Die „Vergesslichkeiten“ - hier so eindrücklich beschrieben, können manchmal bald schon zur Verzweiflung oder zum Fluchen führen. Doch Horst Fischer nimmt das Vergessen und auch sich selbst in diesem Gedicht gekonnt aufs Korn. Was das nun mit Weihnachtsvorfreude und adventlicher Stimmung zu tun hat? Bemerkenswerterweise sitzen natürlich trotz des Vergessens alle Strophen der geliebten Weihnachtslieder, und mit ihnen kehren auch die Erinnerungen an vergangene Weihnachtsfeste zurück. Das Gehirn ist schon manchmal ein Wunderwerk der Biotechnik.
Carolin Eberhardt
Ich bin ein sonderbarer Knab. Ich weiß oft nicht, wo ich was hab‘,
und weiß ich‘s dann, hab‘ ich‘s indessen im nächsten Augenblick vergessen.
Wir sind recht viel herumgefahren, doch weiß ich oft nicht, wo wir waren.
Und darum geht’s mir durch den Sinn, ob ich ein Globetrottel bin?
Oft denk ich plötzlich in der Nacht: „Da war doch was, hab ich‘s gemacht?
Was kann es nur gewesen sein?“ Das fällt mir dann im Traum nicht ein.
Die Freunde heißen mich willkommen. Ich hab für sie was mitgenommen,
aber beim Schwatzen, Trinken, Essen das Dalassen dann glatt vergessen.
Besuch ich wieder, nach ‘ner Pause, liegt das Geschenk dann noch zu Hause.
Besonders schlimm geht’s mir mit Namen. Die fallen ständig aus dem Rahmen.
Bin ich dann endlich mal im Bilde, nenn ich die Edelgard glatt Hilde.
Und heute war schon abgebucht, was gestern ich hab‘ ausgesucht.
Ich frag beim Kontoauszug-Lesen: „Was ist das eigentlich gewesen?“
Ein Buch verschlinge ich im Sturm. Ich bin ein rechter Bücherwurm.
Nachdem ich mich hindurch gefressen, hab‘ ich den Anfang schon vergessen.
Ach, ging mir’s doch wie Witwe Bolte. Die wusste, was sie holen wollte.
Ich aber nicht! Doch kaum zu Haus, da fällt mir’s ein – und wieder aus!
Wenn Tatendrang ich mal verspüre, geh ich sofort zur nächsten Türe.
Dort hab ich aber keinen Schimmer. Was wollt ich denn in diesem Zimmer?
Mein Schlüssel lässt mich auch alleine. Der macht sich ständig auf die Beine.
G‘rad lag er dort, ich könnt‘s beschwören! Das ist doch wirklich zum Empören!
Bin ich zum munt’ren Kreis geladen, verliere oftmals ich den Faden.
Komm endlich ich zu Wort und Fragen, denk ich: „Was wollte ich denn sagen?“
Ob ich nun lache oder fluche, ich bin doch ständig auf der Suche
nach irgendwas, -wann, -wen, -wie, -wo – und manchmal ist’s dann gar nicht so!
Bei all dem Drüber und dem Drunter mich tröstet schließlich dann ein Wunder.
Ich trink‘ ein heißes Tässchen eben und freue mich an meinem Leben.