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Der Traum des Mauerseglers

Berndt Seites Gedichte schätzen die Kraft des Moments. Sie tauchen in ihn ein, entdecken Höhen und Abgründe und legen dabei Vers für Vers frei, wie wir durch das Leben gehen, wer wir sein wollen und wer wir – manchmal wider Willen – dabei werden.

Es sind Gedichte, die träumen, schimpfen und scherzen, sie führen uns von leisen Beobachtungen hin zu den ersten Fragen, die damit ringen, womöglich zu den letzten zu gehören.

Der Zwerg und die Riesen

Der Zwerg und die Riesen

Florian Russi

Ein Zwerg lebte in einer Kolonie von Lebewesen, die wie er von recht geringer Größe waren. Als er eines Tages durch eine Wohnsiedlung lief, sah er, wie sich seine Artgenossen unter Schwitzen und Jammern abmühten, Holz zu spalten und zu zersägen. Wenig später beobachtete er, dass eine Gruppe von Kleinwüchsigen schreiend vor einem Wolf davonlief. Da sagte er zu sich: So soll das nicht weitergehen“. Er stellte auf einem Marktplatz ein kleines Gerüst auf, bestieg es und begann laut zu reden, so dass alle Marktbesucher es hören konnten:

„Es muss ein Ende haben mit unserer Schwäche und Feigheit. Schaut mich und euch an: Wir sind groß und stark, wir sind Riesen. Keiner ist uns gewachsen. Es kommt nur darauf an, dass wir uns unserer Kraft bewusst werden. Folgt mir und niemand mehr wird euch widerstehen können.“

Das hörten die anderen Kleinwüchsigen gerne. Sie ließen den Zwerg hochleben, wählten ihn zu ihrem Fürsten und stellten fest, dass vieles, was ihnen bisher unerträgliche Mühe gemacht hatte, von nun an viel leichter von der Hand ging.

So verging einige Zeit, doch eines Tages streiften Riesen durch das Land und schauten voller Neugier dem Treiben der Kleinwüchsigen zu. Da rief der Zwerg seine Mitbewohner zusammen und zog mit ihnen dem Riesen entgegen. Er stellte sich vor ihnen auf und sagte: „Macht, dass ihr so schnell wie möglich fortkommt. Hier im Lande bestimmen allein wir. Ihr mögt zwar groß gewachsen sein, doch euer Verstand ist klein und wir sind euch haushoch überlegen.“ Da klatschten seine Anhänger , riefen den Riesen Schmähungen zu und einige begannen sogar, sie mit Steinen zu bewerfen. Da holten die Riesen Luft, traten nach den Kleinwüchsigen und trampelten einige von ihnen nieder und zerstörten ihre ganze Siedlung, so dass kein Stein auf dem anderen blieb.

Fazit: Selbstbewusstsein ist gut, Überheblichkeit schädlich
oder
Bevor du dich für den Größten hältst, betrachte dich kritisch im Spiegel.

*****

Bildquelle: Ein Riese in der Stadt. Ein Gemälde von Henri-Camille Danger (1857–1937), gemeinfrei

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