In einem Land lebte eine größere Anzahl von Menschen, die sich zu einer religiösen Sekte bekannten. Den Führer ihrer Religionsgemeinschaft nannten sie „unseren Propheten“. Der alte Prophet war gerade gestorben und so wählten sie einen neuen. Der warb für sich mit dem Spruch „Wir müssen wieder zu uns kommen“ und fand damit sehr viel Zustimmung. Der Spruch wurde von den Sektenmitgliedern immer wieder zitiert und nie hinterfragt.
Es gab nur einen Kritiker, der sagte: „Was soll ich zu mir kommen? Ich war nie von mir weg. Der Spruch ist verführerisch und zugleich nichtssagend. Es unterstellt, dass wir früher gläubiger, rechtschaffener, gerechter und redlicher gewesen seien als heute. Dafür sehe ich keine Beweise.“ Der Mann blieb jedoch mit seiner Meinung alleine.
Eines Tages predigte der Prophet, dass er von Gott wichtige neue Erkenntnisse vermittelt bekommen habe. Es gehe darum, nicht mehr von Glauben und Demokratie zu reden, sondern von Gewissheit und Gotteswille. Die Sektenanhänger folgten ihm, und niemand wagte es mehr, etwas anderes zu sagen. Die Begeisterung für den Propheten wuchs. Doch ihm reichte es nicht, und so verkündete er eines Tages, er werde ein großes Flugzeug chartern und es zum Nordpol steuern. Dort würden er und alle, die ihn begleiteten, von einer Heerschar von Engeln empfangen und unmittelbar zu Gott geführt.
Der Prophet war weder Pilot noch hatte er Erfahrung mit dem Steuern von Flugzeugen. Dennoch meldeten sich viele seiner Anhänger, ihn zu begleiten, und es kam zu einem Kampf um die Sitzplätze. Nur der schon bekannte und missachtete Kritiker meldete Bedenken an. Ihm wurde jedoch vorgeworfen, dass er nicht gläubig genug sei. Gott sei schließlich allmächtig und der Prophet könne nicht irren. Einer der Fanatiker tanzte immer um den Propheten herum und forderte alle auf, sich um den Mitflug zu drängen. Der Kritiker unterstellte ihm, dass er so einige Konkurrenten loswerden wollte. Er selber hatte sich nämlich nicht zu dem Flug angemeldet. Doch er behauptete, aus Gutherzigkeit anderen den Vortritt lassen zu wollen. Er selbst werde alsbald einen weiteren Flug mit demselben Ziel organisieren.
Wenig später startete das Flugzeug mit dem Propheten am Steuer. Es war bis auf den letzten Platz gefüllt und die Insassen sangen fromme Lieder. Unterwegs wurde der Flieger von mehreren Radarstationen geortet. Dann jedoch gab es plötzlich keinen Kontakt mehr. „Das beweist uns, dass das Flugzeug von den Engeln zum Himmel geleitet wurde“, erklärten die zurückgebliebenen Sektenmitglieder. Der Kritiker stellte fest: „Da, wo das Flugzeug zum letzten Mal geortet wurde, ist das Meer besonders tief.“
Fazit: Fanatiker begeistern sich für so vieles, aber nie für die Wahrheit.
Oder: Woran liegt es, dass sich Menschen so leicht verführen lassen?
Oder: Es gibt drei Formen von Krankheiten: körperliche, geistige und seelische. Letzte sind am schwersten zu erkennen, können aber den meisten Schaden anrichten.
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