Dass es eine Liebe geben kann, die nicht auf ein anderes Wesen ausgerichtet ist, war auch den antiken Griechen vertraut. In ihrer Mythologie wird von Narziss erzählt, dem Sohn des Flussgottes Kephios und der von ihm vergewaltigten Wassernymphe Leiriope. Wegen seiner Schönheit war der Jüngling sehr umschwärmt. Vor allem die Nymphe Echo zeigte ihm ihre Zuneigung und warb um ihn.
Doch Narziss hatte kein Auge für sie. Stattdessen bewunderte er sein sich im Wasser spiegelndes eigenes Abbild. Die Schicksalsgöttin Nemesis bestrafte ihn für diesen Hochmut und bewirkte, dass er in unstillbare Selbstliebe verfiel.
Als er eines Tages wieder einmal in einem See sein Spiegelbild bewunderte, ließ eine göttliche Fügung ein Blatt heranwehen und aufs Wasser fallen. Dadurch bildeten sich kleine Wellen, die das Antlitz des schönen Jünglings verzerrten, Falten entstehen und ihn älter und hässlich aussehen ließen. Darüber erschrak der eitle Knabe so sehr, dass er auf der Stelle verstarb.
Noch heute bezeichnen wir übersteigerte Eigenliebe als Narzissmus.
*****
Vorschaubild:
Narziss (Caravaggio, 1598/99, Galleria Nazionale d'Arte Antica, Rom), gemeinfrei