Fast jeder kennt den Duden; als wichtiges Hilfsmittel zur „rechten“, sprich richtigen Schreibung der Wörter unserer deutschen Sprache hat ihn wohl jeder schreibkundige Deutsche mindestens einmal im Laufe seines Lebens benutzt – und sei es zuletzt in seiner Schulzeit. Er ist wegen seiner praktischen Nützlichkeit seit nahezu eineinhalb Jahrhunderten schlicht das populärste deutsche Wörterbuch, ja fast schon so etwas wie eine öffentliche Autorität. Die Deutsche Bundespost widmete ihm zum 100. „Geburtstag“ deshalb sogar eine Sonderbriefmarke mit Ausschnitten aus den beiden Ausgaben von 1880 und 1980 zum Eintrag „That/Tat“. In der Tat eine würdige (postalische) Verneigung vor dem „Volkswörterbuch“ der Deutschen.
Das in seinem Ursprung nun schon fast 140 Jahre alte Werk versteht sich selbst als „DIE maßgebliche Instanz“ in Sachen Rechtschreibung, wie der herausgebende Verlag es werbend selbst benennt. Dabei ist er, der Duden, seit der nicht unumstrittenen Neuregelung der deutschen Rechtschreibung 1996 amtlich ja gar nicht mehr maßgeblich; im August 2017 konnte trotzdem seine 27. Auflage im Printbereich vorgestellt werden. Seit 2011 gibt es ihn auch kostenlos online zum Nachschlagen, als Duden-Online-Wörterbuch mit 230.000 Einträgen – selbstverständlich auf der Webseite „duden.de“.
Herausgebender Verlag ist seit 1880 das „Bibliographisches Institut“, das 1874 in Leipzig ansässig geworden war. Der Verlag machte das über bisher 27 bearbeitete Auflagen immer wieder erneuerte Werk zum Sachbuch-Longseller ohnegleichen und zum Synonym für Ratgeber zur deutschen Orthographie schlechthin: der Duden wurde zum Begriff, ja sogar zum Standard für Rechtschreib- und Sprachkompetenz.
Die weitere Erfolgsgeschichte kann und soll hier nicht erzählt werden. Nur so viel noch: „Der Duden“, wie das Wörterbuch wegen des großen Erfolgs bald nur noch verkürzt nach seinem „Erfinder“ hieß, wurde eine Marke und später sogar zum Programm. Es gab ihn nach dem Zweiten Weltkrieg – wie so vieles andere im Verlagswesen im Kontext der deutschen Teilung –sogar doppelt, mehr als vier Jahrzehnte lang, von 1947 bis 1991: einen Leipziger und einen Mannheimer Duden. Seit dem „Einheitsduden“ der 20. Auflage von 1991 existiert aber unter dem Label „Duden“ wieder nur ein Nachschlagewerk zur deutschen Rechtschreibung, das fortan in den beiden Dudenredaktionen des Bibliographischen Instituts in Leipzig und Mannheim gemeinsam erarbeitet wurde. Mit der Schließung der Leipziger Niederlassung 2009 und dem Umzug des Mutterverlages von Mannheim nach Berlin veränderte der Duden 2013 nochmals seine Herkunft. „Der Duden ist ein Berliner“, titelte eine Zeitung damals mit bewusstem Bezug zu einem berühmten historischen Ausspruch eines amerikanischen Präsidenten. Seit 2013 erscheint der Duden also in der deutschen Hauptstadt Berlin – immer noch im Verlag Bibliographisches Institut, aber der ist seit 2009 in die Cornelsen Verlagsgruppe integriert. Übrigens, was kaum jemand weiß: Fast wäre der Duden in seiner langen Geschichte nach 1945 sogar einmal ein Tauchaer geworden, also ein Kleinstädter in Nordsachsen.
Ursprünglich war der Duden aber von der gedruckten „Herkunft“ her ein Leipziger und das gleich doppelt: Denn im Herbst 1872 erschien im Verlag B. G. Teubner, ein ursprünglich am Leipziger Augustusplatz ansässiger bedeutender Schulbuchverlag, die erste Auflage unter dem vollständigen Namen „Die Deutsche Rechtschreibung. Abhandlung, Regeln und Wörterverzeichniß mit etymologischen Angaben. Für die oberen Klassen höherer Lehranstalten und zur Selbstbelehrung für Gebildete“. Sie war zusammengetragen worden von einem gewissen Dr. Konrad Duden[Andreas S1] , der von 1869 bis 1876 als Direktor des Humanistischen Gymnasiums „Rutheneum“ im heute thüringischen Schleiz wirkte, damals eine Kleinstadt im Kleinstaat Fürstentum Reuß jüngere Linie. Diese eigentlich erste Ausgabe wird nach ihrer Herkunft inzwischen auch „Schleizer Duden” genannt. Das fundamental Neue an diesem Werk war eine heute nahezu selbstverständlich erscheinende Tatsache: Eine Begründung der Regeln zur deutschen Orthografie hatte der Autor kombiniert mit einem Wörterverzeichnis, um – wie er es selber formulierte – ein Hinübergreifen vom Schulbuch zur „Selbstbelehrung für Gebildete“ zu erreichen.
Die eigentliche Erfolgsgeschichte des Duden begann aber erst 1880, als der Verlag Bibliographisches Institut, Spezialist für Nachschlage-Werke, den Titel in sein Programm aufnahm, erweitert als „Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Nach den neuen preussischen und bayerischen Regeln“ – der „Ur-Duden“ erblickte das Licht der gedruckten Welt. Sein Herausgeber und Autor Konrad Duden amtierte inzwischen seit 1876 als Direktor des Königlichen Gymnasiums zu Hersfeld in der preußischen Provinz Hessen-Nassau und war somit Beamter im preußischen Schuldienst geworden. Die ersten Auflagen bearbeitete Konrad Duden noch allein und mit Hilfe des Verlages; nach seinem Tod 1911 war die Dudenredaktion des Verlages alleinverantwortlich. Inzwischen war das Werk im Gefolge der Rechtschreibkonferenz von 1901 durch Bundesratsbeschluss vom 18. Dezember 1902 für alle deutschen Staaten als bindend erklärt worden. Dies blieb fast das ganze Jahrhundert so, bis zur nicht nur bezüglich des Duden-Sockelsturzes so folgenreichen Rechtschreibreformkonferenz von 1996.
Was war nun das Besondere an diesem Werk, dass es diesen fast über anderthalb Jahrhunderte anhaltenden Erfolg erreichte? Das Geheimnis des großen Erfolgs ist wohl leicht auf einen Begriff gebracht: Der Duden war zunächst schlicht notwendig geworden und er wurde in der Folge immer wieder neu gebraucht: als eine Autorität, als eine Richtschnur in Sachen richtiger Schreibung deutscher Wörter und dies in allen deutschsprachigen Ländern. Denn der Duden gab Sicherheit – in allen orthographischen Belangen, von der Schule bis ins Büro, vom Amt bis zum Gesetzblatt. Zwar existierten zu seiner Entstehungszeit seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schon gewisse Sprachnormen, aber auch viele Schwankungen und Unterschiede in der vorherrschenden Orthograpfie, festzumachen an den zahlreichen orthografischen Doppelformen wie beispielsweise „Classe“ bzw. „Klasse“ oder „gesamt“ bzw. „gesammt“ und vor allem am andauernden Streit zwischen den germanistischen Schulen, der verkürzt gesagt um konträre Prinzipien bei der richtigen Schreibung der Wörter ausgetragen wurde: auf der einen Seite Orientierung am phonetischen Prinzip, also am gesprochenen Wort, an der lebendigen Sprache, auf der anderen Seite die starre Fixierung an der Wortherkunft, also an einem früheren Zustand der Sprache, etwa das Mittelhochdeutsche. In diesem Kontext wurde so, um nur eines der prominenten Beispiele zu nennen, die vorzugsweise Schreibung von „Leffel“ statt gesprochen „Löffel“ eingefordert. Die Jahre vergingen, der Streit blieb. Man konnte und wollte sich nicht einigen, ob nun richtig zum Beispiel „Compagnie“, „Kompagnie“ oder „Kompanie“ zu schreiben sei. Ähnlich sah es für „Accent“ oder „Akzent“ aus, für „Litteratur“ oder „Literatur“ sowie Verben mit der Nachsilbe „-iren“ oder „-ieren“, um nur einige wenige der vielen Beispiele zu nennen. So hatte sich in den Jahren nach 1850 in der geschriebenen deutschen Sprache ein weithin ungeordneter Zustand ergeben. Dass es kein allgemein anerkanntes Richtmaß für die richtige Schreibung der Wörter gab, machte sich besonders in den Schulen und in den Druckereien bemerkbar. Also kam von dort auch die Lösung.
Und sie kam mit Konrad Duden. Aus der schulischen Praxis in der Provinz und von einem Nobody, nicht von einer 1a-Koryphäe auf einer der zahlreichen universitären Eliteanstalten der Sprachwissenschaft, nicht von einem Übervater der Germanistik wie etwa Jacob Grimm! Als Schulpraktiker hatte Konrad Duden zunächst einen verbindlichen Katalog von Rechtschreibregeln für sein Gymnasium in Schleiz entwickelt, den er immer weiter ausbaute. Vor allem hatte er ein Wörterverzeichnis begonnen, eine Art Hausorthographie. Mit 28.300 Wörtern startete dann der „Ur-Duden“ 1880 (75.000 bzw. 108.000 enthielten dann die letzten beiden getrennten Ausgaben in Leipzig und Mannheim von 1985 bzw. 1986, 115.000 der Einheitsduden von 1991 und 145.000 die letzte Ausgabe von 2017). Dieses Wörterverzeichnis als Empfehlung zur korrekten Schreibweise war es, das den Duden zum DUDEN machen sollte: ein zuverlässiger Ratgeber in Sachen korrekter Rechtschreibung als zivilisatorischer Standard. Nebenbei unterstützte Konrad Duden in der Suche nach der richtigen Schreibung eines Wortes bzw. von Texten auch einen Prozess der Vereinheitlichung und Normierung der deutschen Sprache im Gefolge der Gründung des Deutschen Reiches 1871, denn Vereinheitlichung und Normierung war nach 1871 das Wort der Zeit.
Konrad Duden orientierte sich an der schon von Johann Christoph Adelung in seinem „Grammatisch-kritischen Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart“ (in erster Auflage 1774–1786 in Leipzig publiziert) begründeten goldene Regel: Schreibe, wie Du sprichst. Schon im „Schleizer Duden“ von 1872 formulierte er es eingangs so: Seine angestrebte Orthographie ziele darauf, dass „jeder Laut eines gesprochenen Wortes im geschriebenen Wort durch einen bestimmten Buchstaben wiedergegeben wird.“ Also war, um das erwähnte Beispiel zu bemühen, „Kompanie“ zu schreiben.
Jede Dudenausgabe ist aber auch ein Spiegel ihrer Zeit und der Veränderung unseres Wortschatzes. Denn die korrekte Schreibung erforderte mit jeder neuen Auflage eine neue Bestandsaufnahme des aktuell gesprochenen und geschriebenen Deutschen – und zwar in seinem gesamten Verbreitungsgebiet, das bekanntlich über Deutschland hinausreicht. So kamen zuletzt mit jeder neuen Auflage etwa 3.000 bis 5.000 Wörter neu in den Duden, immer orientiert an den Nachschlagebdürfnissen seiner Nutzer. Denn ist ein Wort so gebräuchlich geworden, dass sich eine Notwendigkeit seiner korrekten Schreibung ergibt, „hüpft“ es irgendwann auch in den Duden.
Wie geschieht das nun konkret? Wie zu Konrad Dudens Zeiten: durch Beobachtung der lebendigen Sprache. Ist ein neues Wort erst einmal in aller Munde, ergibt sich ja auch irgendwann das Bedürfnis, es zu schreiben – und zwar korrekt. Die Arbeitsgrundlage für Neuaufnahmen bildet das Dudenkorpus, eine Dokumentation der deutschen Gegenwartssprache, früher eine Karteikartensammlung, heute eine elektronische Textsammlung. Sie umfasst inzwischen mehr als vier Milliarden Einträge und sie wächst täglich aweiter. Ausgewertet werden regionale und überregionale Zeitungstexte, Zeitschriften, Bücher verschiedenster Stilrichtungen und Fachgebiete sowie natürlich auch die Belletristik, ja selbst Reparatur- sowie Bastelanleitungen, aber selbstverständlich inzwischen auch die digitalen Medien. „Das Dudenkorpus ist sehr komplex zusammengesetzt und zeigt uns, wann und wie oft Wörter benutzt werden, oder welche neuen Wörter dazukommen“, erklärte es die Leiterin der Dudenredaktion einmal prägnant in einem Interview. Seit Beginn dieses Jahrtausends kamen so neben vielen anderen Wörtern „Smartphone“ oder „Facebook“, neue Abkürzungen der Technikersprache wie „KI“ oder „IT“ neu ins Wörterverzeichnis, aber auch neue Zusammensetzungen der Alltagssprache wie „Busengrabscher“, „Warmduscher“ oder „Filterblase“, zuletzt Neubildungen wie „gesschlechtergerecht“, „entfreunden“ oder „postfaktisch“ sowie neue Lehnwörter wie „Fake News“, „Couchsurfing“ oder „Brexit“.
Tipps für die aktuelle Anwendung der Sprache gibt die Duden-Sprachberatung, die täglich eine Vielzahl von Anfragen zu Sprachproblemen oder Zweifelsfällen der korrekten Schreibung zu beantworten hat. Und inzwischen haben auch viele Computertextprogramme wie Microsofts Office eine Duden-basierte Rechtschreibprüfung. Der Verlag bewirbt sie ganz selbstbewusst mit dem Satz: „Würde Konrad Duden heute leben, hätte er sie wohl selbst entwickelt.“
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Name Duden sogar zum Programm: Wie schon angedeutet, waren im Kontext der deutschen Teilung zwei Parallelverlage mit dem Namen Bibliographisches Institut entstanden. Der weiterhin in Leipzig ansässige Verlag wurde 1946 enteignet und zum VEB umgestaltet. Der seit 1953/54 neu aufgebaute Verlag in Mannheim war firmenrechtlich als Aktiengesellschaft organisiert. Der westdeutsche Verlag in Mannheim entwickelte ab den 1950er-Jahren unter dem Unterlabel “Dudenverlag” eine Reihe von Wörterbüchern zur deutschen Sprache: Bildwörterbuch, Stilwörterbuch, Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, Fremdwörterbuch, Herkunftswörterbuch, Synonymwörterbuch usw. heißen die Titel der seit 1976 nummerierten Bände der neu installierten Reihe der “Duden-Wörterbücher”. Im Weiteren entstanden auch die Programmbereiche „Kinderduden“ und „Schülerduden“, die selbst außersprachliche Fachbereiche einschlossen. So war es unter anderem möglich, beispielsweise auch einen „Rechenduden“ am Markt zu platzieren. Von 1961/62 bis in die 2000er-Jahre erschienen zeitweise auch ein- und mehrbändige allgemeine Nachschlagewerke als „Dudenlexikon“. Nach dem Umzug nach Berlin startete der Verlag 2018 sogar ein völlig neues Sachbuchprogranm, in welchem auch sprachliche Themen mit gesellschaftspolitischer Dimension unter dem Label „Duden“ veröffentlicht werden und somit quasi zur Sprache kommen. Titel wie „Warum es nicht egal ist, wie wir schreiben“ oder „Volkes Stimme?“ verraten, dass sich damit für die Marke Duden ein vollkommen neuer Radius von Themen publizistisch erschließen lässt. Selbst ein Werk wie „Was nicht mehr im Duden steht“ kann man seit jüngster Zeit in der Titelliste des Verlages finden; es stellt uns Wörter vor, die wegen mangelndem Gebrauch nicht mehr die Adelung durch die Aufnahme in das so erfolgreiche Wörterverzeichnis der richtigen Rechtschreibung finden, also veraltete Bezeichnungen und Wörter mit nicht mehr zeitgenössischem Bedeutungsinhalt wie etwa Selbstwählferndienst, Flugmaschine oder Federbüchse. Quasi ein Duden-Friedhof ausgestorbener Begriffe, für die kein Nachschlagebedürfnis mehr existiert.
Literatur:
- Wolfgang Ullrich Wurzel, Konrad Duden. Leben und Werk, Mannheim u.a. 1998 (Neubearbeitung seiner gleichnamigen Bildbiografie, Leipzig 21985)
- Günther Drosdowski, Der Duden: Geschichte und Aufgabe eines ungewöhnlichen Buches, Mannheim u.a. 1996 (Inprint: Dudenverlag!; der Autor war 1973 bis 1995 Leiter der Dudenredaktion in Mannheim)
- Heinz Sarkowski, Das Bibliographische Institut. Verlagsgeschichte und Bibliografie – 1826-1976, Mannheim, Bibliographisches Institut 1976 (Abschnitt „Die Entwicklung des Dudenverlags“)
- Wolfgang Werner Sauer, Der „Duden“. Geschichte und Aktualität eines „Volkswörterbuchs“, Stuttgart 1988
*****
Bildquellen:
DUDEN Cover der 25.Auflage Von DH93 - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11...
Dies ist ein Scan des historischen Buches: Von Konrad Duden - Der Scan wurde anhand einer original Buchvorlage vorgenommen, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=19...
Duden, Band 1, 27. Auflage, Berlin 2017 Von Kalligraf - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=61...
Zentrale der DI Lerntherapie GmbH Von Laura Maria Schmidt - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=63...