Ein typisches Herbstwetter, grau, stürmisch und regnerisch, ergibt sich vor dem inneren Auge des Lesers, wenn er Morgensterns „Oktobersturm“ liest. Doch schleicht sich beim Lesen auch das Gefühl ein, dass der Dichter hier nicht nur die sichtbaren herbstlichen Wetterherausforderungen in seinem sehr kurzen zweistrophigen Gedicht beschreibt. Denn die „Lebenssturmträume“ setzt er in Zusammenhang mit dem „purpurne(n) Tod“. Er lässt die Blätter der schwankenden Bäume im Abendrot plaudern und von dem Sturm in die Lüfte tragen, aber lässt gleichzeitig dem Betrachter oder dem Erlebenden „nachtkalte Schauder“ heraufrauschen. Welche Lebens(sturm)träume gehen ihm hier wohl zugrunde? Wohl ihm sehr bedeutvolle, wenn ihn das Geschehene oder Fehlgeschlagene erschauern lässt.
Im Grunde genommen lässt sich Oktobersturm als eines von drei Herbstgedichten Morgensterns, gemeinsam mit „Septembertag“ und „Novembertag“, als kleiner Gedichtzyklus des Herbstes verstehen. Wie aber die Titel schon aussagen, beschäftigt ihn der Oktober anscheinend dahingehend intensiver, dass er den Monat als bedrohlicher auffasst. Denn nur bei diesem Monat lässt er den „Sturm“ im Titel erscheinen, wohingegen die „Tage“ der anderen beiden Gedichte im Titel harmlos und friedlich wirken.
Carolin Eberhardt
Schwankende Bäume
im Abendrot -
Lebenssturmträume
vor purpurnem Tod -
Blättergeplauder -
wirbelnder Hauf -
nachtkalte Schauder
rauschen herauf.
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Vorschaubild: llustrations/windig-wind-haar-weht-mädchen-3974786/, Urheber: Richard Duijnstee auf Pixabay;neu bearbeitet von Carolin Eberhardt.