In den Medien wird ständig darüber berichtet, dass der Antisemitismus in Deutschland und anderswo wieder zunimmt. Das ist zunächst erstaunlich, weil alle Argumente, die in der Vergangenheit gegen Juden vorgebracht wurden, sich als Polemiken oder Hirngespinste erwiesen haben. Jesus Christus war ebenso wie seine Mutter und seine Jünger ein bekennender Jude und wurde von den Römern und nicht den Juden gekreuzigt. Die Juden waren genau wie die Germanen nie eine Rasse. Rassenideologien existieren nur in den Köpfen von Ungebildeten oder Volksverhetzern. Es gab auch nie eine jüdische Weltverschwörung. Die sogenannten „Weisen von Zion“ waren eine infame Propagandalüge. Die Juden leben integriert in mehreren Staaten. Sie sind kein Volk, sondern eine Religionsgemeinschaft und ihre Religion ist nicht missionarisch.
Woher also kommen die Abneigungen und Vorbehalte? Man versucht, wie so oft, ihnen mit Aufklärung und pädagogischen Maßnahmen zu begegnen. Doch dieser Weg hat bisher nie nachhaltig gewirkt. Antisemitismus ist offenkundig nicht in erster Linie ein Problem mangelnder Bildung. Ähnlich wie die Hooligans, denen man auch nicht mit Aufklärung begegnen kann, sind Antisemiten eine Spezies, die nicht nur politisch, moralisch oder soziologisch, sondern vor allem psychiatrisch untersucht werden müsste.
Mehrere wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass seelische Störungen wie Borderline in der ganzen Welt zunehmen (Telepolis, 16. April 2018) und zum Teil schwerwiegende Folgen haben. Sie lassen sich oft nicht leicht erkennen und sind, wie z. B. die Egomanie und der Narzissmus für die Betroffenen nicht mit einem Leidensdruck verbunden. Für den Antisemitismus kämen vor allem drei Ursachen in Frage:Erstens: Xenophobie, d. h. Angst vor dem Fremden, Anderen, Ungewohnten, Neuen, zweitens: die auch bei Tieren erkennbare Verhaltensweise, sich über Schwächere herzumachen, sie zu treten, zu missbrauchen oder zu mobben, drittes: das Streben, sich selbst oder andere von eigenen Minderwertigkeitsgefühlen abzulenken, indem man Dritte beschuldigt oder schlecht macht.
Da der Antisemitismus schlimme Folgen haben kann, wäre es dringend notwendig, ihn unter dem Gesichtspunkt der seelischen Störung zu erforschen. Lange Zeit wurde der Alkoholismus als Charakterschwäche abgetan, bis der amerikanische Physiologe Elvin Morton Jellinek (1890 – 1963) die Erkenntnis durchsetzte, dass es sich um eine Krankheit handelt. Im Jahr 1951 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dies offiziell anerkannt und es wurden viele Therapien entwickelt, den Betroffenen zu helfen. Als sich Ende der 1960 er Jahr der HIV-Virus auszubreiten begann, hielten viele das für eine Folge des Lotterlebens von Homosexuellen und es wurde sogar behauptet, dass AIDS eine Folge davon sei, dass Menschen geschlechtlich mit Affen verkehrt hätten. Man sprach von einer Geißel Gottes. Fachleute warnten davor, dass diese Krankheit unheilbar sei. Dann begann man mit großem Aufwand zu forschen und Medikationen zu entwickeln. Das Ergebnis ist, dass heute niemand mehr an dieser Krankheit sterben muss und der Virus sogar weitgehend eingedämmt wurde.
Manchmal kostet es Geld und oft auch Mut und Engagement, um zum sozialen Frieden beizutragen. Es wäre doch sehr erfreulich, wenn sich auch das Phänomen des Antisemitismus durch psychologisch-medizinische Forschung in den Griff bekommen ließe.
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Vorschaubild: Daniel Ullrich, Threedots, Lizenz CC BY-SA 3.0 via wikimedia commons