Auf einen Freund und Unterstützer eines Diktators war ein Attentat verübt worden, bei dem der Freund ums Leben kam. Der Täter wurde gefasst und vor Gericht gestellt. Da ließ der Diktator den obersten Richter des Landes zu sich rufen und sagte zu ihm: „Ich erwarte einen schnellen Prozess und als Urteil die Todesstrafe.“
„Das dürfte nicht so einfach sein“, antwortete der Richter. „Als Gericht müssen wir uns an die Verfassungsordnung halten, und die sieht Todesstrafen nur bei äußerst extremen Verbrechen vor.“
„Das war doch eins“, erklärte der Diktator.
„Es war ein schlimmes Verbrechen mit einem Toten als Opfer“, entgegnete der Richter. „Ihr selbst habt eure Anhänger angestachelt, dutzende eurer Gegner umzubringen, habt ein Schiff mit acht Mann Besatzung versenken lassen, weil sie angeblich Drogenschmuggler waren, ohne dass es je bewiesen werden konnte. Ihr habt unerwünschte Bewohner unseres Landes in ausländische Gefangenenanstalten abschieben lassen, wo sie gequält wurden und elend verstorben sind. Sie sind der Chef unseres Landes, aber die Bürger wollen wenigstens einen Hauch von Gerechtigkeit.“
„Was Recht und Gerechtigkeit ist, bestimme alleine ich“, antwortete der Diktator. „Deshalb entlasse ich Sie unverzüglich aus ihrem Amt.“
Fazit: Wenn einer allein über alles bestimmen kann, gilt nur sein Wille.
Oder: Gerechtigkeit gibt es nur bei Gewaltenteilung.
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