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Johann Joachim Winckelmanns Wirken auf Schloss Nöthnitz und in Dresden

Klaus-Werner Haupt

Nach rastlosen Jahren findet Johann Joachim Winckelmann auf dem nahe Dresden gelegenen Schloss Nöthnitz eine Anstellung als Bibliothekar. Die bünausche Bibliothek und die Kunstsammlungen der nahen Residenzstadt ermöglichen Kontakte mit namhaften Gelehrten. In ihrem Kreise erwirbt der Dreißigjährige das Rüstzeug für seine wissenschaftliche Karriere. Sein epochales Werk „Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Werke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst“ (1755) lenkt den Blick auf die Kunstsammlungen Augusts III. und ebnet den Weg nach Rom.

Winckelmanns Briefe, von denen mehr als fünfzig aus den sächsischen Jahren überliefert sind, lassen seinen Karrieresprung, aber auch seine persönlichen Nöte vor unseren Augen lebendig werden. Zwei Gastbeiträge über die jüngere Geschichte des Schlosses und die Visionen der Freunde Schloss Nöthnitz e. V. runden den Jubiläumsband ab.

Die beiden Steinböcke

Die beiden Steinböcke

Florian Russi

Der alte Steinbock war gestorben und hatte zwei Söhne hinterlassen. Die beiden waren gleich alt. Nach außen unterschieden sie sich nur dadurch, dass der eine etwas heller gefärbt war als der andere. Da sagte der eine zum anderen: „Unser Vater war als Herrscher über das Revier, in dem wir leben, von allen anderen anerkannt. Da ich der hellere und der stärkere von uns beiden bin, wirst du anerkennen, dass ich die Nachfolge unseres Vaters antrete.“
Der zweite und dunklere Steinbock widersprach: „Wir beide sind am selben Tag geboren und haben die gleichen Erfahrungen gesammelt. Es besteht kein Grund, dass ich dich jetzt als meinen Herrscher anerkenne.“
"Du musst doch zugeben, dass ich dir in jeder Hinsicht überlegen bin“, sagte der erste. Dann sprang er in die Höhe und forderte seinen Bruder auf: „Na, kannst du das auch? Dann mach es mir doch nach.“ Der zweite sprang nun ebenfalls in die Luft, konnte aber nicht so hoch springen wie der erste. „Da siehst du es“, sagte der. „Siehst du dort oben die Bergspitze?“, setzte er fort. „Lass uns dort hin rennen und ich werde dir zeigen, wer von uns beiden als erster den Gipfel erreicht hat.“ Die beiden rannten los und tatsächlich war es der hellere von den beiden, der als erster auf dem Gipfel ankam. „Brauchst du noch einen weiteren Beweis?, sagte der heller gefärbte triumphierend. „Dann schau nach unten ins Tal zu der großen Palme, die dort alleine steht. Wer von uns beiden als erster dort ist, der hat es verdient, von allen anderen als neuer Herrscher anerkannt zu werden.“
Der erste stürmte los. Er war sich seines Sieges sicher. Der zweite lief etwas vorsichtiger und war schon bald gegenüber seinem Bruder im Rückstand. Doch bevor der die Palme erreichte, überquerte er in blindem Eifer eine Straße, wurde dort von einem Auto erfasst und mehrere Meter über den Asphalt geschleift. Der dunkler gefärbte, der wenig später an der Unfallstelle eintraf, konnte nichts mehr für seinen Bruder tun. Er verzichtete auch darauf, noch zur Palme zu laufen.

Fazit: Niemand sollte glauben, dass er immer und überall überlegen ist.

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