Das folgende Gedicht verfasste der Dichter und Journalist Georg Herwegh im Jahr 1864 für den von Ferdinand Lasalle geführten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV), eine der Gründungsorganisationen der SPD.
Es ist ein Kampfgedicht, das sich an die Arbeitnehmer richtet, die um die Früchte ihrer Mühen betrogen werden. Sie sind aufgefordert, einen Bund zu bilden und sich ihrer Macht bewusst zu werden. Die Aussage gipfelt in dem berühmt gewordenen Satz. „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.“
Florian Russi
Bundeslied
Bet und arbeit ruft die Welt
bete kurz! denn Zeit ist Geld
An die Türe pocht die Not
bete kurz! denn Zeit ist Brot
Und du ackerst und du säst
und du nietest und du nähst
und du hämmerst und du spinnst –
sag mir doch, was du gewinnst
Wirkst am Webstuhl Tag und Nacht
schürfst im Erz- und Kohlenschacht
füllst des Überflusses Horn
füllst es hoch mit Wein und Korn
Doch wo ist dein Mahl bereit?
Doch wo ist dein Feierkleid?
Doch wo ist dein warmer Herd?
Doch wo ist dein scharfes Schwert?
Alles ist dein Werk! o sprich
alles, aber nichts für dich
Und von allem nur allein
schmiedest du die Kette dein?
Kette, die den Leib umstrickt
die dem Geist die Flügel knickt
die am Fuß des Kindes schon
klirrt – o Volk, das ist dein Lohn
Menschenbienen, die Natur
gab sie euch den Honig nur?
Seht die Drohnen um euch her!
Habt ihr keinen Stachel mehr?
Mann der Arbeit, aufgewacht
Und erkenne deine Macht
Alle Räder stehen still
wenn dein starker Arm es will
Deiner Dränger Schar erblaßt
wenn du, müde deiner Last
in die Ecke lehnst den Pflug
wenn du rufst: Es ist genug
Brecht das Doppeljoch entzwei
Brecht die Not der Sklaverei
Brecht die Sklaverei der Not
Brot ist Freiheit, Freiheit Brot
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Vorschaubild: Foto der Delegierten und Gäste (vermutlich vom 23.5.1863 unmittelbar vor der Gründung des ADAV 1863), Scan, Urheber: Machahn via Wikimedia Commons Gemeinfrei.