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Goethe mal eher privat.
Hermann Multhaupt erzählt, wie der Dichterfürst mit seinem Sohn August nach Pyrmont reist, wo er sich von einer schlimmen Krankheit zu erholen sucht.

„Ich habe nichts erlebt ...“ – der Dichter Wilhelm Raabe

„Ich habe nichts erlebt ...“ – der Dichter Wilhelm Raabe

Hermann Multhaupt

Das Geburtshaus in Eschenhausen ist heute ein Museum, das über Leben und Werk des realistischen Poeten informiert. Foto: H. Multhaupt.
Das Geburtshaus in Eschenhausen ist heute ein Museum, das über Leben und Werk des realistischen Poeten informiert. Foto: H. Multhaupt.

Als der Dichter Wilhelm Raabe einmal gefragt wurde, warum er seine Memoiren noch nicht geschrieben habe, antwortete er: „Ich habe nichts erlebt – oder was ich erlebt habe, steht längst in meinen Büchern.“ Am 8. September 1831 in Eschershausen in Niedersachsen, damals Herzogtum Braunschweig, als Sohn eines Beamten zur Welt gekommen, verbrachte Raabe eine stille, behütete Kindheit und besuchte in Holzminden das Gymnasium. Als der Vater nach Stadtoldendorf versetzt wurde, musste Wilhelm den Schulbesuch abbrechen. Nach dem Tode des Vaters zog die Familie nach Wolfenbüttel. Dort konnte er weiter zur Schule gehen. Wilhelm Raabe war ein „Selfmademan“, was seine literarische Bildung betrifft. Er las viel, wozu ihm auch die Buchhändlerlehre in Magdeburg von 1849 bis 1854 verhalf, und bezog 23jährig die Universität Berlin, wo er ohne Abschluss philosophische und geschichtliche Studien betrieb. Unter dem Pseudonym Jakob Corvinius veröffentlichte er 1857 die Erzählung „Die Chronik der Sperlinggasse“, eine Arbeit, die vom Leben in der Stadt und auf dem Land erzählt, von Kindheit, Schulzeit, Liebe, Arbeit, Trauer und Tod. Zum Leidwesen des Autors blieb er mit dieser „Chronik“ zeitlebens verbunden, so wie Theodor Storm mit „Immensee“. Die beiden Männer waren übrigens Zeitgenossen, wie auch der bekannte Schweizer Schriftsteller Gottfried Keller.

Das Kleinstadtidyll blieb auch Thema in weiteren Arbeiten Wilhelm Raabes, so zum Beispiel in „Die Kinder von Finkenrode“ (1859). Es folgten der Roman „Ein Frühling“ sowie die romantische, in Briefform geschriebene Erzählung „Nach dem großen Kriege“ (1861), in der die Verbitterung nach dem Freiheitskrieg 1813/14 Ausdruck fand. An den Gesundbrunnen nach Bad Pyrmont führt die Erzählung „Der heilige Born“ (1861), die mit „Unseres Herrgotts Kanzlei“ (1862) zu den religiösen Dichtungen Raabes gehört. In diesen Jahren entstanden auch zahlreiche Novellen, die der Autor in der Sammlung „Halb Mär`, halb mehr“ (1859) und "Verworrenes Leben" (1862) zusammenfasste. Der Einfluss des Engländers Charles Dickens machte sich in Raabes Dichtung immer stärker bemerkbar. Mit den Romanen „Die Leute aus dem Walde“(1863) – wohl Raabes poesievollstes Werk – und „Der Hungerpastor“ (1864) schloss Raabe seine Wolfenbütteler Zeit ab. Er fand er respektable Anerkennung, zum endgültigen Durchbruch verhalfen sie ihm nicht.

Dennoch war Wilhelm Raabe mit seiner jungen Frau 1862  nach Stuttgart, der Literaturstadt jener Zeit, übergesiedelt, doch trieb es ihn 1870 ins Norddeutsche, nach Braunschweig, zurück. Auf dem Höhepunkt seines literarischen Schaffens erschienen Werke wie „Abu Telfan oder die Heimkehr vom Mondgebirge“ (1867) und „Schüdderump“ (1870), die allerdings beide Misserfolge wurden und Kopfschütteln hervorriefen. Die Kritik an einigen seiner Arbeiten war so stark, dass man ein polizeiliches Verbot forderte, weil sie so negativ ausgerichtet seien. Doch Raabes Fleiß blieb ungebrochen, zumal er sich zeitweise auch humoristischen Dichtungen wie „Horacker“ (1876), „Wunnigel“ (1879) „Das Horn von Wanza“ (1881) zuwandte. Unter den zahlreichen Romanen und Novellen sind „Stopfkuchen“ und „Das Odfeld“ (1888) zu nennen; mit dieser im Siebenjährigen Krieg spielenden Handlung nähert sich Raabe wieder der alten Heimat. Auch mit Höxter und Corvey fühlte er sich durch seine Schriftstellerei eng verbunden.

„Raabes Menschen sind die glücklich Unglücklichen“, hat jemand einmal geurteilt. Er hielt an einem hohen Ideal fest, ließ seine Personen jedoch oft an der Lebenswirklichkeit scheitern. Dennoch war sein Glaube an den Sieg des Guten ungebrochen. Raabe schätzte das große befreiende Lachen über die Kleinheit der Dinge und die Großmannssucht der Menschen. Er kehrte mit seinem Humor – der nach eigener Bekundung jedoch eher das Atemholen eines Ertrinkenden ist – die tragische Weltauffassung einfach um. Raabes Dichtung zeugt von der Liebe zu seinem Land, von der Ehrfurcht vor dem Göttlichen, auf die lenkende Hand Gottes vertrauend. Als Protestant favorisierte er die evangelische Kirche, die er manchmal verklärte, doch waren seine Anschauungen nicht engherzig. Er ist den Katholiken nie gerecht geworden, wollte sie jedoch auch nicht kränken. Mit präzise beobachtenden Augen schilderte Raabe das Leben des Alltags, wobei er den Schicksalen der Menschen, denen er in seinen Werken Gestalt verlieh, voller Teilnahme begegnete. Er sah das menschliche Elend und gab ihm in Worten mitfühlend Ausdruck. Man hat ihn oft in der Nähe Schopenhauers gesehen, doch mit ihm identifizierte Raabe sich nicht, auch nicht mit seinem Landsmann Wilhelm Busch, wenn beiden auch der Hang zum Pessimismus eigen war.

Wilhelm Raabe ist nie in Mode gekommen. Die „Chronik“ und „Der Hungerpastor“ haben ihm vorübergehend zu einem geregelten Einkommen verholfen, doch sonst blieben die Honorare spärlich. Mit der Novelle „Die Schwarze Galeere“ hat er sich dem Konsumstil seiner Zeit einmal ausnahmsweise angepasst – doch entsprach er nicht seiner Richtung. Raabe litt unter der Oberflächlichkeit seiner Zeit und der Literatur, einer Zeit, die ähnlich der unseren nur auf Gewinn und Genuss aus war und ernsthafte literarische Auseinandersetzungen mit Zeiterscheinungen scheute. Deshalb ging Raabe einsam seinen Weg, begleitet von einem kleinen Kreis von Verehrern. Die Romane „Das Odfeld“ und „Hastebeck“ (1898), sein letztes Werk, nehmen die schaurige Vision des Zweiten Weltkrieges vorweg. Beim Anblick seines spielenden Enkelkindes sagte Raabe: „Der arme Kerl!“ Als die Mutter ihn erschrocken fragte, was er meine, soll Rabe geantwortet haben, das Kind käme eines Tages in den größten Schlamassel. Der Enkel fiel tatsächlich in den letzten Tagen des Hitler-Krieges.

Nach 25 Jahren harter Arbeit trat mit der zweiten Auflage des „Schüdderump“ (1894) endlich eine gewisse Wertschätzung der Person Wilhelm Raabes und seines Werkes ein. Zum 70. Geburtstag wurden ihm zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen zuteil. Raabe starb am 15. November 1910. In einer Wertung von A. Bartels heißt es: „Wer aber den Dichter Raabe einmal kennt, der bekommt von Zeit zu Zeit das Raabe-Heimweh.“

 

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Literatur:

Elisabeth Brinkmann: „Der letzte Gang – Ein Priesterleben im Dienste Todgeweihter“ Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung, Münster, 1950. 6. Auflage

 

Bild:

Ausschnitt aus Portrait Raabes von Hanns Fechner, 1893, gemeinfrei

 

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