Die Assoziation des Brausens mit dem Frühling ist eher eine ungewöhnlichere. Meist wird die Jahreszeit als wohltuend empfunden, als Wiedergeburt der Natur, deren positiv empfundenes Beiwerk mit Glück und positiven Gefühlen in die Herzen der Menschen einzieht. In Klingemanns Gedicht ist das Brausen des Frühlings auch nicht als negativ zu werten. Denn wenn der Lenz erst einmal auf dem Vormarsch ist, kann ihn nichts aufhalten, er entfaltet sich in kürzester Zeit in seiner vollen Pracht. Und doch kann der Frühling seine Launen mit sich bringen, „Sturm und Sausen“ ist dann deutlich zu spüren. Und hinter dieser rauhen Fassade „keimt (bereits) die grüne Saat“. Das Gedicht ruft die Menschen dazu auf, die „Wintersorgen“ abzustreifen und ihr Gemüt auf den Frühling einzustellen, damit dieser das Menschenkind „nicht schlafend find’t“. Die Vertonung des Frühlingsliedes stammt von Felix Mendelssohn-Bartholdy, welcher eine Freundschaft zu dem Diplomaten und Schriftsteller Klingemann pflegte.
Carolin Eberhardt
Der Frühling naht mit Brausen,
er rüstet sich zur Tat,
und unter Sturm und Sausen
keimt still die grüne Saat.
Drum wach, erwach, du Menschenkind,
dass dich der Lenz nicht schlafend find't,
drum wach, erwach, du Menschenkind,
dass dich der Lenz nicht schlafend find't.!
Tu ab die Wintersorgen,
empfange frisch den Gast;
er fliegt wie junger Morgen,
er hält nicht lange Rast.
Die Knospe schwillt, die Blume blüht,
die Stunde eilt, der Frühling flieht.
Drum wach, erwach, du Menschenkind,
dass dich der Lenz nicht schlafend find't!
Dir armen Menschenkinde
ist wund und weh ums Herz,
auf, spreng getrost die Rinde,
schau mutig frühlingswärts!
Es schmilzt das Eis, die Quelle rinnt,
dir taut der Schmerz und löst sich lind.
Drum wach, erwach, du Menschenkind,
dass dich der Lenz nicht schlafend find't!
Und wie die Vöglein leise
anstimmen ihren Chor,
so schall auch deine Weise
aus tiefster Brust hervor;
bist nicht verarmt, bist nicht allein,
umringt von Sang und Sonnenschein!
Drum wach, erwach, du Menschenkind,
dass dich der Lenz nicht schlafend find't!
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Vorschaubild: Monet - Felder im Frühling, 1887 via Wikimedia Commons Creative Commons.
Notensatz: Carolin Eberhardt; © Bertuch Verlag.