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Der verliebte Schwan und 35 weitere Fabeln

Florian Russi
Mit Zeichnungen von Jean Gies

»Die Fabeln von Florian Russi spiegeln unser tägliches Verhalten wider. Sie regen an zum kreativen Nachdenken über sich selbst. Nicht belehrend, sondern unterhaltend. Deswegen sind Fabeln heute wieder so modern.«

Benedikt Otto, mdr

Der Eisbär und der Pinguin

Der Eisbär und der Pinguin

Florian Russi

Eine Verbindung auf Umwegen

Der Eisbär und der Pinguin
Der Eisbär und der Pinguin

Sie haben sich nie persönlich kennengelernt und trotzdem bestand zwischen ihnen eine Verbindung. Der Eisbär lebte in der Arktis, jener Eisfläche, welche den Nordpol umgibt. Es ging ihm sehr gut. Er bewohnte eine große Eisscholle, die inmitten von reichen Fischgründen schwamm. Er hatte ausreichend zu essen, eine hübsche Eisbärin zur Frau und zwei süße kleine Kinder. Doch eines Tages kam eine Eismöwe auf seine Scholle geflogen. Die wollte sich vor ihm wichtigtun und prahlte damit, dass sie schon weit in der Welt herumgekommen sei und sich mit vielen anderen Vögeln getroffen habe. Sie erzählte dem Eisbären die folgende Geschichte:

»Auf der Erde gibt es nicht nur einen Nord-, sondern auch einen Südpol. Dort lebt ein großer Vogel, der Pinguin genannt wird. In dem Meer, in dessen Nähe er wohnt, wimmelt es von Fischen und andere Tieren, so dass er gar nicht weiß, welche er zuerst fressen soll. Der Pinguin braucht nur zwei Beine, um laufen zu können. Sein Gefieder ist nicht nur einfarbig weiß, sondern schwarz, blau-grau und weiß. Seine Jungen braucht er nicht mühevoll großzuziehen. Einmal im Jahr legt er ein Ei und brütet es aus. Daraus schlüpft dann nach kurzer Zeit ein hübscher kleiner neuer Pinguin, der sich sofort in seiner Welt zurechtfindet.« Um die Bedeutung ihrer Geschichte noch zu unterstreichen, ergänzte die Eismöwe, dass es der große Vogel Albatros persönlich gewesen sei, der sie ihr erzählt habe.

»Warum bin ich nicht auch dreifarbig wie der Pinguin?«, fragte sich da der Eisbär. »Und warum brauche ich zum Laufen vier Beine und warum muss ich mir meine Jagdbeute mühsam aus dem Meer fischen? Wieso hat meine Frau keine Zeit für mich und muss sich ständig um unsere Kleinen kümmern?« Diese Fragen ließen dem Eisbären keine Ruhe. Er haderte mit seinem Schicksal und verfluchte den Pinguin, der es so viel besser hatte als er. Nichts schmeckte ihm mehr, er beachtete weder seine Frau noch seine Kinder und fühlte sich an keinem Platz mehr wohl und zufrieden. »Wo sagtest du, lebt dieser Pinguin?«, fragte er die Eismöwe. »Weit entfernt von hier am südlichen Pol der Erde«, antwortete diese. Da stürzte sich der Eisbär ins Meer und begann, in Richtung Süden zu schwimmen. Weit soll er dabei nicht gekommen sein.

Neid und Eifersucht vergällen das Leben.

*****

Textquelle:
Russi, Florian: Der verliebte Schwan und 35 weitere Fabeln. mitteldeutscher verlag, 2016

Bildquellen:
Zeichnung von Jean Gies

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