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Sebastian Hennig

Kennst du Theodor Fontane?

Vom jungen Apotheker über den Balladendichter und Journalisten wurde Fontane zum gefeierten Reiseberichtautor und späten Romancier. Das Buch begleitet den Autor auf seinem Weg und stellt gleichzeitig die Frage: Was können uns Fontanes Beobachtungen heute noch sagen?

Die Eule, die Katze, die Gans und die Ratte

Die Eule, die Katze, die Gans und die Ratte

Jean-Pierre Claris de Florian

Eine Eule lebte unter dem Dach einer Schule, wo sie wohlgelitten war und in dem großen Haus ein- und ausfliegen konnte. Der Hausmeister der Schule hielt sich eine Katze und eine Gans. Die drei Tiere freundeten sich miteinander an und verbrachten viel Zeit in den Räumen der Schule, in denen kluge Lehrer ihre Vorträge hielten und viele Werke von gelehrten Schriftstellern standen. So wurden auch die drei Tiere immer gescheiter. Unter den Lehrern und Schülern fanden häufig Streitgespräche über allerlei Fragen statt, und so wetteiferten auch die drei Tiere eines Tages darüber, welches der Völker des Altertums das bedeutendste gewesen sei.

"Das waren ohne Frage die alten Ägypter", sagte die Katze. "Sie haben ein großes Land fruchtbar gemacht und die einzigartigen Pyramiden gebaut. Ihnen gebührt höchstes Lob."

"Das sehe ich ganz anders", erwiderte die Eule. "Es waren die Athener, welche die Welt mit ihren geistigen Großtaten und ihrem Kampfesmut beeindruckt und geprägt haben. Ihr Wirken ist unter allen Völkern unübertroffen."

"Vergesst nicht die Römer", wandte da die Gans ein. "Unbestritten haben sie die alte Welt beherrscht. Sie waren tapfere Helden im Kampf und haben die anderen Völker eines nach dem anderen besiegt. Darüber hinaus haben sie die Kunst und die Wissenschaft zur Blüte gebracht. Alle Völker haben von ihren Ideen und Kenntnissen profitiert. Kein anderes Volk ist mit den Römern vergleichbar, ihrem Ruhm muss jeder andere weichen."

Die drei Tiere wurden sich nicht einig. Immer hitziger stritten sie und bestanden auf ihren Urteilen. Da mischte sich die Ratte ein, die sich in ihrer Nähe aufgehalten hatte und erklärte: 

"Ich habe eurem Streitgespräch zugehört und habe dazu eine klare Meinung. Genau wie ihr habe ich den weisen Vorträgen der Lehrer an dieser Schule zuhören können und darüber hinaus habe ich an vielen alten Schriften in der Bibliothek genagt und viele Weisheiten in mich gefressen. Deshalb bin ich sehr gebildet und kann euch nur sagen: Eure Haltungen im Streitgespräch waren nicht von Sachlichkeit, sondern von Eigennutz bestimmt. Wie uns die Geschichte lehrt, waren einst in Ägypten die Katzen sehr verehrt. Genauso verhielt es sich in Athen mit den Eulen. In Rom standen die Gänse in hohem Ansehen, denn sie haben, wie die Legende berichtet, mit ihrem Geschnatter die römischen Soldaten geweckt und die an sie heranschleichenden Gallier erschreckt. Es ging euch also mehr um das eigene Lob, als um das der Völker."

Fazit: Wenn man Standpunkte bewerten will, ist es immer sinnvoll, auch nach den Hintergründen zu fragen.

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Nacherzählt von Florian Russi

 

Vorschaubild:

siamesische-katze-katzenartig-48018, 2012, Urheber: Clker-Free-Vector-Images via Pixabay CCO; ratte-nagetier-linie-kunst-maus-5139264, 2020, Urheber: GDJ via Pixabay CCO; gans-vogel-inländisch-tierwelt-47253, 2012, Urheber: Clker-Free-Vector-Images via Pixabay CCO; eule-vogel-lesen-buchen-lernen-4783407, 2020, Urheber: GDJ via Pixabay CCO; neu bearbeitet von Carolin Eberhardt.

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