Die Kurzgeschichte um das „Haus Usher“ ist die wohl populärste von Edgar Allan Poe. Ein namenloser Erzähler erhält darin Post von einem Freund aus der Jugend, Roderich, dessen Familie schon immer als ein wenig anders galt. In diesem Brief wird er um sofortigen Besuch gebeten, da Roderich Usher von einer seltsamen Krankheit heimgesucht wurde. Daraufhin reitet der Freund so schnell es geht durch eine düstere Landschaft hin zum nicht minder düsteren Familiensitz der Ushers. Was er dort Erschütterndes miterleben muss, wird ihn für immer verändern.
Fragen und Antworten hier nochmal auf einen Blick:
Interessant an dieser Geschichte ist, dass der Begriff „Haus Usher“ eine wortwörtliche und eine symbolische Bedeutung zulässt: sowohl das tatsächliche Gebäude als auch die Familie Usher wird damit bezeichnet. Und so wird auch beides – der Familiensitz und der Stammbaum – dem Untergang preisgegeben; so, wie das Haus am Ende der Geschichte zerfällt und im Sumpf versinkt, erlischt auch das Geschlecht der Ushers mit dem Tod von Roderich und Magdalen. Das englische Wort „fall“ (Originaltitel „The Fall of the House of Usher“) weist ebenso auf diese zwei Lesarten hin.
1. Wie wird das Haus beschrieben, so dass es nahezu ein Eigenleben erhält und zur „Person“ wird?
Fenster als Augen; lebende und scheinbar atmende, selbst leuchtende Hausumgebung
2. Durch welche Hinweise („foreshadowing“) erfahren wir, dass sowohl dem Haus als auch der Familie der Untergang bevorsteht?
der Riss im Mauerwerk, der gleich zu Beginn erwähnt wird;
die düstere, bedrohliche Atmosphäre; der körperliche und geistige Verfall der
Zwillinge
3. Mit welchen Mitteln verknüpft die Geschichte die Personen mit dem Gebäude?
körperlicher/geistiger Verfall der Geschwister parallel zum Verfall des Hauses; Ende des Geschlechts der Usher (keine Kinder) und Untergang des Hauses; Geschwister scheinen mit dem Haus verwachsen, können ihm nicht entfliehen = Gefängnis; Gruft als das Unheimliche, das Unbewusste, das wieder aufsteigt/nach oben steigt
Die Geschwister Usher – und, wenn wir dem Erzähler glauben dürfen, die gesamte Familie – scheinen durch schon immer sehr seltsam und etwas anders gewesen zu sein. Adliges Aussehen und das Schwelgen in Kunst und Musik auf der einen Seite, Isolation und seelische Leiden auf der anderen... Die genannte pathologische Verschärfung der Sinne bezeichnet man heute als Hyperesthesie, die unbezähmbare Furcht würde man als Angststörung oder Psychose deuten, und der Zustand von Leblosigkeit oder Starrheit, den man Katalepsie nannte, heißt heute Stupor. Doch psychische Krankheiten waren zu Lebzeiten Poes noch nicht hinreichend erforscht.
1. Wie verbindet der Erzähler die Beschreibung des körperlichen Verfalls der beiden Geschwister mit deren seelischem Zusammenbruch?
Roderich als Jugendlicher schon seltsam, kunstbesessen;
aristokratisches Äußeres aber wirrer Blick = beginnende psychische Krankheit;
Einzelgänger, isoliert, „Kauz“ – beschäftigt sich mit seltenen Gemälden und
Instrumenten (Laute), Gereiztheit der Sinne; äußerer Verfall, wirres Haar,
sich-gehen-lassen, gleitet immer weiter in seine Psychose ab; „gespenstische
Blässe“, Haare wie Spinnwebe.
Welche Rolle spielen Emotionen in der Kommunikation zwischen Roderich, Magdalen und dem Erzähler/Freund?
Kommunikation/Emotionen: Roderich und Magdalen mögen sich
sehr, Zwillinge, aufeinander angewiesen, Roderich weint angesichts ihres
bevorstehenden Todes; mehrfache Erwähnung von „Herz“; Erzähler/Freund und
Roderich mögen sich auch sehr, teilen sich gegenseitig ihre Gefühle mit;
Erzähler verzeiht ihm seine Verwirrtheit, möchte ihm helfen, Empathie, Mitleid.
Sind Magdalen und Roderich schlichtweg „verrückt“ bzw. „mad“, vielleicht durch ihre jahrelange Isolation? Wieso oder wieso nicht?
Roderich analysiert seine und die Krankheit seiner Schwester in klaren Worten und plausiblen Zusammenhängen, denkt z. B. über den Einfluss der Bauweise und des Baumaterials des Hauses nach, sieht seinen drohenden körperlichen und geistigen Zusammenbruch vorher, „scharfsinnig“; aber ist oft nicht Herr seiner Gefühle, beherrscht seine Stimmlage nicht, eintönige Schaukelbewegung, murmelt vor wirr sich hin, zittert.
Hier kommen wir zu einem Begriff, der vielen sicher bekannt sein wird: die Gotik. Dabei handelt es sich – wie bereits erwähnt – auch um eine Literaturrichtung, die im 19. Jahrhundert in Amerika ihre Blüte fand. Beeinflusst von der deutschen Romantik, fand sie ihren Ausdruck in der amerikanischen Horrorgeschichte. Das Übernatürliche, das Unheimliche, die dunkle Seite des Menschen und die übermächtige Natur, waren ebenso wichtige Themen dieser Literatur wie das Motiv des Doppelgängers.
1. Manche sehen in Magdalen und Roderich dieses Doppelgänger-Motiv, andere meinen, man könne das Geschwisterpaar als zwei Seiten ein und derselben Person lesen. Welcher Interpretation würdest Du Dich anschließen – und warum?
Zwillinge, Geschwister, er leidet scheinbar an einer anderen Krankheit als sie, Erzähler berichtet von zwei Menschen, Magdalen wird in die Gruft gelegt, Roderich lebt weiter; beider Leben und Wohlergehen voneinander abhängig, sind schon lange unzertrennlich, Körper und Geist, als sie stirbt, stirbt er kurz darauf auch
2. Wieso ist Roderichs Doppelgänger oder seine „andere Seite“ weiblich?
jedem Körper wohnt eine männliche und weibliche Seite inne;
Magdalen als weibliche Seite/Energie, Roderich als männliche; weiblich
assoziiert mit Seele, Emotion, Intuition, Schönheit
3. Welche anderen Doppelungen oder auch Spiegelungen findest Du in der Geschichte?
das Haus doppelt sich im See, bricht am Ende in zwei gleiche Hälften, die Geschichte spiegelt sich in der vorgelesenen Geschichte „Mad Trist“, Haus Usher und Familie Usher
Eine wichtige künstlerische Strategie heißt „mise en abyme“, was ungefähr soviel bedeutet wie „in den Abgrund bringen“. Ein literarisches Beispiel hierfür ist, wenn eine Geschichte inmitten einer anderen Geschichte erzählt wird. Das zeigt uns beim Lesen ganz deutlich, dass es sich hier um Fiktion, um etwas Erfundenes handelt. Man kann es deshalb auch „Metafiktion“ – also Fiktion über Fiktion – nennen, und das kann manchmal ganz schön verwirrend sein. Und auch in „Der Untergang des Hauses Usher“ werden mehrere solcher „eingebetteter“ Geschichten erzählt – Roderichs Freund liest ihm beispielsweise aus einem fiktiven Buch namens „Mad Trist“ vor. In unheimlicher Weise passiert dann auch in der Ebene der Erzählung, die wir lesen, – also im Haus Usher – genau das, was in der Mad-Trist-Geschichte vorgelesen wird!
1. Finde noch andere Hinweise in der Geschichte, die uns mit der Nase darauf „stupsen“, dass es sich um Kunst, um Fiktion handelt und nicht um eine „wahre“ Begebenheit!
ständige Anspielungen auf Gemälde, Musik, Literatur; bereits im Epigraph wird auf eine Laute hingewiesen = Musik; Familienmitglieder der Ushers als kunstbegeistert und als Künstler und Musiker; das künstliche Leuchten während des Unwetters
2. Sind der Erzähler und dessen Perspektive zuverlässig: handelt es sich um ein realistisch beschriebenes Erlebnis oder um eine Fantasie, ja eine Geistergeschichte?
Haus Usher als Fantasie/Einbildung; Magdalen von den Toten auferstanden; Roderich stirbt an Angst, sieht alles vorher; Haus stürzt sofort ein, nachdem der Erzähler es verlassen hat
3. Was könnte der Sinn dahinter sein, die Leserschaft so aufs Glatteis zu führen?
Fakt und Fiktion bzw. Leben und Kunst liegen oft nah beieinander; die Grenzen zwischen Einbildung und Realität sind manchmal unscharf; darauf hinweisen, dass wir ein Fantasieprodukt/Fiktion und keine wahre Geschichte lesen; gibt es überhaupt „wahre“ Geschichten oder nur das, was wir als „wahr“ empfinden?