[...] Den Bereich der Haltungen, welche die Figuren zueinander einnehmen, nennen wir den gestischen Bereich. Körperhaltung, Tonfall und Gesichtsausdruck sind von einem gesellschaftlichen „Gestus" bestimmt: die Figuren beschimpfen, komplimentieren, belehren einander usw. [...]
(Kennst du Bertolt Brecht? S. 53)
In der witzigen Kurzgeschichte „Kritik" führt Brecht seine theoretischen Auffassungen am Textbeispiel vor.
KRITIK
In der Münzstraße rief mir vor einigen Wochen ein Mädchen, das allein unter einem Torbogen stand, folgende sechs Worte entgegen: „Lang ist modern! Nicht kurz!! Bitte!!!"
Bei den Worten: Lang ist modern! vollführte sie mit der rechten Hand eine lange, zunächst abwärts und dann dem Trottoir parallel streichende Geste,
als wolle sie mich einladen, eine Schleppe zu tragen.
Die Worte: Nicht kurz!! begleitete sie, indem sie mir ihren Handrücken in der Höhe meines und ihres Gesichtes etwa einen Dezimeter weit ruckartig entgegenführte, ihn in der Luft eine Sekunde stehen ließ, den Kopf schräg nach vorn schob und mich lediglich mit ihrem linken Auge fixierte.
Das Wort: Bitte!!! aber stieß sie ohne irgendeine Bewegung und ohne die nicht zu leugnende Anteilnahme, die die beiden vorhergehenden Sätze so eindrucksvoll gemacht hatten, einfach heftig aus. Dennoch saß es vielleicht gerade wegen seiner reinen Feindseligkeit am besten.
Ich aber erkannte aus ihren Worten genau, dass meine neue Hose zu kurz ist.
(Kennst du Bertolt Brecht? S. 54).
Auf den Fotos im Arbeitsblatt versetzt sich Lisa M. in die Rolle des Mädchens und probiert Gesten aus.