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Carolin Eberhardt

Die Nixe von Weimar

Sind Nixen gut oder böse? So einfach lässt sich die Frage nicht beantworten. In einer Auswahl von Weimarer Sagen wird die Ilmnixe Erlinde vorgestellt. Unheimlich mutet sie oft an und zugleich wunderschön und bezaubernd. Die Illustrationen wurden von einer 5. Klasse des Goethegymnasiums in einnem literisch-künstlerischen Projekt gestaltet. 

Der arme Verbrecher

Der arme Verbrecher

Florian Russi

Ein Mann hatte zwei Dirnen grausam umgebracht und stand nun wegen Mordes vor Gericht. Als er ums Wort gebeten wurde, begann er aus seinem Leben zu erzählen. „Ich bin unehelich geboren. Meinen Vater habe ich nie kennengelernt. Für meine Mutter war ich nur eine Last. Oft hat sie mich zu ihren Eltern abgeschoben. Die haben mich spüren lassen, dass ich ihnen nicht willkommen war. Ständig haben sie mich und meine Mutter beschimpft und sie aufgefordert, sich einen richtigen Mann zu suchen. Das hat sie getan und immer sehr schnell festgestellt, dass derjenige, den sie nach Hause brachte, nicht der Richtige war. Ich hatte nie kindliches Spielzeug. Einmal versprach mir einer der Männer, mir ein Schaukelpferdchen mitzubringen. Das hat er getan und überglücklich habe ich mich dem Spielzeug zugewandt. Da hat mich der Mann von hinten gepackt und vergewaltigt. Von nun an kam er immer wieder und hat mich missbraucht. Meine Mutter hat mir die Schuld daran gegeben und mich ständig geschlagen. Nach einiger Zeit habe ich die Schläge kaum noch gespürt.

Immer neue Männer kamen. Die meisten waren wenig an meiner Mutter, aber umso mehr an mir interessiert. Einige waren darunter, die hatten Freude daran, mich sinnlos zu quälen. Ich war immer nur ein Opfer, habe mich kaum noch auf die Straße getraut …“

In vielen Einzelheiten berichtete der Mann davon, was ihm alles Schlimmes wiederfahren war. Im Gerichtssaal begannen einige Zuhörer zu schluchzen. Auch den beiden Schöffen traten Tränen in die Augen und selbst der Richter verspürte ein Würgen im Hals. Am Schluss verurteilte er den Angeklagten zu einer hohen Haftstrafe wegen Mordes und erklärte: „Ihr Leben war unmenschlich und sprengte alles, was man sich in einer menschlichen Gesellschaft vorstellen kann. Doch dies aufzuarbeiten gehört an einen anderen Ort. In unserem Fall geht es um zwei Frauen, die unschuldig gequält und getötet wurden. Auch sie hätten gerne ein anderes Leben geführt. Ganz wenige Frauen prostituieren sich aus freien Stücken. Die meisten sind in Not, werden gezwungen, wissen keinen anderen Weg und haben schlechte Lebenserfahrungen gemacht. Alle Menschen haben ein Recht auf Leben, auf Würde und auf Glück. Auch die beiden Ermordeten waren Persönlichkeiten, die es zu schützen galt. Sie, Angeklagter, haben ihr Leben grausam zerstört. Ihre eigenen schlimmen Erfahrungen hätten sie dazu veranlassen müssen, Verständnis für andere geschundene Lebewesen zu haben und ihnen zu helfen. Stattdessen haben Sie sich an zwei Unschuldigen gerächt. Eigene schlechte Erfahrungen dürfen nie der Anlass sein, diese an andere weiterzugeben. Sie sind missbraucht worden und haben dafür zwei andere Menschen gequält. Wenn das immer so weiterginge, wäre nach einiger Zeit die ganze Menschheit verrottet. Für uns muss es umgekehrt bedeuten! Lernt aus dem Schlechten und ersetzt es durch Gutes. Nur so ist menschlicher Fortschritt möglich.“

 

Fazit: Menschlichkeit zeigt sich nicht nur im Mitleid, sondern auch in der Gerechtigkeit.

 

*****

Vorschaubild: illustrations/hammer-gesetz-legal-richter-8436504/, Urheber: Ray_Shrewsberry auf Pixabay.

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