Jacob Grimm hat im Alter rückblickend über sich und seinen Bruder Wilhelm einmal geschrieben: „Schnell dahingeronnen ist unser Leben, wir hatten unsere Kräfte ehrlich angesetzt, dass unter den n&aumauml;chstfolgenden Menschen unser Andenken noch unverschollen sein wird, hernach mag es zuwachsen." Immerhin hatte er den Anspruch, noch in die folgende Generation hineinzuwirken. Aber wie sehr hat er sich getäuscht, denn vielen nachfolgenden Generationen sind die Brüder Grimm und ihre Werke aufs engste vertraut, und das bis heute.
Wer kennt sie nicht die Brüder Grimm? Fast jeder kennt sie, ob Erwachsener oder Kind, nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen Ländern auf der ganzen Welt.
Schon 1796 stirbt der Vater im Alter von 45 Jahren. Das ist ein schwerer Schicksalsschlag für die große Familie, denn die Mutter muss nun sechs Kinder durchbringen. Die finanzielle Not ist groß, doch leistet eine Schwester der Mutter wichtige Hilfe. Die Brüder ziehen im Jahr 1798 nach Kassel zu ihrer Tante und besuchen dort das Lyzeum.
Ab 1802 nimmt Jacob an der Universität Marburg das Studium der Rechtswissenschaften
Auf. Aus wirtschaftlichen Gründen soll alles sehr schnell gehen, allerdings kann Wilhelm dort erst ein Jahr später dasselbe Studium antreten, weil er wegen seines schweren Asthmas ein halbes Jahr lang nicht einmal sein Zimmer verlassen durfte. Ein Glücksfall für beide Brüder, vor allem Jacob, ist ihr Professor Friedrich Carl von Savigny, der die Begabung erkennt und beide persönlich fördert.
Die Brüder studieren zügig, da sie der Mutter und ihren unversorgten Geschwistern möglichst bald unter die Arme greifen wollen, doch zeigt sich ziemlich schnell, dass ihre Neigung immer mehr der alten deutschen Literatur gilt. Und ihr verehrter Rechtsprofessor Savigny schürt diese Leidenschaft unwillkürlich noch mehr, denn durch ihn kommen sie mit dem Geist der Romantik in Kontakt, die sie voll in ihren Bann ziehen und sie das ganze Leben lang nicht mehr loslassen.
Ursprünglich wollte Clemens Brentano selbst eine Sammlung mit Märchen herausgeben. Deshalb hatten ihm die Brüder Grimm ihre gesammelten Texte zugesandt, nicht ohne vorsichtshalber vorher noch eine Abschrift davon anfertigen zu lassen. Brentano lässt allerdings gar nichts mehr von sich hören, so dass sich die Brüder Grimm im Frühjahr 1812 endgültig dazu entschließen, die Märchen selbst zu veröffentlichen. Als Jacob und Wilhelm zur Veröffentlichung entschlossen sind, geht es doch ziemlich schnell, und so erscheint der erste Band der »Kinder- und Hausmärchen« am 20. Dezember 1812 in der Realschulbuchhandlung in
Berlin, also noch kurz vor Weihnachten.
Der zweite Band der »Kinder- und Hausmärchen« erscheint 1815. Natürlich haben die Brüder Grimm die aus mündlichen und schriftlichen Quellen gesammelten Texte für die Herausgabe teilweise stark bearbeitet. Zu Lebzeiten der Brüder Grimm erscheinen die »Kinder- und Hausmärchen« insgesamt in sieben, immer wieder neu bearbeiteten Auflagen, zuletzt 1857. Selbst die Brüder Grimm - eigentlich Wilhelm allein - hatten schon sehr früh, 1825, eine Auswahl von 50 Märchen zusammengestellt und herausgegeben. Diese »Kleine Ausgabe« wurde ganz wichtig, weil sie eine überschaubare Auswahl für Kinder bot. Sie wurde ein echter Verkaufserfolg.
In den vielen Jahren, die sie in Kassel leben, nämlich von 1806 bis 1829, sind Jacob und Wilhelm äußerst produktiv, nicht nur wegen der ersten Auflagen der »Kinder- und Hausmärchen«. Diese Jahre sind auch politisch ereignisreich, denn der Krieg gegen Napoleon geht weiter, die Verbündeten kämpfen sich bis Paris durch und Kaiser Napoleon wird 1814 gestürzt. Die Grimm-Brüder Ludwig Emil und Karl hatten an diesem Feldzug als Freiwillige teilgenommen. Während sich Wilhelm in dieser Zeit in Kassel um den gemeinsamen Hausstand kümmert und inzwischen die Anstellung als Bibliothekar erreicht, kommt Jacob als kurhessischer Gesandtschaftssekretär nach Paris.
Später ist Jacob nochmals auf einer beschwerlichen Schiffsreise nach Wien unterwegs. Dort nimmt er als kurhessischer Legationssekretär 1815 am WienerKongress teil. Auch in Wien sind Jacobs Gedanken gleichermaßen auf das wissenschaftliche Arbeiten in den Bibliotheken gerichtet.
In Kassel geht es nun an die Auswertung und Veröffentlichung mehrerer Werke der mittelalterlichen Literatur und es erscheint zwischen 1819 und 1837 in mehreren Bänden auch ein Standardwerk Jacobs, die »Deutsche Grammatik«. Daneben war bei den Brüdern schon länger der Plan gereift, neben den Märchen eine eigene Sammlung von Sagen herauszugeben.
1816 erscheint der erste Band »Deutsche Sagen«, 1818 der zweite. Auch hier haben die Brüder aus allen möglichen älteren und neueren Quellen zusammengetragen.
Die Brüder Grimm arbeiten in der Kasseler Zeit unermüdlich weiter. Aber es gibt auch familiär einige freudige Ereignisse: 1825 heiratet Wilhelm sein Dortchen. Von Jugend auf waren beide Brüder mit Dorothea Wild befreundet. Jacob bleibt sein Leben lang unverheiratet und fühlt sich
immer mit der Familie seines Bruders aufs engste verbunden. Wilhelms und Dortchens erster Sohn war 1826 im Kindbett gestorben, 1828 wird ihnen der Sohn Herman geboren.
Im Jahre 1829 erhalten die Brüder einen Ruf nach Göttingen. Mit dem Übergang von Kassel nach Göttingen 1830 beginnen Jacob und Wilhelm Grimm einen weiteren Abschnitt ihres gemeinsamen Lebensweges. Jacob wird Bibliothekar und Professor an der Universität, Wilhelm zunächst ebenfalls Bibliothekar, dann ab 1831 außerordentlicher, ab 1835 ordentlicher Professor. Dass der Anfang sehr schwierig ist, geht aus zahlreichen Äußerungen hervor, vor allem auch, was die zeitaufwändige und wenig fruchtbare Arbeit in der Bibliothek betrifft.
Das Leben der beiden Brüder verläuft nur scheinbar ruhig, denn 1830 kommt Wilhelms Sohn Rudolf zur Welt, 1832 folgt die Tochter Auguste. Aber nicht nur seine Frau Dortchen und sein Sohn Herman hatten mit Krankheiten zu kämpfen, auch Wilhelm selbst erwischt es in Göttingen
wieder schwer: Husten, Blutauswurf, Lungenentzündung, so dass er weitgehend arbeitsunfähig
ist und verschiedene Heilbehandlungen über sich ergehen lassen muss.
Wilhelms Zustand bessert sich allmählich, und 1831 wird er, neben seinem Bibliotheksamt, zum Professor ernannt, so dass er jetzt auch Vorlesungen halten muss über mittelalterliche Literatur. Trotz allem können die Brüder auch jetzt wissenschaftlichen Tätigkeiten nachgehen, und so gibt Jacob 1834 die alten lateinischen, mittehochdeutschen und mittelniederländischen Gedichte um »Reinhardt Fuchs« heraus, und 1835 erscheint sein umfassendes Werk »Deutsche Mythologie«.
In Kassel arbeiten die Brüder eifrig weiter, jetzt sogar entlastet von den alltäglichen dienstlichen Aufgaben. Wilhelm gibt weitere Werke der mittelalterlichen Literatur heraus, und beide entschließen sich nun, ein umfassendes »Deutsches Wörterbuch« zu erarbeiten. Sie beginnen sogleich mit der Arbeit, was ganzentscheidend für ihren weiteren Lebensweg werden sollte. Ihre stillen Kasseler Jahre währen nicht lange, denn schon 1840 heißt es wieder einmal: umziehen. Damit beginnt für die Brüder der letzte größere Lebensabschnitt.
Gemeinsam halten sich die Brüder 1846 in Frankfurt am Main auf, wo sie sich mit vielen anderen Kollegen zur Germanistenversammlung treffen. Die Versammlungen spielten nicht nur in beruflichen Fragen eine wichtige Rolle, sondern sollten auch immer stärker das Bild einer geistigen Einheit Deutschlands vermitteln. Wilhelm berichtet im Frankfurter Römer über die Arbeit am »Deutschen Wörterbuch«, Jacob wird auf Vorschlag des bekannten Germanisten und Dichters Ludwig Uhland zum Vorstand der Germanistenversammlung gewählt.
In Frankfurt wird1848 eine Nationalversammlung einberufen, die über eine Verfassung und die Einheit Deutschlands beraten soll. Jacob Grimm ist als Abgeordnete in diesem Parlament vertreten und schlägt in seiner Rede als Artikel 1 folgendes vor: „Alle Deutschen sind frei, und deutscher Boden duldet keine Knechtschaft. Fremde Unfreie, die auf ihm leben, macht er frei."
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Textquelle: Kurt Franz und Claudia Maria Pecher "Kennst du die Brüder Grimm?". Bertuch Verlag 2012.
Bildquelle:
Elisabeth Jerichau-Baumann "Doppelporträt der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm / Die Brüder Grimm" 1855; gemeinfrei, wikipedia
Grimms Kinder- und Hausmärchen, erster Theil 1812; gemeinfrei, wikipedia
Carl Rohde "Göttinger Sieben" 1837/38; gemeinfrei, wikipedia