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Friedrich W. Kantzenbach
Wüsst ich Dinge leicht wie Luft

Dieses Gedichtsbändchen ist liebevoll gestaltet und mit Fotos versehen. Es wendet sich an Leser, die bereit sind, aufmerksam hinzuhören und sich einzulassen auf die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Schicksal.

Der Vogelschiss

Der Vogelschiss

Florian Russi

Ein Land war mehrere Jahre von einem Diktator regiert worden. Er war egomanisch, größenwahnsinnig und verbrecherisch, hatte ungezählte seiner eigenen Landsleute verfolgen, foltern und töten lassen und seine Nachbarländer mit einem grausamen Krieg überzogen. Als er schließlich scheiterte und starb, hinterließ er ein zerstörtes und verwüstetes Land mit einer Bevölkerung, die Hunger und Not litt und eine Strecke von Millionen und Abermillionen Toten und Ermordeten.

Als seine Schreckensherrschaft endlich vorbei war, fragten sich viele Menschen, wie solche Verbrechen möglich waren und welchen Anteil sie selbst oder ihre Familien daran hatten. Ein Mensch allein, das war allen klar, konnte solch eine Barbarei nicht begangen haben.

Einen Politiker des Landes aber plagten keine Schuldgefühle. Er wollte auch die Jugend des Landes nicht mit dessen grausamer Geschichte belasten. Deshalb trat er hervor und erklärte: „Insgesamt war unsere Vergangenheit glorreich und Anlass zu großem Stolz. Die Zeit der Diktatur war nur ein Vogelschiss der Geschichte.“

In der glorreichen Vergangenheit hatten Kaiser, Könige und Fürsten über das Land geherrscht. Auch sie hatten Kriege geführt, viele Menschenleben missbraucht, Kolonien errichtet und andere Völker unterdrückt und ausgerottet. Doch was diese Verbrechen anbelangt war es für die meisten Landsleute viel bedeutsamer, dass in den vorausgegangenen Jahren ein Lustmörder 10 Menschen mit einem Hackebeil zerstückelt hatte.

Viele der jungen Leute, die dem Politiker zugehört hatten, fanden ihn faszinierend und einige von ihnen begleiteten ihn wenig später bei einer Wanderung. Da wollte es der Zufall, dass ein großer Vogel über die Wandergruppe hinwegflog und seinen Kot abließ, der ausgerechnet auf dem Kopf des Politikers landete. Niemand in der Gruppe hatte ein Tuch dabei, um den Kot wegzuwischen. So entschied sich der Politiker generös, bis zum Zielort der Wanderung durchzuhalten und erst dann den Vogelschiss gründlich zu beseitigen.

So tat man es. Doch nach einigen Tagen musste der Politiker feststellen, dass sich an der Stelle, wo der Schiss auf seinem Kopf gelandet war, eine auffällige Rötung zeigte. Als die sich nicht zurückentwickelte und der Politiker zunehmend Schmerzen in seinem Kopf fühlte, suchte er einen mit ihm befreundeten Arzt auf, der mehrere Laboruntersuchungen vornehmen ließ. Im Ergebnis stelle er fest: „Du hättest früher zu mir kommen sollen. Der Kot des Vogels enthielt eine ätzende Flüssigkeit, die erst deine Kopfhaut und dann dein Gehirn angegriffen hat. – Hättet ihr ihn nicht eher zu mir schicken können?“, fragte er die jugendlichen Begleiter sowie die Familie und Freunde des Politikers. „Nein“, antworteten die. „Wir hatten bei ihm keine Veränderungen in seinem Verhalten festgestellt.“

Fazit:  Ein Vogelschiss kann viel Unterschiedliches bewirken. Es kommt immer darauf an, wen und wohin er trifft.

 

*****

Vorschaubild: illustrations/taube-friedenstaube-taubenschlag-7094407/, Urheber: Gerd Altmann auf Pixabay.

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