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Strandgut
Ein Inseltagebuch

Berndt Seite

Die Ostsee ist ein Sehnsuchtsort, an dem man seine Gedanken mit dem Meer schweifen lassen kann. Beim Anblick der Wellenbewegungen kommen Erinnerungen an das Auf und Ab des Lebens auf. In eindrucks- und stimmungsvollen Bildern beschreibt Berndt Seite in seinem Tagebuch philosophische Reflexionen in Rückblick auf sein privates und poltisches Leben. Das raue und derbe Klima der Ostsee, die verschiedenen Jahreszeiten am Meer haben dabei ihren ganz eigenen Charme und helfen ihm, alte Dinge abzustreifen und wieder zu sich selbst zu finden.

Wandervögel

Wandervögel

Florian Russi

Deutschland in Bewegung

Sie begrüßten sich mit „Heil!" und wurden von „Führern" geleitet. Dennoch waren sie keine Vorläufer der Nazis. Auch hatten sie keine bestimmte Ideologie, sondern stritten über die Abstinenz von Alkohol und Nikotin, über das Outfit und darüber, ob Jungen und Mädchen vereint oder getrennt wandern sollten. Es gab sogar Versuche, in den eigenen Reihen die Homosexualität erfahrbar zu machen, ein zu Beginn des 20. Jahrhunderts geächtetes und strafwürdiges Unterfangen. Die Wandervögel bildeten nie eine geschlossene Bewegung. Dennoch war ihre Wirkung enorm. Aus ihr heraus entwickelte sich die Jugendbewegung mit ihren vielfältigen Verzweigungen, daraus wiederum die Kanu- und hieraus die Campingbewegung. Auch die Freikörperkultur und die Reformpädagogik haben hier ihren Ursprung. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts lebte man in Deutschland bewegt. Das hatte seinen Grund. Die Epoche der Romantik hatte in den Deutschen viele Sehnsüchte geweckt, die Bismarck'sche Reichsgründung mehr Mobilität und Wohlstand aber auch eine starke Industrialisierung sowie eine Verödung und Monotonie der Siedlungen und Städte gebracht.
Gedenktafel: Wandervogel-Bewegung
Gedenktafel: Wandervogel-Bewegung
Aus grauer Städten Mauern" zog es deshalb viele Jugendliche hinaus in „Wald und Feld". Was sie bewegte, war die Suche nach Naturerlebnissen und Kameradschaft. Neugierde und Erlebnishunger trieb sie an. Es ging um die Suche nach der blauen Blume der Romantik, von der niemand hätte genau sagen können, was sie war. Ebenso wichtig aber war es den Jugendlichen, sich so oft wie möglich ihren strengen Elternhäusern und den prüden Erziehungsmethoden in den Schulen zu entziehen. Wandern hieß für viele: frei und gelöst sein! 
 
Der Beginn des ersten „Wandervogels" lässt sich genau verorten: 1896 gründete in Steglitz bei Berlin eine Gruppe, die aus Studenten, Schülern, Schriftstellern und einem Arzt bestand, eine Wandervereinigung, die sich um das Steglitzer Gymnasium konzentrierte. Fünf Jahre später, am 4. November 1901 entstand daraus auf Initiative des ehemaligen Steglitzer Schülers Karl Fischer ein „Ausschuss für Schülerfahrten" und der erste „Wandervogel-Verein". Die Ideen dazu stammten vor allem von Herrmann Hoffmann, einem Magdeburger, der einige Jahre nebenberuflich am Steglitzer Gymnasium unterrichtet hatte und später in den auswärtigen diplomatischen Dienst wechselte. Der Name „Wandervogel" wurde wahrscheinlich einem Gedicht des im 19. Jahrhundert populären Schriftstellers Otto Roquette (1824-1896) entlehnt. Darin heißt es:

 

„Ihr Wandervögel in der Luft,
Im Ätherglanz, im Sonnenduft
In blauen Himmelswellen,
Euch grüß' ich als Gesellen!

Ein Wandervogel bin ich auch
Mich trägt ein frischer Lebenshauch,
Und meines Sanges Gabe
Ist meine liebste Habe".

Die Organisation des ersten Wandervogelvereins war zunächst sehr locker. Unter der Leitung Karl Fischers wurde sie jedoch zunehmend gestrafft. Wer mitwandern wollte, musste vor ihm ein Treuegelöbnis ablegen. Eine eigene Tracht, ein besonderer Gruß („Heil") und ein Erkennungspfiff wurden eingeführt.
Die Steglitzer Gründung fand zahlreiche Nachahmer. An vielen Orten wurden Jugendwandervereine gegründet. Einige schlossen sich zu Verbänden zusammen. Ihre Anliegen und Satzungszwecke waren sich wesentlich gleich. Doch kam es immer wieder zu Streitigkeiten. Gestritten wurde über Leitungsfragen, Kompetenzen, Organisation und Verhaltensrichtlinien. Die waren den Beteiligten so wichtig, dass es immer wieder zu Abspaltungen und Neugründungen kam.
Gruppe Wandervögel aus Berlin
Gruppe Wandervögel aus Berlin

Insgesamt wuchs die Wandervogelbewegung. Vor Beginn des 1. Weltkrieges 1914 zählten ihre beiden wichtigsten Organisationen, der „Deutsche Bund für Jugendwanderungen" (DB) und der „Jungwandervogel" (JWV) etwa 12.000 Schüler als Mitglieder. Zu ihrer Identifikation trug wesentlich auch der „Zupfgeigenhansel" bei, eine beliebte Sammlung von Volks- und Jugendliedern. Im Jahr 1907 gründete sich die deutsche Pfandfinderbewegung. Sie hatte viele Ziele mit dem Wandervogel gemeinsam, doch war das Wandern nur ein Teil ihres Verbandszweckes.

Das Kaiserreich unter Wilhelm II. und später die Nationalsozialisten griffen die Ideale der Wandervögel gerne auf, um die deutsche Jugend für die Feldzüge in den beiden Weltkriegen zu mobilisieren. Zweimal wurde eine Aufbruchsstimmung und Naturbegeisterung für politische und kriegerische Zwecke missbraucht.
Nach dem 2. Weltkrieg überlebte die Wandervogelbewegung vor allem in zwei Bünden mit jeweils mehreren hundert Mitgliedern, dem „Nerother Wandervogel", benannt nach einer Burg in der Eifel, sowie dem „Zugvogel -deutscher Fahrtenbund".

Unabhängig von den Wandervogelbündnissen ist das Wandern immer noch ein deutscher Volkssport. Viele Vereine sind im „Verband deutscher Gebirgs- und Wandervereine" zusammengeschlossen, der heute etwa 600.000 Mitglieder umfasst und viele Menschen in Bewegung hält.

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Bildqellen:

Vorschaubild, Logo der Wandervögel, gemeinfrei

Gedenktafel zur Gründung der Wandervogel-Bewegung um 1900 am Rathaus Steglitz in Berlin, Wribln, Wikipedia, (CC BY-SA 3.0) 

Gruppe des Wandervogels aus Berlin, Bundesarchiv, Bild 183-R24553 / CC-BY-SA

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