Anna Seghers
Ulrike Unger
Eine Frau mit Charme und Phantasie
„Niemals besaß jemand auf der Welt so viel Charme und Phantasie wie Anna - so viel, so viel."
(Jorge Amado, brasilianischer Schriftsteller)
Der Blick auf Anna Seghers bleibt verengt, wenn man sie lediglich als eine DDR-Schriftstellerin betrachtet, die nach den kulturpolitischen Vorgaben ihrer Regierung schrieb. Die Geschichte der Anna Seghers ist aber weit mehr. Ihr Leben ist das einer deutsch-jüdischen Erzählerin, die in der Seele Kommunistin, lange Zeit Exilantin in Frankreich und Mexiko war und die Märchenstoffe genauso liebte wie das realistische Schreiben.
Als Netty Reiling kommt sie am 19. November 1900 in Mainz zur Welt. Sie ist das einzige Kind eines jüdischen Kunsthändlers und seiner Frau. Das Pseudonym Anna Seghers legt sie sich erst im Laufe ihrer ersten Veröffentlichungen zu. Der Name ist eine Hommage an den niederländischen Landschaftsmaler und Radierer Hercules Seghers aus dem 17. Jahrhundert. Nach dem Abitur geht sie nach Heidelberg und Köln, um Sinologie, Geschichte und Kunstgeschichte zu studieren. Die Autorin ist erst 28 Jahre alt, da bekommt sie für ihren Erstlingsroman „Aufstand der Fischer von St. Barbara" auf Vorschlag von Hans Henny Jahnn den angesehenen Kleist-Preis verliehen.
Weil sie sich der kommunistischen Idee verpflichtet fühlt, wird sie von den Nazis geächtet und überwacht. Ihre Bücher werden verbrannt. Bereits 1933 reist sie mit ihrem Mann, dem Ungarn László Radványi, und den Kindern Peter und Ruth über die Schweiz nach Frankreich aus. Jedoch ist das französische Nachbarland nach der deutschen Annektierung 1940 kein sicherer Ort mehr. Seghers kämpft mit Alltagswidrigkeiten, die Familie braucht ein Obdach, ihr Mann wird in einem Internierungslager in Südfrankreich festgehalten, die Furcht vor den Nationalsozialisten ist stets gegenwärtig.
Schriftstellerin Anna Seghers
1941 gelingt die Flucht nach Mexiko. Während ihres Aufenthaltes in dem lateinamerikanischen Land kann sie schnell Kontakte zu anderen Flüchtlingen knüpfen, vielleicht aufgrund ihrer Geselligkeit und Unermüdlichkeit. Sie engagiert sich im Heinrich-Heine-Club, einer Künstlervereinigung, die sie mitgründet und die als Plattform für den künstlerischen Austausch ihrer Mitglieder dient. Weiterhin verfasst sie Beiträge für die Exil-Zeitschrift „Freies Deutschland". Anna Seghers hat im Vergleich zu manch anderen Schriftstellerkolleginnen und -kollegen kaum Schwierigkeiten, ihren Beruf in der Fremde fortzusetzen. Man könnte sogar behaupten, die Jahre im Ausland waren ihre kreativste Schaffensphase.
Ihr erfolgreichstes Buch „Das siebte Kreuz" schreibt sie 1938 in den geschäftigen Straßencafés von Paris. Zunächst erscheint der Roman in englischer Sprache in den USA und in einer deutschen Ausgabe in Mexiko. Nach der Veröffentlichung wird er mit Spencer Tracy in der Hauptrolle in Hollywood verfilmt. Als Handreichung erhalten es US-amerikanische Soldaten auf ihrem Weg in den Kampf gegen Hitlerdeutschland.
Aus der Bahn geworfen wird sie, als sie im Sommer 1943 in einen heftigen Verkehrsunfall gerät. Sie überlebt, kommt mit schweren Kopfverletzungen davon, die eine langwierige Genesung nach sich ziehen. Sobald es ihr besser geht, schreibt sie wieder. Sie verarbeitet die Konfrontation mit dem eigenen Tod und die Deportation der Mutter in Deutschland, der sie nicht helfen konnte mit ihrer eindringlichen Erzählung „Der Ausflug der toten Mädchen." Im Nachgang hat Seghers die Erlebnisse in Mexiko als wichtige und gewinnbringende Erfahrung für sich selbst analysiert. Kurz vor ihrer Rückkehr nach Berlin nimmt sie gemeinsam mit ihrem Mann die Staatsbürgerschaft ihres Exillandes an.
1947, wieder in Berlin , fühlt sie sich einsam. Ihre Werke sind hier unbekannt, viele Freunde durch die Nationalsozialisten umgekommen oder noch immer im Ausland. Widersprüchlich sind ihre Gefühle ihrem einstigen Mutterland gegenüber. Sie schämt sich für dessen Taten und dafür, dass sie dessen Sprache spricht. In Westberlin bleibt sie nur kurz, sie entscheidet sich nach Ostberlin überzusiedeln, weil sie sich mit den Zielen der sowjetischen Führung besser identifizieren kann. 26 Jahre ist sie Präsidentin des Schriftstellerverbandes der DDR. Sie ist auf verschiedene Arten am kulturellen Leben des sozialistischen Staates beteiligt, unter anderem als Mitglied des Weltfriedensrates.
In den beiden deutschen Staaten hat es während des Kalten Krieges stets eine sehr kontrastreiche Bewertung des Werkes der Anna Seghers gegeben. Im westlichen Teil Deutschlands blieb sie lange eingeengt auf ihre Rolle als angepasste DDR-Schriftstellerin. Mittlerweile verschafft man sich allmählich Zugang zu den vielen inhaltlichen Gestaltungsvarianten der Seghers-Texte. So weisen ihre späten literarischen Erzeugnisse h&aumauml;ufig Elemente aus transkulturellen Kontexten auf. Anna Seghers verarbeitete Einflüsse des karibischen Raumes („Drei Frauen aus Haiti") und aus Lateinamerika („Das wirkliche Blau"). Auch die Welt der Märchen und Sagen hat sie geliebt, sie gab dieser Leidenschaft Ausdruck in ihren eigenen fantastischen Erzählungen, wie die vom „Räuber Woynok" oder den „Sagen von Artemis".
In einem Berliner Pflegeheim stirbt Anna Seghers am 01. Juni 1983. In Berlin-Adlershof, der letzten Wohnung der Autorin, befindet sich heute ein Museum zu ihrem Leben und Werk.
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Quellen:
• http://www.uni-potsdam.de/u/germanistik/literatur20/Seiten/biographie.htm#6
• http://golm.rz.uni-potsdam.de/Mexiko/Rabe/seghers_in_mexiko.htm
http://www.anna-seghers.de/dokumente/bellin_segherswohnung.pdf
• http://www.tierradenadie.de/archivo/literatura/seghers/annaseghers1.htm
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Bildquellen:
Vorschaubild, Anna Seghers, Bundesarchiv, Bild 183-F0114-0204-003 / Hochneder, Christa / CC-BY-SA
Anna Seghers mit Blumenstrauß, Bundesarchiv, Bild 183-P1202-317 / Sturm, Horst / CC-BY-SA