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Okzident und Orient

Die Faszination des Orients im langen 19. Jahrhundert
Klaus-Werner Haupt

In siebzehn Kapiteln werden neunzehn Persönlichkeiten des langen 19. Jahrhunderts vorgestellt, deren Texte, Bilder und Erfindungen deutlich machen: Okzident und Orient sind nicht zu trennen.

Baron Philipp von Stosch

Baron Philipp von Stosch

Klaus-Werner Haupt

Ein Kunstkenner von europäischem Rang

Im dritten Kapitel seiner Geschichte der Kunst des Alterthums (1764) behandelt Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) die Kunst der Etrurier (Etrusker) und deren Nachbarn. Von September 1758 bis Mai 1759 hielt sich der 41-Jährige zu Forschungszwecken in Florenz auf. Dort war im Jahr zuvor Baron Philipp von Stosch – Freund des Kardinals Alessandro Albani und Kunstkenner von europäischem Rang – verstorben.

Philipp Stosch wurde am 22. März 1691 in der preußischen Stadt Küstrin geboren. Nach dem Besuch der Ratsschule begann er an der Brandenburgischen Universität Frankfurt – der Alma Mater Viadrina – mit dem Studium der Theologie. Doch das wirkliche Interesse des jungen Mannes galt der Kunst. 18-jährig brach er sein Studium ab, um auf Reisen zu gehen.

Erstes Ziel waren die Niederlande. In Den Haag führte ihn sein Cousin Wolfgang Freiherr von Schmettau (1648–1711) in höchste diplomatische Kreise ein. Im Paleis Noordeinde machte Stosch Bekanntschaft mit dem Kunstsammler François Fagel (1659–1746), der sein erster Mäzen wurde. Nach Aufenthalten in England und Frankreich kam Stosch schließlich nach Rom – die Ewige Stadt. Auf Empfehlung des französischen Gelehrten Bernard de Montfaucon (1655–1741) lernte er den Antikenkenner Erzbischof Giusto Fontanini (1666–1736) kennen und wurde von dem als Kunstmäzen bekannten Papst Clemens XI. (1649–1721) empfangen. Mit dessen Neffen Alessandro Albani (1692–1779) unternahm Stosch archäologische Grabungen.

1717 rief ihn sein Vater, der Arzt Philipp Sigismund Stosch (1656–1724), wegen familiärer Angelegenheiten nach Preußen zurück. Über Florenz und Venedig reiste Philipp Stosch nach Wien. Dort ehrte ihn Kaiser Karl IV. (1685–1740) mit dem Titel eines Freiherrn (Baron). Über Prag erreichte er Dresden, wo ihn August der Starke (1670–1733) zum königlichen Rat und Antiquarius machte. Als sächsischer Gesandter weilte Philipp von Stosch von 1719 bis 1721 erneut in den Niederlanden, bevor er sich für immer nach Italien begab.

In Rom, dem einstigen Zentrum der antiken Welt, machte er die Eule der Minerva (griech. Athene) zu seinem Emblem und pflegte den Umgang mit Gelehrten und Kunstkennern. Darüber hinaus wirkte er als Kunstsammler und -händler. 36-jährig ließ er sich von der Hand des französischen Bildhauers Edmund Bouchardon (1698–1762) in einer antikisierenden Marmorbüste verewigen.

GEMMAE ANTIQUAE CAELATAE
GEMMAE ANTIQUAE CAELATAE

Der 1724 in Amsterdam erschienene Prachtband Gemmae antiquae caelatae scalptorum nominibus insignitae enthält 70 mit Inschriften bedeutender Künstler versehene Gemmen (geschnittene Steine). Indem er auch die Produktionsmittel der antiken Künstler hinterfragte, überwand Stosch das bis dahin übliche „Schubladendenken“. Zu seinen herausragendsten Leistungen zählen die Wiederentdeckung des Apollon Sauroktonos (Echsentöter, 4. Jh. v. Chr.) und die Zusammengehörigkeit des Florentiner Arrotino (Messerschleifer) mit der Figur des gehäuteten Marsayas. ( 1 )

Eine Deutung des Marsayas-Mythos findet sich in den „Metamorphosen“ des römischen Dichters Ovid. Er lässt Marsayas ausrufen: „Quid me mihi detrahis?" (VI,385) – „Warum entreißt du mich mir selbst?" D.h., die irdische Hülle (lustvolle Triebe des Menschen) muss unter Schmerzen abgestreift werden, um zu einer höheren Erkenntnis zu gelangen.

Im Auftrag der britischen Regierung beobachtete Stosch den im römischen Exil lebenden Thronprätendenten James Francis Edward Stuart (1688–1766). 1731 siedelte er vorsichtshalber in das mediceische Florenz um. Sechs Jahre später kam die Toskana an das Herrscherhaus Habsburg-Lothringen. Unter Großherzog Franz II. (1708–1765) wurde das Land von habsburgischen Beamten reformiert, was eine allgemeine Verarmung zur Folge hatte. Erst unter dem Großherzog Peter Leopold (1747–1792) wurden Erleichterungen spürbar.

Fünf der Helden gegen Theben
Fünf der Helden gegen Theben

Dank der Unterstützung europäischer Gönner konnte Stosch seine Sammlungen erweitern: Antiken, Münzen und Waffen, Gemälde, Graphiken und Handschriften, Pläne und Ansichten von Städten, Festungen und Gärten, Darstellungen historischer Ereignisse … ( 2 ) Gemmen mit mythologischen Abbildungen erleichterten die kulturhistorische Erschließung der Antike. Neben 3.444 antiken Schmucksteinschnitten (Intaglien) besaß Stosch 28.000 Abdrücke aus den bedeutendsten Sammlungen Europas. In Würdigung seiner Leistungen ernannte man ihn zum Mitglied der Accademia Etrusca in Cortona und der Società Colombaria in Florenz.

In seinem weitläufigen Haus, dem ehemaligen Palazzo Ramirez di Montalvo, wirkten namhafte Künstler. Da sein jüngerer Bruder Heinrich Sigismund im Jahre 1747 verstarben war, beabsichtigte Stosch seinen Neffen Wilhelm, Sohn seiner Schwester Luise Hedwig, zum „körperlichen Erben“ seines Museo zu machen. Allerdings traf der Neffe erst 1756 in Florenz ein. Ein Jahr später wurde er nicht nur zum Erben eines wertvollen Vermögens, sondern auch eines großen Namens: Philipp von Stosch verstarb am 7. November 1757 an den Folgen eines Schlaganfalls.

Tetstamentarisch hatte Stosch seinen „geistigen Erben“ Johann Joachim Winckelmann mit der Katalogisierung seiner Gemmensammlung beauftragt. Ausschlaggebend dafür war dessen epochales Werk Gedanken zur Nachahmung der Griechischen Werke in der Mahlerey und Bildhauerkunst (1755), das ihm 1756 durch den Landschaftsmaler Adolph Friedrich Harper (1725–1803) überbracht worden war. Eine rege Korrespondenz mit Winckelmann schloss sich an.

 Gipsabgüsse der Gemmensammlung des Barons Philipp von Stosch
Gipsabgüsse der Gemmensammlung des Barons Philipp von Stosch

Wilhelm Muzel-Stosch hatte den Altertumsforscher in Rom persönlich kennen gelernt. Nach dem plötzlichen Tod des Onkels lud er ihn nach Florenz ein. Winckelmanns Florentiner Manuskript gibt Auskunft über sein dortiges Wirken. In neunmonatiger „eselsmäßiger Arbeit“ widmete er sich vor allem Stoschs Gemmensammlung. Zwar konnte er auf einen Katalog des Verstorbenen zurückgreifen, doch waren mehr als tausend Stücke noch gar nicht bestimmt.

Muzel-Stosch wollte die Sammlung verkaufen, um selbst auf Reisen zu gehen. 1760 erschien in Florenz der Quartband Description des pierres gravées de feu Monsieur le baron de Stosch. Die stilistische Einordnung der Gemmen und ihre Interpretation aus Winckelmanns Feder setzten neue Maßstäbe. Als besonderes Stück gilt der in Perugia gefundene Karneol Fünf Helden im Zug gegen Theben. Schrift, Proportionen und Mantelwurf der Helden ließen auf das frühe 5. Jh. v. Chr. schließen. Auch Winckelmann bewunderte die Kunstfertigkeit der etruskischen Steinschneider.

Trotz fehlender Abbildungen entschloss sich der preußische König Friedrich II. (1712–1786), die umfangreiche Sammlung für 30.000 Taler nach Berlin zu holen. Der von Philipp von Stosch beabsichtigte pädagogische Nutzen – der Blick in die antike Welt – wurde durch Gipsabdrücke verwirklicht, die privaten wie öffentlichen Daktyliotheken (Sammlungen) für Lehrzwecke zur Verfügung gestellt wurden.

Im ehemaligen Florentiner Palazzo Ramirez-Montalvo, Borgo degli Albizi, 26 – Philipp von Stoschs und Johann Joachim Winckelmanns historischer Wirkungsstätte – befinden sich heute das renommierte Auktionshaus CASA D'ASTE PANDOLFINI sowie das charmante *HOTEL BAVARIA.

http://www.hotelbavariafirenze.it

Fassade des Palazzo Ramirez-Montalvo
Fassade des Palazzo Ramirez-Montalvo

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Quellen:

( 1 ) Fancelli, Maria: Ph. De Stosch, Gemmae antique caelatae. In: Winckelmann, Florenz und die

Etrusker. Der Vater der Archäologie in der Toskana. Katalog zur Ausstellung Florenz, Museo

Archeologico Nazionale 26. Mai 2016 bis 30. Januar 2017. Hrsg. B. Arbeid, S. Bruni, M. Iozzo,

S. 123 ff.

( 2 ) http://kulturportal-west-ost.eu/biographien/stosch-philipp-baron-von-2

Abbildungen:

( 1 ) Georg Martin Preissler (Zeichnung)/Johann Justin Preissler (Stich), Philipp von Stosch nach

der Büste des Bildhauers Edmund Bouchardon (1727). In: Winckelmann, Florenz und die

Etrusker. Der Vater der Archäologie in der Toskana. Katalog zur Ausstellung Florenz, Museo

Archeologico Nazionale 26. Mai 2016 bis 30. Januar 2017. Hrsg. B. Arbeid, S. Bruni, M. Iozzo,

S. 125

( 2 ) Ph. de Stosch, GEMMAE ANTIQUAE CAELATAE. Privatsammlung. Ebenda, S. 123

( 3 ) Gemme Fünf der Helden gegen Theben. Ebenda, S. 146

( 4 ) Stendaler Winckelmann-Museum, Gipsabgüsse der Gemmensammlung des Barons Philipp

von Stosch. Foto: Haupt (2016)

( 5 ) Fassade des Palazzo Ramirez-Montalvo, Borgo degli Albizi, 26 in Florenz. Foto: Haupt (2016)

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