Der Philosoph Karl Jaspers (1883-1969) hat sie als seine Lieblingsballade bezeichnet, weil sie den Sieg des Geistes über politisch-militärische Macht besinge. Ludwig Uhland (1787-1862) schrieb sie im Jahr 1829. Er hatte sich 1810/11 bei einem Studienaufenthalt in der Pariser Nationalbibliothek auch mit alten französischen Handschriften befasst.
Held der Ballade ist der französische Baron Bertran de Born (vor 1140 bis 1215), der zu den bedeutendsten Troubadouren (Minnesängern) gehörte und viele Jahre auch Weggefährte des englischen Königs Richard Löwenherz (1157-1199) war. Siebenundvierzig seiner Werke sind überliefert, davon können ihm 36 eindeutig zugeordnet werden. Er schrieb einige Liebeslieder, von denen eines der zweiten Gemahlin Heinrichs des Löwen, der englischen Königstochter Mathilde gewidmet ist. Vor allem aber verfasste Bertran de Born kriegerische Gedichte und sog. „Sirventes" (Dienergedichte). Bei letzteren handelte es sich um Dichtungen, in denen kritisch zu Ereignissen oder den Ideen und dem Verhalten von Zeitgenossen Stellung genommen wurde.
Florian Russi
Steht vor mir, der sich gerühmet
In vermeßner Prahlerei:
Daß ihm nie mehr als die Hälfte
Seines Geistes nötig sei?
Nun der halbe dich nicht rettet,
Ruf den ganzen doch herbei,
Daß er neu dein Schloß dir baue,
Deine Ketten brech entzwei!"
"Wie du sagst, mein Herr und König!
Steht vor dir Bertran de Born,
Der mit einem Lied entflammte
Perigord und Ventadorn,
Der dem mächtigen Gebieter
Stets im Auge war ein Dorn,
Dem zuliebe Königskinder
Trugen ihres Vaters Zorn.
Deine Tochter saß im Saale,
Festlich, eines Herzogs Braut,
Und da sang vor ihr mein Bote,
Dem ein Lied ich anvertraut,
Sang, was einst ihr Stolz gewesen,
Ihres Dichters Sehnsuchtlaut,
Bis ihr leuchtend Brautgeschmeide
Ganz von Tränen war betaut.
Blutend lag er mir im Arme;
Nicht der scharfe, kalte Stahl -
Daß er sterb in deinem Fluche,
Das war seines Sterbens Qual.
Strecken wollt er dir die Rechte
Über Meer, Gebirg und Tal,
Als er deine nicht erreichet,
Drückt er meine noch einmal.
Da, wie Autafort dort oben,
Ward gebrochen meine Kraft;
Nicht die ganze, nicht die halbe
Blieb mir, Saite nicht, noch Schaft.
Leicht hast du den Arm gebunden,
Seit der Geist mir liegt in Haft;
Nur zu einem Trauerliede
Hat er sich noch aufgerafft."
Und der König senkt die Stirne:
"Meinen Sohn hast du verführt,
Hast der Tochter Herz verzaubert,
Hast auch meines nun gerührt.
Nimm die Hand, du Freund des Toten!
Die, verzeihend, ihm gebührt.
Weg die Fesseln! Deines Geistes
Hab ich einen Hauch verspürt."
Ludwig Uhland (1787 - 1862)
----
Bildquelle: Bertran de Born; Darstellung aus Bibliothèque Nationale, MS cod. fr. 12473, 13. Jahrhundert; gemeinfrei - wapedia: http://wapedia.mobi/de/Datei:Bertran_de_Born_-_BN_MS_fr_12473.jpg