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London kommt!

Pückler und Fontane in England

Klaus-Werner Haupt

Im Herbst 1826 reist Hermann Fürst von Pückler-Muskau erneut auf die Britischen Inseln, denn er ist auf der Suche nach einer vermögenden Braut. Aus der Glücksjagd wird eine Parkjagd, in deren Folge die Landschaftsgärten von Muskau und Branitz entstehen. Theodor Fontane kommt zunächst als Tourist nach London, 1852 als freischaffender Feuilletonist, 1855 im Auftrag der preußischen Regierung. Die Erlebnisse der beiden Protagonisten sind von überraschender Aktualität.

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Die Brücke am Tay

Die Brücke am Tay

Theodor Fontane

"Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand"

Nur einen Monat nach einem Unglück in Schottland im Dezember 1879, bei dem die neu und mit enormem Aufwand erbaute über 3000 Meter lange Brücke über den Tay einstürzte und einen Eisenbahnzug mit 75 Menschen mitriss, veröffentlichte Theodor Fontane (1819 - 1898) in einer Zeitschrift seine Ballade über diese Tragödie.
Die Tay-Brücke nach dem Einsturz (ca. 1880)
Die Tay-Brücke nach dem Einsturz (ca. 1880)

Unmittelbare Ursache der Katastrophe war ein Sturm, den Fontane durch 3 Naturgeister symbolisiert. In vielen Interpretationen werden diese Gestalten in enger Beziehung zu den 3 Hexen aus dem Shakespeare-Drama Macbeth gesehen. Sie machen sich einen Spaß daraus, Naturgewalten heraufzubeschwören und Unglücke zu verursachen. „Wann treffen wir drei wieder zusamm‘?" so beginnt die erste und die letzte Strophe der Ballade, die einen mehrstrophigen Mittelteil umrahmt, in dem die letzte Fahrt des Zuges aus der Sicht der menschlichen Akteure (bzw. Opfer) beschrieben wird. Gänzlich sorglos für die Probleme der Menschen, nur ihrem eigenen Vergnügen an Willkür und Gewalt hingegeben, fast tanzend erscheinen diese Naturgeister und planen mitleidslos die Zerstörung.

Im Gegensatz dazu im Mittelteil: Die Sorge der Brücknersleute, die auf den Zug mit ihrem Sohn Johnie warten, die endlich schon den herannahenden Lichtschein sehen und Vorbereitungen für seine Ankunft in wenigen Minuten treffen. Zwei weitere Strophen beschreiben die Sichtweise von Johnie, der stolz ist auf die technische Errungenschaft der Brücke, die es - im Gegensatz zu früher - nun ermöglichen soll, den Naturgewalten zu trotzen und trotz schlechten Wetters den Tay zu überqueren. Und dann, kurz vor der erwarteten Ankunft der Eisenbahn, das Unglück: die Brücknersleute sehen nur ein kurzes Aufglühen, dann erlöschen die Lichter des Zuges. „Und wieder ist Nacht".

„Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand" lautet das Fazit des Gedichts. Das Wort „Tand" bezeichnet etwas hübsches, aber im Grunde überflüuuml;ssiges ohne besonderen Wert. Man darf wohl annehmen, dass Fontane dem technischen Fortschritt sehr skeptisch gegenüber stand.

Rita Dadder

"Wann treffen wir drei wieder zusamm'?"
"Um die siebente Stund', am Brückendamm."
"Am Mittelpfeiler."
"Ich lösch die Flamm'."
"Ich mit."
"Ich komme vom Norden her."
"Und ich vom Süden."
"Und ich vom Meer."

"Hei, das gibt ein Ringelreihn,
und die Brücke muß in den Grund hinein."
"Und der Zug, der in die Brücke tritt
um die siebente Stund'?"
"Ei, der muß mit."
"Muß mit."
"Tand, Tand
ist das Gebild von Menschenhand."

Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
alle Fenster sehen nach Süden aus,
und die Brücknersleut', ohne Rast und Ruh
und in Bangen sehen nach Süden zu,
sehen und warten, ob nicht ein Licht
übers Wasser hin "ich komme" spricht,
"ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,
ich, der Edinburger Zug."

Und der Brückner jetzt: "Ich seh einen Schein
am andern Ufer. Das muß er sein.
Nun, Mutter, weg mit dem bangen Traum,
unser Johnie kommt und will seinen Baum,
und was noch am Baume von Lichtern ist,
zünd alles an wie zum heiligen Christ,
der will heuer zweimal mit uns sein, -
und in elf Minuten ist er herein."

Und es war der Zug. Am Süderturm
keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm,
und Johnie spricht: "Die Brücke noch!
Aber was tut es, wir zwingen es doch.
Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,
die bleiben Sieger in solchem Kampf,
und wie's auch rast und ringt und rennt,
wir kriegen es unter: das Element.

Und unser Stolz ist unsre Brück';
ich lache, denk ich an früher zurück,
an all den Jammer und all die Not
mit dem elend alten Schifferboot;
wie manche liebe Christfestnacht
hab ich im Fährhaus zugebracht
und sah unsrer Fenster lichten Schein
und zählte und konnte nicht drüben sein."

Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
alle Fenster sehen nach Süden aus,
und die Brücknersleut' ohne Rast und Ruh
und in Bangen sehen nach Süden zu;
denn wütender wurde der Winde Spiel,
und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel,
erglüht es in niederschießender Pracht
überm Wasser unten... Und wieder ist Nacht.

"Wann treffen wir drei wieder zusamm'?"
"Um Mitternacht, am Bergeskamm."
"Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm."
"Ich komme."
"Ich mit."
"Ich nenn euch die Zahl."
"Und ich die Namen."
"Und ich die Qual."
"Hei!
Wie Splitter brach das Gebälk entzwei."
"Tand, Tand
ist das Gebilde von Menschenhand"

 

*****

Bildquellen:
- Vorschaubild: Die drei Hexen aus Macbeth  (1824). Maler: John Downman. (gemeinfrei)
- Tay-Brücke von Süden nach dem Unfall (um 1880). Quelle: Wikimedia Commons
- Ausschnitt aus dem Gemälde "Macbeth und Banquo begegnen den Hexen auf der Heide" (1855), gemalt von Théodore Chassériau. (gemeinfrei)

 

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