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Schizo

Schizo

Florian Russi

Das altgriechische Wort „Schizo“ bedeutet „ich trenne, spalte oder zerreiße“ und kommt als Stamm in vielen heute gebräuchlichen Wörtern vor. Da sind z. B. die Wörter schizophren (ich-gestört, mit gespaltener Psyche), Skizze (Abriss), Schisma (Spaltung), scheitern, scheiden, Scheide oder Scheiße. Schizoid bedeutet widersprüchlich und Widersprüchlichkeit ist für den großen Philosophen Karl Popper der Anlass, Probleme zu erkennen und nach neuen und besseren Lösungen zu suchen. Wir heute Lebenden haben allen Grund, schizoide Entwicklungen in unseren Staaten und Gesellschaften zu hinterfragen und sie zu ändern.

Die modernen Technologien haben die Menschen auf dem gesamten Erdball näher zusammengeführt. Es ist uns bewusst geworden, wie klein unsere Welt ist. Globalisierung sollte dazu führen, uns friedlicher, offener und verständnisvoller werden zu lassen. Stattdessen erleben wir immer mehr erhöhte Aggressivität, nationalen Egoismus und Narzissmus, Grenzverstärkungen, Machtstreben, Isolation, Rassismus und Fremdenhass. Anstatt sich auf allgemeine Wohlfahrt, friedlichen Handel und wissenschaftlichen Fortschritt zu konzentrieren, wird um Macht und Einfluss gekämpft und dabei vorgegeben, dass man die Interessen „seines“ Volkes vertritt. Nennen wir einige Beispiele:

„America first!“ In den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts hatte Amerika damit zu kämpfen, dass es in vielen Ländern der Welt als „ugly“ (hässlich) angesehen wurde. Viele wissenschaftliche Institutionen in den USA wurden damit befasst, dieses Phänomen zu erklären und ihm entgegen zu arbeiten. Zurzeit ist der amerikanische Präsident dabei, dieses Bild wieder zu verschärfen. Das wird dazu führen, dass die USA immer mehr Freunde verlieren werden, und kein Land kann es sich auf Dauer leisten, ohne verlässliche Verbündete und Freunde da zu stehen. In der internationalen Friedensforschung sprach man immer wieder von der Wichtigkeit „vertrauensbildender Maßnahmen“. Sehr schnell kann aus dem „America first“ ein „America worst“ werden.

Wenn es um die Integrität Europas geht, wird oft vorgebracht, dass man das christliche Abendland“ von der Infiltration durch den Islam schützen müsse. Als dann Kriegsflüchtlinge aus Kleinasien und Afrika in Europa Rettung suchten, zeigten die meisten europäischen Staaten, was sie unter Christentum verstehen: Nicht das höchste christliche Gebot, die Nächstenliebe, sondern kalte Abweisung.

Dies soll kein Plädoyer für die unbegrenzte Aufnahme von Migranten sein, doch von vielen Ländern wurde gar nicht erst der Versuch unternommen, eine humane Lösung für das Flüchtlingsproblem durchzusetzen. Besonders hervorgetan hat sich dabei der ungarische Ministerpräsident Orban. Dabei hat er hoffentlich nicht historische Vorbilder in Erwägung gezogen. Das Volk der Magyaren (Ungarn) stammt ursprünglich aus dem Gebiet des Kaukasus. Aus Gründen, die nur bedingt nachvollziehbar sind, wirtschaftliche Not und Vertreibungen spielten dabei eine Rolle, zog es die Ungarn nach Pannonien, dem Gebiet, in dem sie heute noch ihre Heimat haben. Doch das reichte ihnen nicht aus. Sie drangen sengend und brennend nach Westen, bis nach Spanien vor und raubten die überwältigten Völker aus. Erst nachdem sie 955 n.Chr. von Otto dem Großen auf dem Lechfeld vernichtend geschlagen worden waren, zogen sie sich wieder in ihr Ausgangsgebiet zurück. Ein Vorbild?

Besonders schizoid geriert sich die AFD in Deutschland. Diese Partei hofiert den russischen Präsidenten Putin. Der lässt in Syrien Städte und Dörfer bombardieren, worauf Millionen Menschen, um ihr Leben zu retten, aus ihrer Heimat flüchten und in Europa Schutz suchen wollen. Dadurch entsteht in Deutschland und Europa ein Flüchtlingsproblem, und die AFD spielt sich als die Partei auf, welche die Deutschen vor dem Zuzug von Flüchtlingen schützen müsse. Ist das nun ein hinterhältiges Geschäft oder Schizophrenie? Der AFD-Vorsitzende Gauland hat erklärt, die Zeit des Nationalsozialismus sei ein Vogelschiss in der deutschen Geschichte gewesen. Er behauptet, das deutsche Volk zu vertreten und beleidigt Millionen Deutsche, die unter der Herrschaft der Nazis zu leiden hatten, um ihr Leben gebracht, körperlich oder seelisch verletzt und misshandelt wurden, ihre Kinder, Mütter, Väter, Ehepartner, Freunde oder Geliebte verloren haben, bittere Not litten, aus ihrer Heimat vertrieben und, wie die Familie des Thüringer AFD-Vorsitzenden, zu Migranten wurden. Wo blieb der Staatsanwalt, der diese unverschämte Massenbeleidigung geahndet hat? Gerade im Falle der AFD ließe sich die Reihe der Widersprüche lange fortsetzen. Hier mag es genügen, einige typische Beispiele zu benennen.

Richten wir uns wieder an den großen Karl Popper. Er sah in der Aufklärung und Bekämpfung der Widersprüche den Weg zu Glück und Fortschritt für alle Menschen.

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Vorschaubild: Петар Аризанкоски [CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)]

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