter will nicht einmal ausschließen, dass es ein Jenseits gibt.
Krank ans Bett gefesselt wird Heine zum Moralisten, versucht dann aber noch die Kurve zu kriegen und seinen bisherigen Einstellungen treu zu bleiben, indem er zu seinen "christlichen Brüdern" Distanz hält.

Florian Russi

 

Rückschau

 

Ich habe gerochen alle Gerüche
In dieser holden Erdenküche;
Was man genießen kann in der Welt,
Das hab ich genossen wie je ein Held!
Hab Kaffee getrunken, hab Kuchen gegessen,
Hab manche schöne Puppe besessen;
Trug seidne Westen, den feinsten Frack,
Mir klingelten auch Dukaten im Sack.
Wie Gellert ritt ich auf hohem Roß;
Ich hatte ein Haus, ich hatte ein Schloss.
Ich lag auf der grünen Wiese des Glücks,
Die Sonne grüßte goldigsten Blicks;
Ein Lorbeerkranz umschloß die Stirn,
Er duftete Träume mir ins Gehirn,
Träume von Rosen und ewigem Mai -
Es ward mir so selig zu Sinne dabei,
So dämmersüchtig, so sterbefaul -
Mir flogen gebratne Tauben ins Maul,
Und Englein kamen, und aus den Taschen
Sie zogen hervor Champagnerflaschen -
Das waren Visionen, Seifenblasen -
Sie platzten - Jetzt lieg ich auf feuchtem Rasen,
Die Glieder sind mir rheumatisch gelähmt,
Und meine Seele ist tief beschämt.
Ach jede Lust, ach jeden Genuß
Hab ich erkauft durch herben Verdruß;
Ich ward getränkt mit Bitternissen
Und grausam von den Wanzen gebissen;
Ich ward bedrängt von schwarzen Sorgen,
Ich mußte lügen, ich mußte borgen
Bei reichen Buben und alten Vetteln -
Ich glaube sogar, ich mußte betteln.
Jetzt bin ich müd von Rennen und Laufen,
jetzt will ich mich im Grabe verschnaufen.
Lebt wohl! Dort oben, ihr christlichen Brüder,
Ja, das versteht sich, dort sehn wir uns wieder.

 

---
Bildquelle: Heinrich Heine 1831, gemeinfrei, wikipedia

Weitere Beiträge dieser Rubrik

Der Tod und das Mädchen
von Matthias Claudius
MEHR
Schlussstück
von Rainer Maria Rilke
MEHR
Anzeige
Unsere Website benutzt Cookies. Durch die weitere Nutzung unserer Inhalte stimmen Sie der Verwendung zu. Akzeptieren Weitere Informationen