Fabeln haben keine ausschließliche Moral. Ihre Folgerung ist nicht: Das darfst du nicht oder: So geht es nicht. Stattdessen zeigen sie auf, welche Ergebnisse bestimmte Verhalten zur Folge haben können. Die Lehren daraus muss dann der Leser selber ziehen.
Nehmen wir als Beispiel die bekannte Fabel „Die Grille und die Ameise“, die ursprünglich von Äsop stammt und später von La Fontaine sehr schön nachgedichtet wurde.
In der Schule wurde uns diese Fabel vermittelt mit der Schlussfolgerung: Daran sieht man, dass am Ende der Fleiß über den Spaß triumphiert. Ist es aber wirklich so?
Vielleicht und sogar wahrscheinlich war die Grille, die der Ameise im Winter begegnete, nicht dieselbe wie im Sommer. Grillen haben nämlich nur eine Lebenserwartung von wenigen Monaten. Auch viele Ameisen, vor allem die „Arbeiterameisen“ haben nur eine kurze Lebensdauer und sterben bald an Überarbeitung oder Altersschwäche.
Die Grille lebte frei in der Natur. Bei schönem Wetter konnte sie fröhlich singen, zirpen und tanzen. Wenn es regnete, konnte sie sich unter einen Strauch zurückziehen. Sie hat, wie man sagt, „etwas von ihrem Leben gehabt“, und das, obwohl es nur sehr kurz war.
Die Ameise dagegen lebte in einem „Kasernen = Staat“. Sie war nur Teil eines strengen und starren Systems, dass alle Lebensabläufe genau reglementierte und keine Eigenständigkeiten zuließ. Wer also mag letztlich das Glücklichere von den beiden Tierchen gewesen sein?
NB: Im Sozialstaat Deutschland ist auch für die „Grillen“ gesorgt. Für sie wurde eine Künstler-Sozialkasse eingerichtet. In die muss auch ich regelmäßig einzahlen, obwohl ich - da anders abgesichert – nie davon profitieren werde.
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Bildquellen: Ameise von Peggy Choucair - Grille von OpenClipart-Vectors, via pixabay.com, gemeinfrei - Zusammengestellt von Andreas Werner