In diesem Herbstgedicht von Theodor Fontane (1819-1898) geht es nicht um welkende Rosen oder fallende Blätter, sondern um einen Abschnitt menschlichen Lebens. Es ist spät geworden. Der Sommer und „die Flut des Lebens“ sind dahin. Bald wird der Winter hereinbrechen. Wie aber reagiert der Mensch darauf? Er wird geizig, geizt mit seiner Zeit, will jede Stunde festhalten. Er hat recht damit, denn auch der letzte Sonnenschein hat seinen Glanz. Deshalb appelliert der Autor an das Schicksal, uns jede Stunde ganz zu gönnen.
Florian Russi
O trübe diese Tage nicht,
Sie sind der letzte Sonnenschein,
Wie lange, und es lischt das Licht
Und unser Winter bricht herein.
Dies ist die Zeit, wo jeder Tag
Viel Tage gilt in seinem Wert,
Weil man's nicht mehr erhoffen mag,
Dass so die Stunde wiederkehrt.
Die Flut des Lebens ist dahin,
Es ebbt in seinem Stolz und Reiz,
Und sieh, es schleicht in unsern Sinn
Ein banger, nie gekannter Geiz;
Ein süßer Geiz, der Stunden zählt
Und jede prüft auf ihren Glanz –
O sorge, dass uns keine fehlt,
Und gönn' uns jede Stunde ganz.
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Textquelle: wikisource.de
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