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Bertuch´s Weltliteratur für junge Leser

In dieser von Prof. Wolfgang Brekle herausgegebenen Reihe stellen namhafte Literaturexperten bedeutende Autoren vor und erleichtern den Zugang zu ihren Werken. Die Reihe findet großen Anklang und wurde schon zweimal von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur zum Buch des Montas gewählt.

Reinhild Gräfin von Hardenberg

Reinhild Gräfin von Hardenberg

Ursula Brekle

Carl-Hans Graf von Hardenberg
Carl-Hans Graf von Hardenberg

Die Standesherrschaft Neuhardenberg, 70 km östlich von Berlin gelegen, war ein idealer Ort für die Treffen, für vorbereitende Gespräche und Aktivitäten der Widerständler um Klaus Graf Schenk von Stauffenberg für den 20. Juli 1944.

Carl-Hans Graf von Hardenberg, Ururgroßneffe des preußischen Reformers Karl August Fürst von Hardenberg, hatte 1921 die Standesherrschaft übernommen und sich erfolgreich als Deutschnationaler in der Kommunalpolitik betätigt. Er trat nach der Machtergreifung Hitlers von allen politischen Ämtern zurück und verweigerte sich früh den Nationalsozialisten. Der Graf gehörte zum führenden Kreis der Verschwörer, die planten, mit Hilfe der Walküre-Pläne Adolf Hitler zu töten, Deutschland vom Terror zu befreien, die Massenmorde an den Juden und den verlustreichen Krieg zu beenden.

Im Schinkel-Schloss Hardenberg ging ein engerer Kreis der Widerständler aus und ein, dazu gehörten Henning von Tresckow, Ludwig Beck, Axel von dem Bussche, Werner von Haeften, der mit Reinhild verlobt war, Wilhelm Leuschner, Fritz-Dietlof von der Schulenburg, um nur einige zu nennen. Woran arbeiteten diese Männer konkret: In Teilen an den Walküre-Befehlen, an Notstandsverordnungen und ersten Verwaltungsentscheidungen usw., denn nach dem Umsturz sollte Graf Hardenberg Oberpräsident von Berlin und der Provinz Brandenburg werden, und er bereitete sich gewissenhaft darauf vor.

Werner von Haeften und Reinhild Gräfin von Hardenberg als Verlobte
Werner von Haeften und Reinhild Gräfin von Hardenberg als Verlobte

Seine Tochter Reinhild, genannt „Wonte", geboren 1923, stand ihm nicht nur menschlich sehr nahe, sondern war als seine Sekretärin und engste Vertraute in die Aktivitäten des Widerstandes eingebunden. Sie nahm an vielen Gesprächen teil, stenographierte teilweise mit oder schrieb nach den Gesprächen die Inhalte nieder, damit der Vater im Detail an den Dokumenten mit ihrer Unterstützung arbeiten konnte.

Wie gelang es ihr, den Quälereien in den Verhören und in der Gestapo-Haft nicht nachzugeben und standhaft zu bleiben?

Zunächst war es Graf Hardenberg gelungen, den Bendlerblock am 20. Juli 1944 rechtzeitig zu verlassen und nach Hause zurückzukehren. Seine Ehefrau Renate und „Wonte" waren tief bestürzt über das Scheitern. Verzweiflung und Enttäuschung dominierten, Trauer um Werner von Haeften, Ordonanzoffizier von Klaus Schenk Graf von Stauffenberg, beide waren noch in der Nacht erschossen worden. Bis zu ihrer Verhaftung am 24. Juli lag ein enormer Druck auf Vater und Tochter, doch gelang es, belastende Papiere zu vernichten, sich auf die Verhöre der Gestapo einzustellen und Strategien zu entwickeln. Reinhild wird später schreiben: Es war „eine entsetzlich schwere Zeit". Dann die Verhaftung: Graf Hardenberg versuchte, sich zu erschießen, um bei der Folter durch die SS keine Kameraden zu verraten. Schwer verwundet und verhandlungsunfähig wird er das KZ Sachsenhausen überleben.

Reinhild Gräfin von Hardenberg, genannt "Wonte"
Reinhild Gräfin von Hardenberg, genannt "Wonte"

Die Tochter wird zunächst in Moabit inhaftiert. Dort musste sie unter primitivsten Bedingungen hausen, in einer zweieinhalb Mal drei Meter großen Zelle. Die Einzelhaft dauert 10 Wochen. Die Folterbedingungen waren Myriaden von ausgehungerten Wanzen, ständiger Hunger - Hunger als Folter eingesetzt, in der heißen Jahreszeit blieb das Fenster geschlossen, in der kalten geöffnet und die Gefangene erhielt keine Kleidung. Dennoch wird sie schreiben: „Eingesperrt sein war mir am Anfang egal." In den Nächten tobten Luftangriffe, aber die „Untersuchungsgefangene Hardenberg, Zelle 31, politisch" durfte wie die anderen „politischen" nicht in den Luftschutzkeller. Angst und Verzweiflung erfassten sie. Reinhild Gräfin von Hardenberg, 21 Jahre alt, musste ganz auf sich allein gestellt mit sich ins Reine kommen. Sie betrachtete die Einzelhaft als Exerzitien. Ein Neues Testament und ein Gesangbuch hatte sie bei sich, lernte Texte auswendig und sang. Sie sammelte Zeitungsfetzen, die als Klopapier verteilt waren, um die Namen von Toten zu erfahren, denn Tote konnte sie in den Verhören belasten. Als sie vom Todesurteil ihrer Bekannten Elisabeth von Thadden las, packte sie Todesangst, sie fürchtete, nicht aufrecht und in Würde zum Schafott gehen zu können. Die Gestapo verhörte in der Nacht, viele Stunden lang. Zur Methode gehörte der schnelle Wechsel von Schmeicheleien und Brutalitäten. Fünf Verhöre hatte sie über sich ergehen lassen müssen. Ihr Vernehmer war ein SS-Obersturmbannführer, der nach dem Krieg zu einer vierfachen Todesstrafe verurteilt werden sollte. Reinhild hat mit keinem Wort Werner von Haeften belastet. Andere Tote musste sie belasten, denn die Gestapo wusste einiges. Zum Beispiel hatte ein abgefangener Brief an den Verlobten die Beziehung offenbart. Auch über die Aktivitäten ihres Vaters schwieg die junge Gräfin und rettete wohl sein Leben. Nach den vielen Besuchern in Neuhardenberg befragt, gab sie an, dass ihre drei schönen Schwestern von Bewerbern und ihren Freunden umlagert waren. Es gelang ihr in den Verhören, die Lebenden heraus zu halten.

Wie die Gestapo die Verhöre beurteilte, erfuhr sie viele Jahre später von Fabian von Schlabrendorff, der in den USA Akteneinsicht in die Gestapo-Akte erhielt. Dort stand quer über die Akte geschrieben: „Weiß mehr als sie zugibt." Sie wusste viel mehr. Hätte sie ausgesagt, wären noch mehr Männer gehängt worden. Nach fast fünf Monaten Haft wurde Reinhild plötzlich nach Hause entlassen. In der Freiheit brach sie zusammen und erlitt einen Nervenzusammenbruch, von dem sie sich nur schwer erholen konnte.

Renate Gräfin von Hardenberg
Renate Gräfin von Hardenberg

Was ihr blieb aus dieser Zeit sind die lebenslangen Freundschaften mit anderen betroffenen Frauen, die in Moabit geknüpft worden sind, mit Clarita von Trott zu Solz, die als ganz junge Frau schwer unter der Wegnahme ihrer beiden kleinen Töchter litt, mit Barbara von Haeften, die ihre Schwägerin geworden wäre und der man fünf Kinder weggenommen hatte. Und Hilde Mertz von Quirnheim. Keine Mutter wusste, wo sich die verschleppten Kinder aufhielten und wie sie lebten.

Das Ehepaar Graf Carl- Hans und Gräfin Renate Hardenberg werden nach dem Kriegsende Mitbegründer des Hilfswerkes 20. Juli 1944. Gräfin Renate setzte sich bis zu ihrem Tod als erste Geschäftsführerin des Hilfswerkes unermüdlich und resolut für die Probleme der Hinterbliebenen, vor allem der Kinder ein.

Der große Besitz Neuhardenberg wurde in der Sowjetischen Besatzungszone entschädigungslos enteignet. Die Familie war 1946 nach Nörten-Hardenberg in der Nähe von Göttingen übergesiedelt.

Erst 58 Jahre später wird Reinhild Gräfin von Hardenberg in ihrem autobiographischen Buch „Auf immer neuen Wegen" über diese „entsetzlich schwere Zeit" in ihrem Leben schreiben können. Sie war bescheiden, hielt ihr eigenes Wissen an den Plänen und ihren Anteil am Widerstand zurück, fühlte sich dem Andenken ihres Vaters verpflichtet. Diese „besinnungslos mutige" Frau (Zitat nach Gräfin Dönhoff), die den Männern nicht nachstand, dem Terror der Gestapo standhielt, lebt heute aus gesundheitlichen Gründen in einem Seniorenstift.

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Quelle: Reinhild Gräfin von Hardenberg: Auf immer neuen Wegen. Berlin 2003

Fotos: Friedrich-Carl Graf von Hardenberg

"Wonte" im Kreis der Geschwister, links Friedrich-Carl Graf von Hardenberg
"Wonte" im Kreis der Geschwister, links Friedrich-Carl Graf von Hardenberg

Die Autorin dankt Friedrich-Carl Graf von Hardenberg für seine freundliche Unterstützung und den Hinweisen und für die Bereitstellung der Familienbilder. Als einziger Bruder von Reinhild Gräfin von Hardenberg „war er in der Zeit des Geschehens bei der Wehrmacht und weitab von Neuhardenberg... Der Vater hielt die übrigen Geschwister fern von seinen Aktivitäten im Widerstand nach dem Motto: Wer nichts weiß, kann nichts verraten."
(Zitat aus dem Brief von Friedrich-Carl Graf von Hardenberg vom 22.05.2010 an die Autorin.)

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