War Hitler geisteskrank? Viele sehen es so, weil sie es sich anders nicht vorstellen können, dass ein einzelner Mensch für viele Millionen Tote auf der ganzen Welt verantwortlich war. Ähnliches gilt für Stalin. Es gibt nur wenige, die ihr eigenes Volk so geknechtet und missbraucht haben wie er. Die Liste der Massenmörder an der Spitze von Staaten ist lang. Was aber ging in deren Köpfen vor sich und wie war es möglich, dass sie nicht wie gewöhnliche Verbrecher verurteilt wurden? Wer einen einzelnen Menschen ermordet, wandert lebenslang ins Gefängnis. Warum aber nicht die?
Zunächst liegt es natürlich an der Macht, die sie an sich gerissen haben. Doch wie konnte es dazu kommen? Dazu ist zunächst Voraussetzung, dass sie über eine strategische Intelligenz verfügen und nicht gleich als geisteskrank erkennbar sind. Wer die Hand auf seine Brust legt und behauptet, Napoleon zu sein, wird als tief gestört erkannt und nicht akzeptiert. Anders ist es, wenn er er selbst bleibt, aber vorhat, es Napoleon nachzutun und ihn möglichst noch zu übertreffen.
„Geisteskrankheiten sind Krankheiten des Gehirns“, sagte der Psychiater Wilhelm Griesinger (1817-1868). Damit ist ausgedrückt, dass es eine Krankheit ist, die ein bestimmtes Organ des Menschen befallen hat. Man spricht dabei auch von seelischen Krankheiten. Auch sie haben ihren Ursprung im Gehirn. Die Zahl seelischer Krankheiten ist sehr hoch und wie jede andere kann sie verschieden intensiv sein und oft nur in vorübergehenden Störungen hervortreten. Das besondere aber ist, dass seelische Störungen von außen her nicht so leicht erkennbar sind wie andere körperliche bzw. organische. Das heißt, dass sie von einem intelligenten bzw. „raffinierten“ Menschen auch versteckt werden können. Wer z. B. zum Größenwahn neigt, muss das nicht gleich zu erkennen geben. Er kann großes Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein vorspiegeln. Narzissten, d. h. Menschen mit übersteigerter Eigenliebe, sind dafür bekannt, dass sie es wunderbar verstehen, sympathisch zu erscheinen und die Zuneigung anderer zu gewinnen.
Was man Männern wie Hitler in jedem Fall unterstellen kann, ist Narzissmus, Selbstüberschätzung, Größenwahn sowie Empathielosigkeit und – ein starker Durchsetzungswille. Diese Eigenschaften, so scheint es, sind, wenn sie durch scheinbares Verantwortungsbewusstsein überdeckt werden, bei politischen Karrieren durchaus förderlich.
Hitler war bürgerlich gesehen ein totaler Versager. Er hatte keine Berufsausbildung, keinen Beruf und keine partnerschaftliche Beziehung oder Familie. Eigentlich hätte man ihm gründlich misstrauen müssen. Doch er konnte sich als von der Vorsehung gesandter „Führer“ und als mit dem Deutschen Reich „verheirateter“ Mann ausgeben. Anfänglich hat er noch vieles getan, was im Volk gutgeheißen wurde. Spätestens als er den Krieg begann, wären die meisten ihm aber nicht mehr gefolgt.
Hieraus folgen zwei Erkenntnisse, die uns große Denker vorgegeben haben. Für Konfuzius (551 – 479 v. Chr.) war es dringend erforderlich, dass in einem politischen System Kritik in jeder Form möglich und wirksam war. Für den großen Karl Popper (1902-1994) schließlich war es das wichtigste Element einer staatlichen Ordnung, dass die Möglichkeit bestand, einen ungeeigneten Herrscher wieder abzuwählen. Darin sah er das Kernelement der Demokratie. Wenn diese beiden Voraussetzungen nicht gegeben sind, geht jede Menschlichkeit verloren. Dann sind alle Staatsbürger ihrem Herrscher und seiner Willkür ausgeliefert. Deshalb gilt der Satz: „Wehret den Anfängen“.
In der Wissenschaft wird die Meinung vertreten, dass geistig-seelische Krankheiten und Störungen jeden Menschen jederzeit befallen können. Was noch viel zu wenig untersucht wurde, ist, dass es wie im körperlichen Bereich (z. B. Corona) auch im geistig-seelischen Bereich Pandemien geben kann. Wenn man betrachtet, wie manche Menschen Politikern folgen, die ständig lügen, Gesetze übertreten, Frauen missachten, Minderheiten unterdrücken, Verbrechen begehen und offen predigen, fragt man sich, wer hier letztlich die geistig-seelischen Gestörten sind. Deshalb sind wir alle zu Selbstkritik und größter Wachsamkeit aufgerufen.
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