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Gerhard Klein

Mecklenburg-Vorpommern-Skizzen

Die wundervollen detailreichen Skizzen Gerhard Kleins werden durch informative Kurztexte ergänzt. Bedeutende Sehenswürdigkeiten von Mecklenburg-Vorpommern sind in diesem Heft in liebevollen Bildern gesammelt. 

Die Psyche und der Stress in der Pandemie

Die Psyche und der Stress in der Pandemie

Simone Kaplon

Vorschläge für einen konstruktiven Umgang

Ohne Angst geht es nicht. Sie war und ist wichtig fürs Überleben. Angst aktiviert unser inneres Alarmsystem, warnt vor Risiken, schärft alle Sinne - lässt uns vorsichtiger sein. Durch sie (bzw. den damit verbundenen Stressmechanismus) werden wir seit Menschengedenken blitzschnell befähigt zu kämpfen oder zu fliehen. Damit hat uns das Hirn im Verlauf der Evolution vor akuten Gefahren geschützt.

Doof nur, wenn unser Alarmsystem dauerhaft aktiviert bleibt, weil die Bedrohung anhält. Und ganz doof, wenn der Feind ein wenig berechenbares winziges Virus von nur 125 Nanometern ist.
Macht sich Angst im Hirn breit, überschattet sie das ganze Leben. Sie hält uns in Daueranspannung (Muskulatur, Herz-Kreislauf...), lähmt das freie Denken, wirft uns aus der inneren Balance. Einige führt sie in Ohnmachts- und Hilflosigkeitserleben, gar in Depression. Andere reagieren mit Wut, teils auch mit Aggression. Das Risiko für Schlaganfälle, Herzinfarkte und Demenzen kann sich erhöhen und - gerade ganz ungünstig - das Immunsystem unterdrückt werden. Auch die aktuell erzwungene Einsamkeit kann uns aus der Stressbalance bringen, zu Fehlregulation im Hirn führen, so dass z.B. stimmungsaufhellende Botenstoffsysteme nicht mehr aktiviert werden können.

Wenn Sie meinen, die Auswirkungen der Pandemie gehen an Ihnen spurlos vorbei, herzlichen Glückwunsch! Doch achten Sie bitte mal auf Ihre inneren Satzanfänge. Wie oft beginnen diese z.B. mit: „Ich (oder andere) muss oder ich darf nicht …“. Wie sind Ihre vorherrschenden Gefühle? Negativ? Wie reagiert Ihr Körper, die Muskulatur angespannt, Ihr Blutdruck erhöht? Wie ist Ihr Schlaf? Beobachten Sie sich im Alltag, fragen Sie Ihre Familie: Gehe ich vielleicht schneller, bin ich lauter als sonst; schusseliger, unkonzentrierter; bin ich schneller auf der Palme, fahre aggressiver Auto, habe schneller am Wasser gebaut; trinke, esse oder rauche ich mehr als sonst, nehme ich mehr Medikamente? Das können versteckte Stresszeichen sein.

Was tun:
Mit der Unsicherheit müssen wir leben lernen, müssen eine bessere Risikokompetenz entwickeln, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Oder, um es mit den Worten des Risiko-Forschers Gerd Gigerenzer zu sagen: „Es läuft nicht, es springt nicht, sondern wir verbreiten es.“ Deswegen machen Hygieneregeln Sinn.

Unser Gehirn ist großartig und effizient. Es kann unglaublich schnell viele Informationenverarbeiten, speichern. Es bringt uns zumeist sicher durch den Tag – oft ganz unbemerkt von unserm wachen Bewusstsein. Dafür bildet es Routinen, automatische Abläufe. Die Forschung weiß, unser alltägliches Verhalten ist zu einem hohen Prozentsatz automatisiert (konditioniert). Beispiele: Beim morgendlichen Broteschmieren achten wir meist nicht darauf, ob wir das Buttermesser richtig halten. Während solcher Routine-Tätigkeiten gehen uns oft ganz andere Gedanken durch den Kopf. Wie auf dem Weg zur Arbeit, genießen Sie da den Gang an der frischen Luft, die Morgensonne oder den feinen Schnee. Oder sind Sie dabei gedanklich im Stress, was wohl alles wieder anliegt, ob der Chef wohl gute Laune hat, wer Corona-bedingt ausfällt, wie hoch die Ansteckungsgefahr ist... .

Negativ-Themen neigen in Krisenzeiten dazu, unser gesamtes Erleben zu überschatten, gerade auch, wenn wir eher geringe Handlungsmöglichkeiten erleben. Das kann eine fatale Wirkung haben. Im schlechtesten Fall können wir in einen Teufelskreis des Dauerstresses geraten, wo Stressgedanken völlig ohne Lösungsorientierung automatisch durch unseren Kopf vagabundieren, ein „Kopfkino“ mit immerwährenden Wiederholungsschleifen initiieren.
Das Negativerleben nimmt uns quasi in Geiselhaft (Buddhisten nennen es den Affengeist), es hemmt unser freies Denken, verhindert damit den Zugriff auf unser Lösungswissen, auf unsere Kompetenzen und Ressourcen, um den Alltag unter den neuen Bedingungen so innovativ wie möglich gestalten zu können.
Ein alter Hut und längst in diversen Stress-Studien belegt ist, wenn wir im Dauerstress mit Scheuklappen nur den Stressthemen verhaftet sind, und alles vernachlässigen, was uns Bestätigung, Freude, Erholung, aktive wie passive Entspannung und damit frische Energie bringt, schaden wir uns nachhaltig.

Psychotherapien geben z.B. folgende Empfehlung: wir gewinnen wieder Autonomie in Kopf und Körper - bildlich gesprochen - indem wir einen Zaun um das Problem ziehen, und damit klar haben, was gehört zum Problem und was in unserem Alltag gehört nicht dazu.

Mein Stichwort hierzu heißt „Psychohygiene“. Sie ist allerdings täglich anzuwenden, genau wie Zähneputzen. Dann hilft sie, seelisch bzw. mental stark zu bleiben oder wieder zu werden, Resilienz (seelische Widerstandsfähigkeit) zu entwickeln, Gelassenheit zu fördern und damit Stress deutlich zu reduzieren.
Aufgabe ist, den sorgen- und angstbehafteten automatisch ablaufenden Gedankenunrat (wozu auch das Grübeln gehört) aufzuräumen. Doch dazu müssen wir uns erst einmal dabei erwischen.

Aller Erfahrung nach hilft am besten das bewusste Innehalten, („Achtsamkeit“), und zwar mehrfach am Tag zu von Ihnen selbst festgelegten Zeiten (z.B. mittels Handywecker), um sich zu überprüfen. Stellen Sie sich dabei folgende Fragen:

  1. Welche Gedanken gingen mir eben durch den Kopf? Sind sie lösungsorientiert oder die Wiederholung der immer gleichen Grübelschleifen? Sind sie realistisch, gerechtfertigt? Sinnvoll?
  2. Welche Gefühle sind damit verbunden? Ärger-, Stress-, Angst- Hilflosigkeits- oder Wutgefühle …?
  3. Wie reagiert mein Körper dabei (mit Muskelanspannung, innerer Unruhe, vielleicht auch Magendruck, Kopfdruck ...)?

Ist es das übliche „Kopfkino“, dann unterbrechen Sie es sofort, am besten unterstützt durch wiederholtes langes Ein- und Ausatmen, auf welches Sie sich stattdessen konzentrieren.
Lockern Sie Ihre Haltung, achten Sie auf Ihre Umwelt, auf Farben, Formen, Temperatur, Licht ... kommen Sie im Hier und Jetzt an und entscheiden Sie dann bewusst, was Sie als Nächstes tun wollen – zurück zur Arbeit, ein Gespräch mit Freunden oder/und Entspannendes … .
Wenn möglich, tun Sie etwas, was Sie und Ihren Körper entlastet. Stress ist vom Körper her gesehen vor allem Energie, die konstruktiv entladen werden möchte - gern bei einer sportlichen Betätigung, die noch dazu den Kopf „lüftet“.

In unserem aktuellen Alltag sind lösungsorientiertes Problembewältigen und ein immer besseres Krisenmanagement wichtig (innerhalb des bildlichen Zaunes). Doch mehr denn je sollten wir das Leben (außerhalb des bildlichen Zaunes) bewusst gestalten, auch im Sinne eines echten Ausgleichs. Die aktuellen Einschränkungen sind nicht das Ende aller Möglichkeiten. Sie sind ein (wenn auch erzwungener) Neuanfang, eine Chance, gegen das vorherige viele Hasten, parallele Beschäftigen, gegen das Kommunizieren auf Multikanälen jetzt bewusst und gesundheitsförderlich auf Entschleunigung zu setzen.

Etablieren wir neue Routinen.
Wir Menschen brauchen Rituale und der Tag eine Struktur. Ich bin mir sicher, jeder von uns kann eine Palette sinnvoller Alltagsaktivitäten aufreihen, die geeignet sind Stress vorzubeugen:Was bringt Sie zum herzhaften Lachen? Welche Literatur fesselt Sie? Was genießen Sie – an Kulinarischem, an Natur, Musik, Tanz, Kunst – konsumiert oder selbst geschaffen? Was hilft zu entspannen? Wie wäre es mit Meditation? Welcher Sport passt zu Ihnen?

Und bedenken wir „soziale Wesen“, dass unser Urbedürfnis nach Gemeinschaft Dauerstress, Angst und Einsamkeitserleben lindern hilft. Selbst übers Telefon oder digital oder per Postkarte können wir soziale Nähe befördern, am Schicksal anderer Menschen teilnehmen. Auch ein freundliches Wort in der durch Abstand in die Länge gezogenen Warteschlange an der Supermarktkasse lässt ein Gemeinschaftsgefühl aufkeimen.

Solidarität, Gemeinsinn, Gemeinwohl – so altbacken diese Begriffe klingen, sie entspringen unserem Mitgefühl. Dafür gibt es inzwischen erfreulich viele Beispiele: Einkaufshilfen für Rentner, freiwillige Kinderbetreuung, online übertragene Livekonzerte, Musik auf Balkonen, Sorgentelefone für einsame Menschen, Spendenaktionen für Bedürftige und und und.
Solidarität ist herzerwärmend und hat uns noch in jeder Krise geholfen.

Die allerbeste Vorsorge vor negativer Reizüberflutung aber ist:
Werden wir uns täglich der schönen Momente im Leben bewusst. Sammeln Sie diese Eindrücke - gern auch in einem Tagebuch - tauschen Sie sich darüber aus. Wofür sind Sie dankbar?
Das hilft zu relativieren, der Krise ihren Platz zuzuweisen. So beruhigen wir unsere Gedankengänge, wirken positiv auf unser Wohlbefinden (auch auf unsere Selbstheilungskräfte), sorgen für kraftvolle Energie und öffnen den Weg für das freie, assoziative Denken, haben damit immer wieder Zugriff auf unser Lösungswissen, auf Fähigkeiten und Ressourcen, können sie flexibel und mit Einfallsreichtum nutzen.

Versuchen wir, das Beste zu erwarten – und halten wir es mit dem deutschen Sprichwort: Wie es in den Wald hineinschalt, so schallt es heraus.

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Bildquelle: Frau mit OP-Maske von Juraj Varga (coyot) via pixabay.com, gemeinfrei

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