Vor über 200 Jahren im damaligen Deutschen Reich, (jetzt Deutschland), erblickte in Braunschweig ein Mädchen mit dem Namen Bertha Maria von Bülow das Licht der Welt. Sie entstammte der altadeligen Sippe von Bülow. deren Stammbaum sich hunderte von Jahren nachweisen lässt. Bertha war der Spross einer uralten Familie.
In Berthas Familie wurde nur deutsch gesprochen. In ihrem Geburtsjahr eroberte der Kaiser Napoleon von Frankreich die Stadt Braunschweig. Das führte dazu, dass viele gebildete Bürger französisch zu sprechen begannen, so auch die kleine Bertha.
Daneben liebte es die kleine Bertha, allein im Garten auf der Steinmauer unter dem Geäst eines Birnbaumes zu lesen.
Da die Stadt Braunschweig jetzt zum Französischen Kaiserreich gehörte, bekamen die Kinder von Bülow von Mamsell Ruppel, einer Privatlehrerin, Französischunterricht. Diese Mamsell lebte und unterrichtete in einem alten Steinhaus. In der Winterzeit trugen die Mädchen neben Pelzmützen auch Pelzmuffs, um darin mit Bratäpfeln ihre Hände warm zu halten. Die Brüder trugen Handschuhe.
Warum nur war die kleine süße Bertha so aufgeregt? Sie hüpfte im Kreis herum, lachte und und konnte gar nicht still sitzen. Ja, heute war ihr Geburtstag. Alles erschien ihr wie ein schöner Traum. Zwitscherte da nicht ein Spatz sein Vorfrühlingsliedchen? Mit etwas Glück könnte sie draußen an der Südmauer die ersten Veilchen finden, mit diesem wunderbar betörenden Duft.
Jetzt trat ihre Gouvernante mit einem höflichen Knicks ein, lächelte fröhlich und trug Bertha in die Küche. Dort dampfte es aus dem hölzernen Waschzuber heraus, Kernseife lag bereit und im Wasser schwamm ein Stückchen Holz, ihr Spielzeug.
Nach dem Bad wurde sie angezogen. Ihr Sonntagskleidchen war frisch gewaschen und gestärkt und duftete sanft nach Lavendelblüten. Alle Dienstmägde schauten sie so erwartungsvoll an; die Gouvernante war ganz sanft und leise. Am Nachmittag sollte es ein Geburtstagskränzchen geben und es war ihr Geburtstagswunsch gewesen, dass ihre einzige Freundin Chantal Marie sie besuchen dürfte, nur für eine Stunde, bettelte sie ihre Frau Mutter an.
TatsächIich fanden sich gerade genug Anemonen und Veilchen, und alles Gesinde half den zarten Blütenkranz zu winden. Höchste Zeit nun, denn die Geschwister mahnten zur Eile, denn ein feiner Duft von Gebackenem durchzog das Haus. Die Türe zur Guten Stube gab den Blick frei auf einen mächtig großen Gugelhupf mit sechs brennenden Kerzen herum, und die schönste Freude für Bertha war, dass sie ihre Freundin sah. Es war eine herzliche Begrüßung, jedes Mädchen knickste schamhaft zu Boden schauend, während die Junker mit tiefer eleganter Verbeugung grüßten. Die Gouvernante spielte auf dem Klavier das Geburtstagsliedchen, in das alle einstimmten.
Berta hob die Augen. Die zierliche Teetasse lag noch in ihrer Hand und ruhte auf dem schönen Porzellanteller, auf welchem sie ihren Besuchern am Nachmittag Kaffee und Kuchen angeboten hatte. Sie befand sich nun nicht mehr in ihrem Kinderzimmer mit dem großen Gugelhupf, sondern im Salon ihrer Wohnung in Berlin, wo sie so gerne las und sich mit Freunden über den Kindergarten unterhielt. Hinter ihr stand auf einem Podest eine große Büste Friedrich Fröbels. Natürlich, so erzählte sie ihren Gästen, hätte sie ihn gut gekannt und ihm sogar geholfen, die ersten Kindergärten der Welt zu gründen.
Während ihre Gäste noch den säuerlichen Johannisbeerkuchen mit Schlagsahne aßen, brachte Bertha sie plötzlich zum Lachen, als sie von einem denkwürdigen Abendessen mit Herrn Fröbel und der Familie der Herzogin Ida von Weimar erzählte. Die Herzogin war mit vielen Fürsten, Königen und Königinnen verwandt. Sie war sehr freundlich und immer auf Etikette bedacht. Sie hatte von der neuen Kindergartenidee gehört und daraufhin Bertha und Friedrich um Abendessen eingeladen. Als nun alle ihre Plätze unter dem glitzernden Kronleuchter eingenommen hatten und die Suppe serviert werden sollte, roch es plötzlich nach Kuhstall und Heu. Alle kicherten! Es war der Mantel von Herrn Fröbel, den er zu Hause immer in der Nähe des Stalles aufzuhängen pflegte. Auf diese Weise hatte er einen ganzen Bauernhof zum Abendessen mitgebracht. Die Kinder aber hätten nicht glücklicher sein können.
Der preußische König hatte auch von Friedrich Fröbels Kindergarten gehört. Er liebte Kinder, dachte aber, sie sollten auf herkömmliche Weise pauken und nicht so viel spielen. Er hatte Angst, sie würden Zeit vergeuden, wenn sie spielen. Er hatte nicht erstanden, dass man beim Spielen lernt, und wenn das dann auch noch Spaß macht, dann lernt man alles noch leichter. Bertha war zwar mit der Königin befreundet, aber der König wollte nicht auf sie hören. Bald verbot er den Kindergarten und schloss alle schon eröffneten Einrichtungen.
Obwohl Bertha, Friedrich, Herzogin Ida und die kleinen Prinzessinnen traurig waren. wussten sie, dass eines Tages alles anders sein würde. Je mehr Leute einsahen, was Kindergarten wirklich bedeutet und wie glücklich die Kinder dort sind, desto eher würden Kindergärten wieder eröffnet werden können. Bertha wandte sich an Lehrer in ganz Deutschland. Sogar aus England und Amerika kamen Gäste, um mit ihr zu reden. Sie saß immer in der Nähe der großen Fröbelbüste, damit ihre Gäste sehen konnten, wie er aussah. Die Fotografie steckte ja in jenen Tagen noch in den Kinderschuhen, so dass man das Aussehen von Menschen nur über Gemälde, Zeichnungen und Statuen verbreiten konnte.
„Tante Baronin" flüsterte Berthas Nichte. Sie war ja auch Baronin, aber viel jünger.
"Warum geben Sie sich täglich so viel Mühe zu erklären, was Kindergarten ist? Warum sprechen Sie ständig von Friedrich Fröbel, den Lehrerinnen und den Kindern so, als wäre es längst vergangen?"
„Meine liebe Nichte", antwortete sie und ihre blauen Augen funkelten. "Wenn Kinder glücklich sind, dann haben sie ein erfülltes Leben. Sie können alt werden, mit ihren
Freunden Kaffee trinken und das Leben genießen. Das ist ein Geschenk für alle Kinder. Meine Brüder und Schwestern, Chantal Marie und ich, waren sehr glücklich. Herr Fröbel war der selben Meinung. Im Kindergarten sind allein die Kinder wichtig. Kinder spielen und wachsen, sie lernen, während sie singen und zeichnen. Das ist für sie mein Geburtstagswunsch für ewig. Ich werde den ersten Kindergarten nie vergessen."
Mit diesen Worten gab ihr die Nichte einen Kuss auf die Stirn und drückte ihr die Hand. Mit Freudentränen in den Augen sagte sie leise: "Herzlichen Glückwunsch,
Tante Baronin. Von mir und allen Kindern der Welt."