Das aus Faust stammende Gedicht Goethes preist den nahenden Sommer in den höchsten Tönen. Denn „alles ist zugleich zu finden: Knospe, Blätter, Blume, Frucht.“ Der Dichter stellt fest, dass Blumen dazu dienen, zu verführen und zu bezaubern. Die Früchte der Natur hingegen sind für den Gaumengenuss geschaffen und regen zum Verzehren an. Doch stellt Goethe deswegen nicht die genussbringenden Obstsorten in ihrer Bedeutung über die romantischen Rosen. Vielmehr stellt er fest: „Über Rosen läßt sich dichten, in die Äpfel muß man beißen.“ Werter Herr Goethe, da haben Sie wohl in den meisten Fällen recht. Doch würden Ihnen diesbezüglich Scharen von Kindern widersprechen wollen, die das Lied „In meinem kleinen Apfel“ kennen und lieben. Zumindest ist der Text dazu in volkstümlicher Manier entstanden und stammt nicht aus der Feder des deutschen Dichterfürsten. Abschließend kann dem Inhalt des Gedichtes leicht zugestimmt werden. Denn wohl jeder freut sich auf die ersten reifen Kirschen an den Bäumen, die dann flink und frech von den Bäumen gepflückt werden können.
Carolin Eberhardt
Blumen sehet ruhig sprießen,
Reizend eurer Haupt umzieren;
Früchte wollen nicht verführen,
Kostend mag man sie genießen.
Bieten bräunliche Gesichter
Kirschen, Pfirschen, Königspflaumen,
Kauft! Denn gegen Zung‘ und Gaumen
Hält sich Auge schlecht als Richter.
Kommt, von allerreifsten Früchten
Mit Geschmack und Lust zu speisen!
Über Rosen läßt sich dichten,
In die Äpfel muß man beißen.
Sei’s erlaubt, uns anzupaaren
Eurem reichen Jugendflor,
Und wir putzen reifer Waren
Fülle nachbarlich empor.
Unter lustigen Gewinden,
in geschmückter Lauben Bucht,
Alles ist zugleich zu finden:
Knospe, Blätter, Blume Frucht.
*****
Textquelle:
Goethe, Johann Wolfgang von: Faust: Der Tragödie zweiter Teil, 1832. 1. Akt, Weitläufiger Saal mit Nebengemächern, Gärtner singend
Bildquelle:
Charles Edward Wilson: Apfelblüte, um 1900 via Wikimedia Commons Gemeinfrei.