Kein deutscher Außenminister war so lange im Amt wie er. Der am 21. März 1927 in der heute zu Halle (Saale) gehörenden Ortschaft Reideburg geborene Hans-Dietrich Genscher vertrat von 1974 bis 1992 mit einer kurzen Unterbrechung die Bundesrepublik Deutschland gegenüber den anderen Staaten der Welt. Er liebt Anekdoten, und auf der Geburtstagsfeier einer seiner Fraktionskolleginnen erzählte er, dass er beim Besuch im Außenministerium eines anderen Landes, dem dortigen Amtsinhaber, der gerade neu berufen worden war, den Weg zur Toilette beschreiben konnte. In einer Zeit, die noch vom sog. Kalten Krieg und vom Ost-West-Konflikt gekennzeichnet war, gelang es ihm, Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Friedfertigkeit deutscher Politik zu vermitteln und zu bestärken. Er war das, was Bismarck in seinen letzten Amtsjahren sein wollte und was unter dessen unmittelbaren Nachfolgern mit verheerenden Folgen missachtet wurde: ein ehrlicher Makler in der Welt der internationalen Politik.
Zu den emotionalen Höhepunkten der jüngeren deutschen Geschichte gehört sein Auftritt auf dem Balkon der deutschen Botschaft in Prag, wo er am 30. September 1989 den im Garten der Botschaft zusammengepfercht wartenden Flüchtlingen aus der DDR das Ergebnis seiner Bemühungen mitteilen konnte: „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise (... möglich geworden ist.)." Die im Kanzleideutsch vorgetragene Mitteilung und der mitreißende Jubel der Zuhörer symbolisierten das, weswegen es zur Wende in Deutschland und zur Wiedervereinigung kommen konnte: der unbändige Freiheitswille vieler DDR-Bürger und die geschickte Diplomatie, die notwendig war, um ihm zum Durchbruch zu verhelfen.
Genscher, der 1965 erstmals über die nordrhein-westfälische Landesliste in den Bundestag eingezogen war, engagierte sich zunächst in der Innenpolitik. Als ich vor mehreren Jahren in Bundestagsprotokollen recherchiert habe, fand ich heraus, dass die erste parlamentarische Initiative zum Umweltschutz auf Bundesebene auf ihn zurückging. Ich habe mich damals gefragt, warum dieser kluge Politiker, der 1974 zum Bundesvorsitzenden der FDP aufstieg, das grüne Thema nicht konsequent für seine Partei belegt hielt.
Von 1969 bis 1974 war Genscher Bundesinnenminister. In politischen Debatten und Diskussionen wirkte er unaufgeregt, gut informiert, rhetorisch sicher. Wenn er austeilte, geschah dies nicht persönlich verletzend oder beleidigend, aber durchaus treffsicher. Er kann auch Heiterkeit verbreiten und die Zuhörer mit seiner Eloquenz fesseln. Der Mann aus Halle hat viele Talente. Dass er sie genutzt hat, ist der Bundesrepublik Deutschland zugute gekommen.
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