Am 6. Juni 1814 schifften sich der preußische König Wilhelm III. und der russische Kaiser Alexander I. in Boulogne-sur-Mer nach England ein. Zur Entourage Alexanders I. zählten der Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach sowie dessen Generaladjutant Hermann Graf von Pückler-Muskau. Anlässe der Überfahrt waren der Sieg über Napoleon und der 100. Jahrestag der Thronbesteigung des Hauses Hannover. In London schloss sich Graf Pückler dem zwei Jahre älteren Fürsten Malte zu Putbus, Generaladjutant des schwedischen Kronprinzen, an. Nach den offiziellen Feierlichkeiten blieben beide auf der Insel und feierten den Eintritt ins zivile Leben. Neben der Cuisine française und anderen Vergnügungen fanden die Aristokraten Gefallen an der englischen Gartenkunst. Was lag näher, als sich für Muskau und Putbus inspirieren zu lassen? ( 1 )
Wilhelm Malte wurde am 1. August 1783 auf Schloss Putbus (Schwedisch-Pommern) geboren. Sein Vater Malte Friedrich (1725-1787) stand als Hofmarschall in Diensten der schwedischen Krone. Nach dessen Tod fiel der rügensche und pommersche Grundbesitz an seine Söhne Wilhelm Malte (1783-1854) und Moritz Carl (1785-1858). Die Vormundschaft bis zur Volljährigkeit des Erstgeborenen übernahm die Witwe Sophie Wilhelmine, geborene Gräfin von der Schulenburg- Beetzendorf (Altmark). Nach Studien in Greifswald und Göttingen diente Malte im Leibhusarenregiment des schwedischen Königs Gustav IV. Adolf. 1805 unternahm er seine erste Englandreise. Der fashionable Kurort Bath inspirierte den 22-Jährigen, auch aus Putbus eine profitable Residenz zu machen. Deshalb wurde alles Bemerkenswerte im Tagebuch festgehalten.
Bei einem Besuch im Herzogtum Braunschweig lernte Malte die gleichaltrige Gräfin Luise (1784- 1860), geborene Freiin von Lauterbach (Großherzogtum Hessen) kennen. Aus Sympathie wurde Liebe, doch Luise war mit dem Grafen Röttger von Veltheim verheiratet! Maltes Glück wollte, dass sein Studienfreund in die Scheidung einwilligte. Der namhafte Hippologe, der wie Pückler orientalische Zuchtpferde gegenüber englischen favorisierte, verheiratete sich zwei Jahre später erneut.
Am 16. August 1806 feierten Malte und Luise in Frankfurt am Main Hochzeit. Zu Ehren der Braut wurde ein am Rügischen Bodden gelegenes Fischerdorf Lauterbach getauft. Das Glück blieb Malte treu: Am 25. Mai 1807 wurde er in den schwedischen Fürstenstand erhoben, am 16. September wurde sein Thronfolger Malte (1807-1837) geboren. Die Töchter Clothilde (1809-1894), Asta Luise (1812-1850), Klara (geb. 1816) und Wanda Marie (geb. 1826) folgten.
Im Sommer 1807 drangen napoleonische Truppen über die Landesgrenze, die Vision von einer mustergültigen Residenz schien sich in Luft aufzulösen. Doch der Fürst gab nicht auf und lockte Neusiedler, vor allem Handwerker, Gärtner und Gewerbetreibende, nach Putbus. Nach zwei Jahren war der Franzosenspuk vorbei und der Aufschwung begann: Erste Straßen wurden befestigt, der Markt mit Häusern bebaut, der 75 Hektar umfassende Schlosspark umgestaltet. Ein Obelisk auf dem „Circus“ erinnert an 1810 als dem Gründungsjahr des Ortes Putbus.
Noch im Oktober des gleichen Jahres überkam Malte die Sehnsucht nach Italien. In Begleitung seines Bruders und des Herzogs Gustav Wilhelm zu Mecklenburg (1781-1851) führte der Weg zuerst nach Weimar. Von dem Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe wurden die Reisenden mit Empfehlungen versorgt, aber auch mit Christoph Martin Wieland und Charlotte von Schiller bekannt. Über Verona und Venedig erreichte man schließlich die Ewige Stadt Rom. Weil der Kirchenstaat als Refugium für französische Revolutionsgegner galt, hatte Napoleon dreizehn Jahre zuvor einen „Straffeldzug“ geführt. Raubkunst im Wert vom 30 Millionen Lire, darunter der Sterbende Gallier, verschwand im Musée Napoleon (Palais de Louvre)! Frei nach der Maxime Johann Joachim Winckelmanns sollte die Antike zum Vorbild für Künstler, Paris zur Hauptstadt der Welt werden. ( 2 ) Maltes Vorliebe galt Figuren der griechischen Mythologie. Bei dem in Rom lebenden Bildhauer Bertel Thorvaldsen erwarb er Statuen des Bacchus und der Venus sowie die Gruppe Amor und Psyche. Am 13. Juli 1811 war der Fürst zurück und konnte sich neuen Projekten widmen. ( 3 )
Im mecklenburgischen Doberan, einhundert Kilometer von Putbus entfernt, existierte ein florierender Vergnügungsort, im benachbarten Heiligendamm das erste Seebad Kontinentaleuropas. Das Fürstenpaar spielte mit dem Gedanken, auch am Rügischen Bodden einen solchen Anziehungspunkt zu schaffen. Dabei blieb es, denn im Januar 1812 kehrten die Franzosen zurück. Erst die Niederlage der Grande Armée in Russland gab Hoffnung, der Fremdherrschaft ein Ende bereiten zu können. Im Mai 1815 übernahm der schwedische Thronfolger Bernadotte (1763-1844) das Kommando der Nordarmee. Fürst Malte wurde zu dessen Generaladjutant und zum Generalgouverneur von Schwedisch-Pommern ernannt. Nach dem Sieg begleitete er Bernadotte zur erwähnten Siegesfeier nach London.
Im Ergebnis des Wiener Kongresses wurden die europäischen Grenzen neu gezogen. Teile der östlichen Oberlausitz gingen an Preußen. Mit dem Manifest an die Muskauer Bürger (1815) warb Graf Pückler für die Verschönerung seiner verbliebenen Standesherrschaft, jedoch drückten ihn zunehmend finanzielle Sorgen. Fürst Malte hatte Glück im Unglück: Vorpommern und Rügen wurden nicht an Dänemark ausgeliefert, sondern gingen ebenfalls an Preußen. 1817 verlieh ihm König Friedrich Wilhelm III. den preußischen Fürstentitel mit dem Prädikat „Durchlaucht“. Hinzu kamen die Würden eines Erblandmarschalls, des Königlichen General-Gouverneurs der Provinzial- Behörde von Neu-Vorpommern (verbunden mit 6.000 Talern jährlich), des Kanzlers der Greifswalder Universität sowie eines Mitglieds des Kommunal- und Provinziallandtags. Ob von Reisen nach Italien, Frankreich, Schweden oder England – im Juni 1838 zur Krönung der britischen Königin Victoria – von überall brachte der Staatsmann Anregungen nach Putbus mit.
1816 riet Karl Friedrich Graf von Hahn-Neuhaus (1782-1857), ein Greifswalder Studienfreund, den Bau des geplanten Bades in Angriff zu nehmen. Mit vier Badewagen für die Damen und mehreren Leinwandzelten für die „Mannspersonen“ entstand am Neuendorfer Strand das erste Seebad Rügens. ( 4 ) Als Warmbad diente das Bussertsche Haus, ein Seewasser-Warmbad mit vier italienischen Marmor- und Fayencewannen, als Logierhaus das heutige Hotel Fürstenhof. Da sich die Wannenbäder größerer Beliebtheit erfreuten, wurde am 15. August 1817 nahe Lauterbach der Grundstein für ein elegantes Badehaus gelegt. Bereits am 13. August des folgenden Jahres, zehn Tage nach dem Geburtstag des preußischen Königs, konnte das Friedrich-Wilhelmsbad eingeweiht werden. ( 5 ) Der Maler Caspar David Friedrich kam und war fasziniert von der Goor, dem sich 36 Meter über den Bodden erhebenden Ufer. Die Schriftstellerin Elizabeth von Arnim schwärmte von dem langgestreckten Badehaus „mit einem Säulengang und einer die gesamte Vorderfront einnehmenden Freitreppe, fast wie ein griechischer Tempel, der sich in seinem blendenden Weiß deutlich vor dem Hintergrund der Buchen abhob“. ( 6 ) Zu den prominenten Gästen zählten das preußische Königshaus, der Geheime Baudirektor Karl Friedrich Schinkel sowie der junge Otto von Bismarck. Seit 2007 beherbergt das imposante Gebäude das ****Hotel Badehaus Goor.
Während der Ballsaison lebten die Aristokraten in Berlin. Am 4. März 1820 schrieb Graf Pückler seiner Ehefrau Lucie (1776-1854), geborene von Hardenberg: „Den gestrigen Abend brachte ich beim Fürsten Putbus zu. Die Fürstin überhäufte mich mit Artigkeit, und zeigte mir eine Menge der hübschesten Sachen, die man sehen kann. Auch die Pläne von Putbus amüsierten mich sehr. Es ist gewiß schön, und in Hinsicht der Gegend am Meere Muskau weit vorzuziehen; aber alles ist doch von geringer Größe, und der Park, wie mir scheint, nicht viel größer als unser pleasure ground.“ ( 7 ) Zwar wuchs der Muskauer Park auf 830 Hektar an, doch das an der Neiße errichtete Hermannsbad hielt dem Vergleich mit Rügen nicht stand. Als Maltes Gäste offene See und Wellengang wünschten, entstand bei Binz eine Seebadeanstalt.
1822 wurde Hermann von Pückler-Muskau gefürstet. Mit seinem Namen wird häufig das Fürst-Pückler-Eis verbunden. 1839 kreierte der Königlich-Preußische Hofkoch Louis Ferdinand Jungius, der einige Jahre in Muskau am Herd stand, „Gefrorenes von geschlagener Sahne mit Früchten nach Fürst Pückler“. Es wurde von Ludwig Kurth, erst Hofkoch in Putbus und später Inhaber einer Koch- Lehr-Anstalt für junge Damen in Berlin, verfeinert. In seiner Publikation Illustrirtes Kochbuch für bürgerliche Haushaltungen, wie auch für die feine Küche (1866) verrät Kurth das Rezept für jene dreifarbige, damals rot-weiß-braune Eiskreation, die als „Eis à la Prince Pückler“ legendär wurde. ( 8 )
Denkt man bei Fürst Pückler an Eis, die Briefe eines Verstorbenen (1831) oder die Parks von Muskau und Branitz, verbindet sich mit dem Fürsten Malte Putbus, die weiße Stadt am Meer. Am Markt steht das Theater, errichtet nach einem Entwurf des Berliner Architekten Johann Gottfried Steinmeyer. Vier dorische Säulen tragen den Portikus, den Eingang ziert ein Relief mit Apollon und den Musen. Weitere klassizistische Gebäude säumen den „Circus“, darunter das Fürstliche Pädagogium (das heutige Hotel am Schlosspark) sowie das Friedrich Wilhelm von Preußen (1831-1888) gewidmete Kronprinzenpalais (heute von mehreren Institutionen genutzt).
Bis 1825 erhielt der Schlossgarten die Gestalt eines Landschaftsparks. Zwei dem Borghesischen Fechter nachempfundene Statuen schmücken noch immer die Torpfeiler der nach Lauterbach führenden Chaussee. Bei der Pflege der mehr als 2000 Bäume und 130 Jahre alten Buchsbäume beherzigen die Gärtner die Worte Pücklers: „Das Hauptwerkzeug des Erhaltens und Fortarbeitens ist die Axt. Sie darf keinen Winter ruhen, oder es geht uns mit den Bäumen wie dem Zauberlehrling mit den Wasserträgern – sie wachsen uns über den Kopf.“ ( 9 ) Gebäude sollen nach englischem Vorbild mit ihrer Umgebung „in sinniger Berührung“ stehen“. Davon zeugen das Wildgehege, die Schlosskirche (der umgebaute Kursalon), das Fasanenhaus, das Affenhaus (heute Puppen- und Spielzeugmuseum), der Marstall, das ehemalige Forsthaus (Rendantenhaus), die Orangerie mit der Skulptur des Sterbenden Galliers (ehemals im Schlosshof), das fürstliche Gärtnerhaus (heute Rosencafé) und andere.
In den 1840er Jahren verwirklichte das Putbusser Fürstenpaar weitere Vorhaben, bis Maltes Unternehmergeist durch Krankheit ausgebremst wurde. Am 26. September 1854 verstarb der Fürst. Seine sterblichen Überreste, später auch die seiner Frau, wurden am 2. Oktober in der Fürstengruft der St. Maria Magdalena Kirche zu Vilmnitz (Rügen) beigesetzt. 1859 wurde im Schlosspark ein überlebensgroßes Denkmal aus weißem carrarischen Marmor enthüllt, geschaffen von dem Berliner Bildhauer Friedrich Drake (1805-1882). Es zeigt Wilhelm Malte I. als Generaladjutanten des schwedischen Kronprinzen, aber auch als Förderer von Wissenschaft und Architektur.
Da der Kronprinz infolge eines Jagdunfalls jung verstorben war, gingen Fürstentitel und Majoratsbesitz 1861 an den Enkel Wilhelm Carl Gustav Malte (1833-1907), Graf von Wylich und Lottum, der mit königlicher Erlaubnis den Namen Wilhelm Malte II., Fürst und Herr zu Putbus führte und die weiße Stadt am Meer noch anziehender machte.
„Das wichtigste Gebäude im Park ist natürlich das Wohnhaus“, heißt es bei Pückler. (10) Das nach Entwürfen Steinmeyers umgebaute Schloss brannte am 23. Dezember 1865 ab. Es wurde 1872 im neoklassizistischen Stil wieder aufgebaut, nach 1945 dem Verfall preisgegeben und 1962 gesprengt. Der Förderverein https://www.residenzstadt-putbus.de/ möchte den größten pommerschen Profanbau, an den bisher nur die Teichterrasse und eine Pergola erinnern, gern wiedererstehen zulassen.
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Anmerkungen:
( 1 ) Haupt, Klaus-Werner: London kommt! Pückler und Fontane in England. Bertuch Verlag Weimar 2019, S. 5 bis 7
( 2 ) Zitiert nach Haupt, Klaus-Werner: Okzident & Orient. Die Faszination des Orients im langen 19. Jahrhundert. Weimarer Verlagsgesellschaft in der Verlagshaus Römerweg GmbH Wiesbaden 2015, S. 15
( 3 ) Farin, André: Wilhelm Malte zu Putbus und seine Fürstenresidenz auf der Insel Rügen. Rügen Edition Putbus 2001, S. 58
( 4 ) Zitiert nach Grümbke, Johann Jacob: Neue und genaue geographisch-statistisch-historische Darstellungen von der Insel und dem Fürstenthume Rügen, zur nähern und gründlichen Kenntniß dieses Landes. Berlin bei G. Reimer 1819
( 5 ) Loebe, Victor: PUTBUS. Geschichte des Schlosses und der Entstehung und Entwicklung des Badeortes (1910). Bearbeitet und illustriert von Christoph Gebler. Rügen-Druck GmbH Putbus 2021, S. 28
( 6 ) Arnim, Elizabeth von: Elizabeth auf Rügen. Insel Verlag Berlin 2012, S. 41
( 7 ) Zitiert nach Jacob, Ulf/Neuhäuser, Simone/Streidt, Gert (Hg.): Fürst Pückler, Ein Leben in Bildern. be.bra Verlag GmbH. Berlin-Brandenburg 2020, S. 82
( 8 ) Körner, Stefan/Sillack, Tim/Heilmeyer, Marina: Zu Gast bei Fürst Pückler. Die Tafelfreuden des Grünen Fürsten. Prestel Verlag München-London-New York in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH 2022, S. 211 f.
( 9 ) Pückler-Muskau, Hermann von: Andeutungen über Landschaftsgärtnerei. Marix Verlag GmbH Wiesbaden 2010, S. 112
(10) Ebenda, S. 36
weiterführende Quellen:
Köhler, Marcus: Pückler und Putbus. Das Leben zweier Fürsten. In: tudresden.
de/bu/architektur/ila/gla/ressourcen/dateien/forschung/publikationen/Vortragsmanuskripte-
Koehler/Pueckler-und-Putbus?lang=de abgerufen am 03.08.2022
Kurth, Ludwig: Illustrirtes Kochbuch für bürgerliche Haushaltungen, wie auch für die feine Küche. Literarisches Institut Adolph Niedergesäß, Siebente Auflage Leipzig 1866
Loebe, Victor: PUTBUS. Geschichte des Schlosses und der Entstehung und Entwicklung des Badeortes (1910). Bearbeitet und illustriert von Christoph Gebler. Rügen-Druck GmbH Putbus 2021
Abbildungsnachweis:
( 1 ) Wilhelm Malte I., Lithografie von Carl Wildt im Jagdschloss Granitz © Ernst-Moritz-Arndt-Museum Garz (Rügen)
( 2 ) Malte I. Fürst zu Putbus, Friedrich Drake (1859). Foto: Haupt 2022
( 3 ) Badehaus Goor. Foto: Haupt 2022
( 4 ) Sterbender Gallier, Bronzekopie vor der Orangerie Putbus. Foto: Haupt 2022
( 5 ) Circus Putbus, Foto: Uwe Driest (2013)