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Christina Lange und Florian Russi

Abschiedsbrief von Robert Blum

Abschiedsbrief von Robert Blum

Andreas Schneider

an seine Ehefrau Jenny

In der knappen Stunde, die ihm nach der gefasst aufgenommenen Bekanntgabe des Todesurteils am frühen Morgen des 9. November 1848 bis zur langen Fahrt zur Hinrichtungsstätte in der Kirmeswiese Brigittenau im Norden von Wien geblieben war, schrieb Robert Blum letzte Briefe an seine Familie und einige Freunde. Schnell wurden diese seine letzten Worte durch Zeitungen verbreitet und sogar als Einblattdrucke und Faksimile tausendfach nachgedruckt. Besonders berühmt wurde dabei vor allem der „Scheiderbrief an seine Gattin“ Louise Eugenie, genannt Jenny (1810-1874), in Leipzig. Sie war die Schwester seines Freundes Johann Georg Günther, die Robert Blum 1840 in der Dorfkirche zu Cleuden bei Leipzig geehelicht hatte (heute Ortsteil Thekla) und die im Wesentlichen seine politischen Ansichten teilte.

Der Brief enthält vorrangig private Mitteilungen, ist aber durch seine rührende Sorge für die nun ohne Ernährer dastehende Familie und das darin enthaltende Vermächtnis Robert Blums von großer Ausdruckskraft. Er gilt inzwischen sogar als Blums „bekanntestes Schriftstück“ (Peter Reichel) und zugleich als einer „der großen Prosatexte der deutschen Geschichte“ (Ralf Zerback), obwohl er nahezu nur private Mitteilungen enthält. Das Dokument befindet sich noch heute im Original im Besitz der Familie. Es wurde zentraler Teil desnach dem Tod schnell einsetzenden Kults um Robert Blum als Mätyrer der Revolution und „Freiheitsheiland“.

Der Weg zur Adressatin

Die gesetzwidrige Hinrichtung Robert Blums war nichts weniger als eine Machtdemonstration des Ancien regimes, der alten Kräfte gegen die Revolution, und sollte als solche auch ein Zeichen setzen: Die Nationalversammlung in Frankfurt am Main interessierte die Machthaber in Österreich nicht! Im Normalfall geht man davon aus, dass die letzten Worte und Wünsche eines Sterbenden unabhängig von seiner Person erfüllt werden. Deshalb könnte man auch meinen, dass die österreichsischen kaiserlichen Behörden nach Blums heimlicher Hinrichtung wenigstens die geringsten Formen überkommener Gepflogenheiten wahrten und der trauernden Witwe und Familie in Leipzig nun schnell letzte Habseligkeiten des Hingerichteten und vor allem seine letzte Worte zuleiten würden.

Erschießung Robert Blums Erschießung Robert Blums
Erschießung Robert Blums Erschießung Robert Blums

Doch im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig wird ein Dokument verwahrt, das bisher von der Fachgeschichte kaum beachtet wurde. Es handelt sich um ein Schreiben des Notars Gustav Haubold vom 7. Dezember 1848 an die Lokalpresse, die es am Folgetag abdruckte. Mit dem Brief teilte Haubold der Öffentlichkeit mit, dass nun endlich am Vorabend, also am 6. Dezember1848, neben einigen Nachlassgegenständen der inzwischen schon nahezu berühmte Abschiedsbrief Robert Blums an seine Ehefrau in Leipzig eingetroffen war. Nun also hatte er endlich seine Adressatin erreicht - warum aber erst jetzt, knapp einen Monat nach der Hinrichtung? Niemand von der Fachgeschichte, wie es den Anschein hat, widmete sich bisher dieser winzigen Detail-Frage und damit dem Umstand, dass die Wiener Behörden den Brief offensichtlich nicht unverzüglich an seine Adressatin weiterleiteten - bewusst oder aus Schlamperei oder in einer Mischung aus beiden, sei einmal dahingestellt. Schließlich erhielt der Leipziger Publizist Carl Cramer, mit dem Robert Blum die „Sächsischen Vaterlands-Blätter“ redigiert hatte, seine an ihn gerichtete Aufforderung des Freundes zur schonenden Benachrichtigung seiner Frau wohl rechtzeitig. Denn er konnte Blums Ehefrau Jenny die traurige Nachricht vom Tod ihres Mannes am Morgen des 13. Novembers 1848 überbringen. Cramer gehörte zu den wenigen Freunden, an die Robert Blum in der frühen Morgenstunde vor der Fahrt zur Hinrichtungsstätte ebenfalls knappe Abschiedsworte verfasste. Robert Blum hatte an Cramergeschrieben: „Lebe wohl, Du und alle Freunde. Bereite meine Frau langsam vor auf das Geschick – des Krieges. […] Ich sterbe als Mann – es muß sein.“ Sohn Hans schilderte später den Ablauf der Information so: „Die furchtbare Scene wird mir stets unvergessen bleiben. Ich begriff eher wie meine arme Mutter, was Cramer sagen wollte, als er auf ihren Vorschlag, sie wolle selbst nach Wien reisen, zögernd erwiderte: ‚ich fürchte – Sie kommen zu spät‘“.

Rechtsanwalt Haubold war als Mitglied des Schillervereins sowie 1848 des Deutschen Vaterlands-Vereins seit den 1840er-Jahren ein enger Freund und Weggefährte Robert Blums. Er wurde nach dessen Tod zum Vormund seiner hinterbliebenen vier Kinder bestellt. Die Witwe Jenny Blum hielt sich in ihrer Verzweiflung noch wochenlang an die durch Gerüchte bestärkte Hoffung, ihr Mann lebe noch irgendwo versteckt. Deshalb begründete Haubold die Veröffentlichung mit seiner bestimmten Absicht: „Ich übergebe diese Abschiedsworte Robert Blum’s, um vielfach verbreiteten falschen Gerüchten zu begegnen, hiermit der Öffentlichkeit.“


Abschiedsbrief von Robert Blum
Abschiedsbrief von Robert Blum


Der Text des Abschiedbriefes

Der Schriftsteller Gustav Kühne (1806-1888), er lebte 1832-1856 u. a. als Redakteur der „Zeitung für die elegante Welt“ in Leipzig und war wie Blum Mitglied des dortigen Schillervereins und des Schriftstellervereins, meinte später in seinen Erinnerungen, Blum habe sich vor Gericht zwar standhaft, aber nicht vorteilhaft im eigenen Sinne verhalten. Denn: „Blum war leichtgläubig wie ein Kind“; er habe „bis zum letzten Augenblick an seine Unverletzbarkeit“ geglaubt, „an die Unmöglichkeit, daß man Hand an ihn legte“. Es kam anders, weil es die gegenrevolutionären Sieger so wollten.

Am Morgen des 9. November 1848 wurde Robert Blum früh gegen 5 Uhr geweckt und ihm nochmals das Todesurteil des Standgerichts vorgelesen. Er verlangte Papier und Stift. Mit zitternder Hand, wie das Schriftbild erkennen lässt, aber fest im Denken schrieb Robert Blum an Jenny, ohne jede Anklage gegen seine unrechtmäßige Verurteilung, ohne jeden Widerstand, schlicht und ergreifend: „Mein theures, gutes liebes Weib, lebe wohl für die Zeit, die man ewig nennt, die es aber nicht seyn wird. Dann folgt seinletzter Wille, quasi sein Vermächtnis: „Erziehe unsere – jetzt nur Deine Kinder zu edlen Menschen, dann werden sie ihrem Vater nimmer Schande machen“. Die nachfolgenden Sätze sind trotz aller Schlichtheit voller Tragik der Stunde und bezeugen eindringlich, wie sehr sich Robert Blum in den schrecklichen zweieinhalb Stunden vor seiner Hinrichtung um seine Familie sorgte: „Unser kleines Vermögen verkaufe mit Hilfe unserer Freunde. Gott und gute Menschen werden Euch ja helfen. Alles, was ich empfinde, rinnt in Tränen dahin, daher nochmals: leb wohl, theures Weib! Betrachte unsere Kinder als theures Vermächtnis, mit dem Du wuchern mußt, und ehre so Deinen treuen Gatten. Leb wohl, leb wohl! Tausend, tausend, die letzten Küsse von Deinem Robert.“ Dann die lapidare Nennung des Ortes und der Zeit der Niederschrift: „Wien d 9. Nov. 1848 Morgens 5 Uhr, um 6 Uhr habe ich vollendet.“ Ein Nachsatz folgt, der die Verteilung der wenigen bei sich geführten Wertgegenstände an seine Kinder regelt: „Die Ringe habe ich vergessen; ich drücke Dir den letzten Kuss auf den Trauring. Mein Siegelring ist für Hans, die Uhr für Richard, der Diamantknopf für Ida, die Kette für Alfred als Andenken. Alle sonstigen Andenken verteile Du nach Deinem Ermessen.“ Mit dem nächsten Satz wird die Dramatik des Moments überdeutlich: Man kommt! Lebe wohl! Wohl!“

Die im Abschiedsbrief erwähnten Kinder sind: Johann Georg Maximilian (Hans) Blum (1841–1910), deutscher Rechtsanwalt, Historiker und Autor, Biograf seines Vaters; Carl Georg Richard Blum (*1842, Todesdatum unbekannt, 1913 als Ingenieur in Kirchberg bei Zürich belegt); Johanna Eugenie Ida Blum (1845–1908), Lehrerin; Johann Karl Alfred Blum (1847–1920), Eisenbahnfachmann, seit 1895 Vortragender Rat im preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten, Vater von Otto Leonhard Blum (1876-1944), der als Verkehrsfachmann im Städte- und Straßenbahnbau Bedeutung erlangte.

Trotz der verspäteten Ankunft des Briefes bei der Adressatin hatten die Zeitungen schon ab etwa 14. November 1848 vom Hörensagen beteiligter Militärpersonen daraus zitiert, natürlich nicht immer wörtlich und mitunter auch fälschlich. Sie beförderten damit aber das schnelle Bekanntwerden seiner Existenz und seine so immense Nachwirkung.


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*****

Literatur:

-Ralf Zerback, Robert Blum. Eine Biografie, Leipzig 2007

-Peter Reichel, Robert Blum. Ein deutscher Revolutionär 1807–1848, Göttingen 2007

-Hans Blum, Robert Blum. Ein Zeit- und Charakterbild für das deutsche Volk, Leipzig 1878 (Biografie des Sohnes mit noch immer wichtigen Details)

-Bundesarchiv (Hrsg.), „Für Freiheit und Fortschritt gab ich alles hin“. Robert Blum (1807-1848): Visionär, Demokrat, Revolutionär [Begleitbuch zur Ausstellung des Bundesarchivs], bearb. von Martina Jesse, Berlin 2006

-Eduard Sparfeld, Das Buch von Robert Blum. Ein Denkmal seines Lebens und Wirkens, Leipzig 1849 (eine der viele zeigenössischen Biografien)

-Siegfried Schmidt (Hg.), Robert Blum, Briefe und Dokumente, Leipzig 1981

- Andreas Schneider, Der Abschiedsbrief von Robert Blum an seine Ehefrau, 9. November 1848, in: Stadt Leipzig (Hrsg), Geschichte der Stadt Leipzig, von den Anfängen bis zur Gegenwart, Teilbd. 3: Vom Wiener Kongress bis zum Ersten Weltkrieg (1815–1914), hrsg. von Susanne Schötz, Leipzig 2018, S. 181-185

Danksagung: Dem Genealogen Theo Molberg, Düsseldorf, ist für die Zusendung der Nachfahrenliste von Robert Blum herzlich zu danken.

Bildquellen:

Vorschaubild, Robert Blum Von August Hunger - http://www.stadtgeschichtliches-museum-leipzig.de/site_deutsch/sammlungen/objektdatenbank/framesetting.html, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39...

Erschießung Robert Blums Von Carl Steffeck zugeschrieben - Deutsches Historisches Museum, Berlin, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39...

Abschiedsbrief von Robert Blum: Image extracted from page 465 of Die deutsche Revolution. Geschichte der deutschen Bewegung von 1848 und 1849 ... Illustrirt, etc', by BLOS, Wilhelm. Original held and digitised by the British Library. Copied from Flickr.Note: The colours, contrast and appearance of these illustrations are unlikely to be true to life. They are derived from scanned images that have been enhanced for machine interpretation and have been altered from their originals.Von This file is from the Mechanical Curator collection, a set of over 1 million images scanned from out-of-copyright books and released to Flickr Commons by the British Library.View image on FlickrView all images from bookView catalogue entry for book., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=30...

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