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Okzident und Orient

Die Faszination des Orients im langen 19. Jahrhundert
Klaus-Werner Haupt

In siebzehn Kapiteln werden neunzehn Persönlichkeiten des langen 19. Jahrhunderts vorgestellt, deren Texte, Bilder und Erfindungen deutlich machen: Okzident und Orient sind nicht zu trennen.

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Wilhelm von Humboldt

Wilhelm von Humboldt

Klaus-Werner Haupt

Ein Vertreter des preußischen Griechentums

„Mir heißt ins Große und Ganze wirken, auf den Charakter der Menschheit wirken,
und darauf wirkt jeder, sobald er auf sich und bloß auf sich wirkt.“

(Wilhelm von Humboldt am 8. Februar 1790 an Georg Forster)

Wilhelm von Humboldt wurde am 22. Juni 1767 in Potsdam geboren. Verbürgt ist jedenfalls seine Taufe in der Potsdamer Garnisonkirche am 1. Juli 1767. Sein Bruder Alexander von Humboldt (1769-1859) kam zwei Jahre später in Berlin zur Welt. Der lebensfrohe Vater, der ehemalige Obristwachtmeister (Major) und Kammerherr Alexander Georg von Humboldt (1720-1779), verstarb im Alter von 59 Jahren. So nahm die kluge, aber strenge Mutter Marie-Elisabeth (1741-1796) die Ausbildung der Jungen – auch ihres Sohnes aus erster Ehe, des späteren Rittmeisters Ferdinand von Hollwede (1762-1817) – selbst in die Hand. Ab 1771 wurden sie, unabhängig vom Altersunterschied, von dem Pädagogen und Sprachforscher Joachim Heinrich Campe (1746-1818) unterrichtet. Von 1777 bis 1788 erhielten Wilhelm und Alexander durch den Aufklärer Gottlob Johann Christian Kunth (1757-1829) eine universelle Ausbildung in Geschichte, Deutsch, Mathematik, Latein, Griechisch und Französisch. Mit dreizehn sprach Wilhelm bereits fließend Griechisch, Latein und Französisch. Er und sein Bruder sollten einmal führende Positionen im preußischen Staat einnehmen.

Porträt-Büste Wilhelm von Humboldt
Porträt-Büste Wilhelm von Humboldt

Ihre mehr oder weniger freudlosen Kindheits- und Jugendjahre verbrachten die Brüder im Sommer auf Schloss Tegel, im Winter im Berliner Palais nahe dem Gendarmenmarkt (Jägerstraße 22/23, heute Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften). So kamen sie früh mit dem kulturellen Leben der Hauptstadt und namhaften Aufklärern in Kontakt. Während der Arzt Marcus Herz hochgestellte Persönlichkeiten aus Politik und Kultur empfing, legte der Tugendbund um seine schöne Frau, die Schriftstellerin und Salonnière Henriette Herz (1764-1847), die Grundlagen für den Goethekult. In ihrem Salon verkehrten auch die beiden Humboldt-Brüder, der 16-jährige Wilhelm wurde einer ihrer glühendsten Verehrer.

Im Herbst 1817 begleitete ein Hofmeister die Humboldts an die Frankfurter Viadrina. Alexander sollte Staatswirtschaftslehre studieren, Wilhelm Rechtswissenschaften. Enttäuscht kehrten beide der Universität nach dem ersten Semester den Rücken. Alexander blieb vorerst in Berlin und ging seinen botanischen Interessen nach, der antikenbegeisterte Wilhelm reiste nach Göttingen und immatrikulierte sich an der Georg-August-Universität. Sein besonderes Interesse galt Philosophie, Geschichte und alten Sprachen. Drei Semester lang studierte er bei Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) Naturwissenschaften und setzte sich mit der Philosophie Immanuel Kants (1724-1804) auseinander. Daneben besuchte er die Vorlesungen des Altertumswissenschaftlers Christian Gottlob Heyne (1729-1812), der erste Abgüsse antiker Statuen in der Universitätsbibliothek aufstellen ließ. 1788 konnte er Wilhelm von Humboldt „als trefflichen Philologen“ entlassen.

Von September bis November unternahm der 21-Jährige seine erste Bildungsreise. Sie führte in das Rhein-Main-Gebiet. In Mainz traf er den einstigen Weltumsegler, nun Hofrat und Oberbibliothekar Georg Forster (1754-1794), der mit Heynes ältester Tochter Therese (1764-1824) verheiratet war. In Pempelfort bei Düsseldorf machte Humboldt die Bekanntschaft des Philosophen und langjährigen Goethefreundes Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819). 1789 reiste er in Begleitung des Braunschweiger Hofrates und Verlegers Campe, seines einstigen Hauslehrers, nach Paris – nur drei Wochen nach dem Sturm auf die Bastille! Gegenüber den revolutionären Ereignissen nahm Humboldt eine distanzierte Haltung ein. Es folgte ein längerer Aufenthalt in der Schweiz.

Wilhelm von Humboldt bereitete es stets Vergnügen, von verdienstvollen Männern gewürdigt zu werden. Seine Briefe der 1790er Jahre charakterisieren ihn als einen willensstarken jungen Menschen, der auf der Suche nach dem Sinn des Lebens ist. Und sie weisen ihn bereits damals als Meister der klassischen Briefkultur aus. An vorderer Stelle ist der geistige Austausch mit Friedrich Schiller und seiner Frau Caroline zu nennen, deren Bekanntschaft er durch seine Jugendfreundin Henriette Herz (1764-1847) gemacht hatte. Die Liebesgeschichte zwischen Wilhelm von Humboldt und Caroline von Dacheroeden (1766-1829) nahm 1788 ihren Anfang. Um sie näher kennen zu lernen, schrieb Wilhelm einen Brief an ihren Vater, den einstigen preußischen Kriegs- und Domänenkammer-Präsidenten Carl Friedrich von Dacheroeden (1732-1809). Er gab vor, die nahe dem Gut Burgörner, Grafschaft Mansfeld installierte Dampfmaschine besichtigen zu wollen und erhielt prompt die erhoffte Einladung. Am 16. Dezember fand in Erfurt die heimliche Verlobung statt. Caroline war eng befreundet mit den Schwestern Caroline von Beulwitz (1763-1847) und Charlotte Schiller (1766-1826). So kam es Weihnachten 1789 in Weimar zur ersten Begegnung mit Friedrich Schiller (1759-1805). Die Ereignisse in Frankreich boten Stoff für intensive Gespräche. Darauf folgte die persönliche Begegnung mit Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) und Johann Gottfried Herder (1744-1803).

Ab Sommer 1790 arbeitete Humboldt in Berlin als Legationsrat im Departement für auswärtige Angelegenheiten und als Referendar am Hof- und Kammergericht. Bereits im Mai 1791 zog er sich ins Privatleben zurück. „Das gewöhnliche Leben kann beinahe jeder ausfüllen“, schrieb er an seine Verlobte, „das ungewöhnliche ist selten und ungewiß.“ ( 1 ) Humboldt wollte sich nur noch mit Kunst und Geschichte befassen und sich schriftstellerisch betätigen – gemeinsam mit Caroline.

Obwohl seine Neugier gegenüber dem weiblichen Geschlecht noch lange nicht befriedigt war, fand am 29. Juni 1791 in Erfurt die Hochzeit statt. Mit Feinsinn und Kunstverstand beförderte die selbstbewusste Caroline die Karriere ihres Mannes: sie – die Repräsentantin deutscher Weiblichkeit, er – der Vertreter des preußischen Griechentums. ( 2 ) Nach ihrer Hochzeit lebten „Li“ und „Bill“ zweieinhalb Jahre auf dem Dacheroedeschen Gut in Burgörner. Caroline ließ sich ein Klavier und diverse Gemälde aus Erfurt nachschicken, Wilhelm kaufte Möbel in Berlin. Da auch die Küche den Ansprüchen des jungen Paares nicht genügte, sandte Carolines einziger Bruder Ernst Kochrezepte, Lebensmittel und Wein in die Provinz. Mansfelder Bergbeamte, Pastoren und Amtmänner zählten zu den häufigsten Gästen der Humboldts. Auch der Oberförster, denn er sorgte für das begehrte Wildbret. Für Abwechslung sorgten Theaterbesuche in Mansfeld oder der Kirchgang nach Hettstedt.

Friedrich Schiller, Wilhelm und Alexander von Humboldt und Johann Wolfgang von Goethe in Jena
Friedrich Schiller, Wilhelm und Alexander von Humboldt und Johann Wolfgang von Goethe in Jena

Neben dem Altgriechischen widmeten sich die Humboldts Kultur, Kunst und Philosophie. Wilhelm korrespondierte mit dem Hallenser klassischen Philologen Friedrich August Wolf (1759-1824). Die Antike bot nicht nur Inspiration für poetische Werke, sie regte auch an zur kritischen Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Im Winter 1791/92 entstand die Urfassung zu Humboldts programmatischer Schrift Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen und sein Werk Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen.

Am 19. November 1796 verstarb Marie-Elisabeth von Humboldt. Gut und Schloss Tegel fielen an Wilhelm, das Gut Falkenberg erhielt Ferdinand von Hollwede, Alexander bezog aus den genannten Gütern Hypothekenzahlungen sowie eine Resthypothek aus dem Gut Ringenwalde (heute Dyszno, Republik Polen). Mit dem geerbten Vermögen bereitete Alexander von Humboldt seine Überseeexpedition vor, sein Bruder Wilhelm zog endgültig mit Frau und den Kindern Caroline und Wilhelm nach Jena um. Die persönliche Nähe zu Schiller (er wohnte ab April 1795 im Griesbachschen Haus, Löbdergraben 15), der Umgang mit Goethe und eigene literarisch-kritische Arbeiten machten Wilhelm von Humboldt zum „Juniorpartner der deutschen Klassik“. ( 3 ) Mit zwei Artikeln trug er zu Schillers Horen bei, später mit einem „eingeschobenen Brief“ zu Goethes Aufsatzsammlung Winckelmann und sein Jahrhundert (1805). Auch der Oberbergrat a. D. Alexander von Humboldt war mehrfach in Jena zu Gast und bereicherte die Horen mit seiner philosophischen Allegorie Die Lebenskraft, oder der rhodische Genius (1795).

Ab 1797 hielt sich die Familie vier Jahre in Paris auf. Die Humboldts studierten die romanische Geschichte und Kultur Frankreichs. Ihr Salon im vornehmen Fauborg Saint-Germain wurde zum Treffpunkt bedeutender Persönlichkeiten, unter ihnen die Salonnière und Napoleongegnerin Anne Louise Germaine de Staël-Holstein (1766-1817). Von Paris aus unternahm die um die Kinder Theodor und Adelheid vermehrte Familie Studienreisen durch Spanien. 1801 reiste Humboldt allein durch das "göttliche" Baskenland.

Caroline von Humboldt
Caroline von Humboldt

Schließlich bemühte sich Wilhelm von Humboldt ab August 1801 um den Posten des preußischen Residenten beim Heiligen Stuhl in Rom. 1802, als sich sein Bruder Alexander in Ecuador durch unwirtliche Vegetation den Chimborazo hinaufquälte, erfüllte sich Wilhelm Traums vom Land, wo die Zitronen blühn: Man ernannte ihn zum ständigen Vertreter Preußens am Vatikan. Die Humboldts bezogen Quartier in der legendären Villa Malta (Piazza dei Cavalieri di Malta 5), bald darauf residierten sie im Palazzo Tomati (Via Gregoriana 42). Die Schriftstellerin Friederike Brun (1765-1835) und der Kunsthistoriker Carl Ludwig Fernow (1763-1808) führten beide in die römische Künstlerkolonie ein, der im Hinterhaus wohnende dänische Bildhauer Bertel Thorvaldsen (1770-1844) wurde zu einem engen Freund der Familie. Zu den ausländischen Gästen, die sich in Rom einfanden, gehörten Madame de Staël und ihr Gefährte Benjamin Constant de Rebeque (1767-1830. Ihr Cicerone August Wilhelm Schlegel (1767-1845) war Humboldt aus Göttingen bekannt. Die Gästeliste enthält die Namen der kulturellen Elite, die mit den Schriften Johann Joachim Winckelmanns (1717-1768) oder Goethes Römischen Elegien (1788/90) und Venezianischen Epigrammen (1790) groß geworden war, darunter der spätere König Ludwig I. von Bayern (1786-1866).

Villa Malta (1821)
Villa Malta (1821)

Für Humboldt stellte der sechsjährige Romaufenthalt den Höhepunkt seines geistigen und gesellschaftlichen Lebens dar. Künstler wie der Bildhauer Daniel Christian Rauch (1777-1857) oder der Diplomat Kardinal Ercole Consalvi (1757-1824 vermehrten sein Wissen über Kunst und Geschichte. Die fragmentarische Studie Latium und Hellas oder Betrachtungen über das classische Alterthum (1806) beinhaltet Humboldts Gedanken zum Verhältnis von Griechenland und Rom.

Im Gegensatz zu den prächtigen Palästen und antiken Ruinen der Ewigen Stadt stand die Not der hungernden Bevölkerung. „Rom ist eine Einöde, aber die erhabenste, die fesselndste, die ich je gesehen habe“, schrieb Wilhelm von Humboldt am 22. Oktober 1803 an den schwedischen Diplomaten Karl Gustav von Brinkmann. ( 4 ) Aus Angst um die Gesundheit ihres vierjährigen Sohnes Theodor reiste Caroline im März 1804 zunächst nach Erfurt und von dort weiter nach Paris. Hier wurde im Juli die gemeinsame Tochter Louise geboren, sie wurde nur drei Monate alt. Zurück in Rom wurde im Januar 1806 Gustav, das siebente Kind, geboren, das kaum zweijährig verstarb. Im April 1809 erblickte Hermann, der jüngste Sohn, das Licht der Ewigen Stadt.

Nachdem Kaiser Napoleon I. (1769-1821) den Kirchenstaat aufgelöste hatte, wurde der Posten des preußischen Gesandten beim Heiligen Stuhl nicht mehr benötigt. Die Familie Humboldt ging mit gemischten Gefühlen zurück nach Deutschland. Berlin befand sich noch in der Hand Napoleons, Schloss Tegel war von den Franzosen verwüstet worden. Der preußische König Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) saß im Königsberger Exil und wartete ungeduldig darauf, zurückkehren zu können. Auf Empfehlung des Freiherrn vom und zum Stein (1757-1831) wurde Wilhelm von Humboldt seiner liberalen Auffassungen wegen zum Geheimen Staatsrat und Leiter der Sektion für Kultus und Unterricht im Ministerium des Inneren. Unter dem Grundsatz „Bildung ist Selbstbildung, die keiner für einen anderen erbringen kann" initiierte Humboldt vom kalten Königsberg aus Reformen im Bildungswesen und schuf die Grundlagen für das dreistufige preußische Bildungsmodell. Nach seinem Konzept entstand 1810 die Berliner Universität, die die Einheit von Lehre und Forschung sowie eine allseitige humanistische Bildung ermöglichte – in den vier klassischen Fakultäten Jura, Medizin, Philosophie und Theologie. In seiner Schrift Über den Entwurf zu einer neuen Konstitution für die Juden (1809) forderte Humboldt, alle Menschen gleichermaßen zu achten und nicht nach ihrer „Rasse", sondern nach ihren subjektiven Eigenschaften zu beurteilen. Obwohl Caroline seit ihrer Jugend mit Intellektuellen und Künstlern jüdischen Glaubens verkehrte, teilte sie die Haltung ihres Mannes in dieser Angelegenheit nicht.

Wegen unüberwindlicher organisatorischer Hürden erklärte Humboldt schon im Sommer 1810, nach nur vierzehn Monaten, seinen Rücktritt. Hatte er gehofft, der König wäre zu Konzessionen bereit, sandte ihn jener als bevollmächtigten Staatsminister nach Wien. Während des Wiener Kongresses 1814/15 verhandelte Humboldt neben dem Staatskanzler Karl August von Hardenberg (1750-1822) und dem Diplomaten Karl August Varnhagen von Ense (1785-1858) die Neuordnung Europas. Dafür ehrte ihn der preußische König mit dem Eisernen Kreuz am Bande. Caroline von Humboldt fand das leere Treiben des „tanzenden Kongresses“ zunehmend unerträglich. Ab 1815 zurück in Berlin verteidigte Humboldt vielerorts den Gedanken eines föderativen deutschen Staatenbundes. Seine liberalen Auffassungen stießen zunehmend auf den Widerstand Hardenbergs und restaurativer Kreise, besonders des österreichischen Außenministers Klemens Wenzel von Metternich (1773-1859). 1817 bedachte man Humboldt mit dem Posten des Gesandten im entfernten London.

Zwischenzeitlich auf eigenen Wunsch entlassen, berief man ihn im Januar 1819 erneut in den Staatsdienst – diesmal als Minister für Ständische Angelegenheiten. Am 20. September protestierte Humboldt beim König gegen die willkürliche Durchsetzung der Karlsbader Beschlüsse, am 31. Dezember erhielt er seinen endgültigen Abschied.

52-jährig zog sich Wilhelm von Humboldt ins Privatleben zurück. Die Besitzungen seiner Frau Caroline befanden sich überwiegend in Thüringen. Am 13. März 1824 erwarb sie auch den zwischen Magdeburg und Halberstadt gelegenen Amtshof von Hadmersleben (Börde). Zwei Stadthäuser der Familie standen am Erfurter Anger. 1833 erfolgte die Vereinigung beider Häuser (heute Kulturforum Haus Dacheroeden, Anger 37/38). Das Ehepaar Humboldt bezog zunächst eine Wohnung am Berliner Gendarmenmarkt, Französische Straße 42 und machte diese wiederum zum Treffpunkt der gebildeten Gesellschaft. Dann zog sich Caroline auf das Gut Burgörner zurück, Wilhelm blieb in Berlin und betätigte sich als Sprachphilosoph. Seine Kenntnisse in Französisch, Englisch, Italienisch, Spanisch, Griechisch, Latein, Baskisch, Ungarisch, Tschechisch, Litauisch, später auch in Sanskrit und Japanisch, nutzte er, um vergleichende Studien durchzuführen. Er arbeitete an seinem Werk Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues (1829) und hielt jährliche Vorträge an der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften.

Humboldts bevorzugter Aufenthaltsort neben dem schlesischen Gut Ottmachau, das ihm der preußische König nach dem Wiener Kongress als Dotation übertragen hatte, war das Schloss Tegel. Von 1822 bis 1824 wurde der als „Humboldtschloss" bekannte gewordene Herrensitz (heute Adelheidallee 19) nach Plänen Karl Friedrich Schinkels (1781-1841) klassizistisch umgestaltet. Darin finden sich die aus Rom mitgebrachten „Gipse und Marmor“, Skulpturen und Gemälde. In Sichtweite befindet sich die Familiengrabstätte (Campo Santo) mit einer Kopie der von Thorvaldsen geschaffenen Spes, der Göttin der Hoffnung. Caroline von Humboldt fand 1829 dort ihre letzte Ruhestätte. Seit ihrem Tod diktierte Wilhelm jeden Abend zur gleichen Zeit ein Sonett, heißt es.

Humboldts Familienbegräbnis im Schloßgarten von Tegel
Humboldts Familienbegräbnis im Schloßgarten von Tegel

Der Verlust Carolines verursachte eine chronische Nervenkrankheit, die nur durch geistige Arbeit und öffentliche Ämter kompensiert werden konnte. Da auf politischem Gebiet keine Erfolge zu erwarten waren, widmete sich der Staatsminister a. D. dem intensiven Studium 75 lebender und historischer Sprachen. Nach den Worten seines Bruders Alexander wollte er den „Zusammenhang aller Sprachformen und ihren Einfluss auf die Bildung der Menschheit" ergründen. In den 1820er Jahren entstanden die Schriften Über das vergleichende Sprachstudium (1820), Über die Aufgabe des Geschichtsschreibers (1822) und sein Hauptwerk Über die Kawi-Sprache auf der Insel Java mit der vergleichenden Einleitung Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. Das letzte Werk wurde allerdings erst 1836 postum veröffentlicht.

Seit 1825 war Wilhelm von Humboldt Vorsitzender des Vereins der Kunstfreunde im Preußischen Staate, der sich die Förderung von Kunst und Künstlern auf die Fahnen geschrieben hatte. 1829 konzipierte er die Präsentation „hoher“ Kunstwerke im Neuen Museum, das nach Schinkels Plänen am Lustgarten entstand (das heutige Alte Museum). Mit der Eröffnung des Museums im September 1830 waren allgemeine Wertschätzung und die Auszeichnung Humboldts mit dem Schwarzen Adlerorden verbunden. Er erhielt sogar seinen Sitz im Staatsrat zurück.

Am 8. April 1835 verstarb Wilhelm von Humboldt auf Schloss Tegel und wurde neben seiner Frau beigesetzt. Sein unverheiratet gebliebener Bruder Alexander folgte ihm vierzehn Jahre später nach. Beide sind Namensgeber für das künftige Humboldt Forum im Berliner Stadtschloss: Wilhelm der Universalgelehrte steht für die Vereinigung von Bildung und Forschung unter einem Dach, Alexander der Weltreisende und Forscher für die Vielseitigkeit außereuropäischer Sammlungen. Ab 2019 lädt das Humboldt Forum ein, „Natur und Kultur zusammenzudenken, die Verflechtungen in der Welt zu entdecken, Fremdes im Eigenen und Eigenes im Fremden entdecken". ( 5 )



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Quellen:

http://www.humboldt-gesellschaft.org/wilhelm-von-h...

Anmerkungen:

( 1 ) Weber-Fas, Rudolf, Staatsdenker der Moderne. Klassikertexte von Machiavelli bis Max Weber.

Verlag J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen 2003, S. 216

( 2 ) Rosenstrauch, Hazel: Wahlverwandt und ebenbürtig. Caroline und Wilhem von Humboldt. DIE

ANDERE BIBLIOTHEK im Eichborn Verlag Frankfurt am Main 2009, S. 16

( 3 ) Berglar, Peter: Wilhelm von Humboldt. Rowohlt Taschenbuch Verlag Reinbek 1970, S. 42.

( 4 ) sh. Anmerkung ( 1 ), S. 170

( 5 ) http://www.sbs-humboldtforum.de/de-DE/ausstellungen/

Abbildungsnachweis:

( 1 ) F. Krüger, Wilhelm von Humboldt (vor 1835), Universitätsbibliothek HU Berlin

( 2 ) Bertel Thorvaldsen, Porträt-Büste Wilhelm von Humboldt (1808), bis 2013 Friedrichswerdersche Kirche Berlin. Foto © Haupt (2010)

( 3 ) A. Müller, F. Schiller, W. und A. von Humboldt, J. W. von Goethe in Jena (1797)

( 4 ) W. Wach, Caroline von Humboldt

( 5 ) J. C. Dahl, Villa Malta (1821). National Museum Oslo

( 6 ) Humboldts Familienbegräbnis im Schloßgarten von Tegel. In: Ernst Keil's Nachfolger (Hrsg.), Die Gartenlaube, 1859

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