Die tragische Liebesgeschichte des Grafen Philipp Christoph Königsmarck und der Prinzessin Sophie Dorothea, die mit dem Verschwinden (und der wahrscheinlichen Ermordung) des Grafen endete, faszinierte viele Schriftsteller und Filmemacher. Einer von ihnen war der Engländer Alfred Edward Woodley Mason (1865 – 1948) war, der seine Bücher als A. E. W. Mason veröffentlichte. 1938 erschien sein Roman Königsmarck, der nun erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt.
Masons Geschichte beginnt mit einem Dialog zwischen dem Kanzler Schütz (den er Schultz nennt) und dem Ratsherrn Bernstorff:
„Die Prinzessin Sophie Dorothea! Es gibt keinen Fürsten in ganz Deutschland, der sich nicht glücklich schätzen würde, wenn ihre schöne Hand die seine würde.“ Der Kanzler hatte also guten Grund zu seiner Selbstzufriedenheit. Er blickte zurück.
Bernstorff hingegen schaute nach vorn. „Und welcher wird es?“ fragte er, anscheinend vollkommen gleichgültig.
Schultz zuckte mit den Schultern. „Sie wird selbst entscheiden. Sie sind schockiert, mein Freund? Dann werden Sie im schönen Celle viel finden, was Sie schockieren könnte. Einen Mann, der seine Frau liebt. Eine Frau, die mit ihrem Heim zufrieden ist. Eine Tochter, die mit vierzehn Jahren noch ein Kind ist, mit den Träumen und Freuden eines Kindes. Zu gegebener Zeit wird sie ihre Wahl treffen. Vielleicht wird es der junge August Wilhelm von Wolfenbüttel. Lassen Sie uns darauf hoffen.“
Bernstorff schüttelte zweifelnd den Kopf über diese Aussichten, und Schultz lachte. „Was, Sie auch? Weil der ältere Bruder, der sich zu früh verlobt hat, im Kampf stirbt, darf der jüngere nicht an seine Stelle treten? Aberglaube, Bernstorff. Hüten Sie sich davor! Aber wir haben Zeit und Muße. Lassen wir der Natur ihren Lauf!“
„Natur?“ wiederholte Bernstorff. „Mit vierzehn sind Frauen reif für die
Ehe.“
„Und mit fünfzehn sind sie reif für den Tod. Soll doch die Prinzessin
Sophie Dorothea noch ein Weilchen mit ihren Puppen spielen.“
„Und eine davon“, sagte Bernstorff langsam, „ist Philipp Christoph von Königsmarck.“
Der Kanzler setzte sich kerzengerade hin und starrte sein Gegenüber an.
„Philipp Christoph Königsmarck?“ wiederholte er.
„Der Page?“
„Der Page“, sagte Bernstorff und nickte.
Danach herrschte Schweigen im Raum. Schultz konnte nicht daran zweifeln, daß Bernstorff einen Grund für seine Worte hatte. Seine ganze Selbstzufriedenheit verging ihm. Er hatte mit soviel Bedacht für die Sicherheit des kleinen Reiches gesorgt, sein ganzes loyales Herz der Aufgabe gewidmet, jede Ritze zuzustopfen, durch die ein ungünstiger Wind dringen konnte. Und hier zeigte sich plötzlich eine Gefahr, die er nie in Betracht gezogen hatte.
Damals war es üblich, daß die Sprößlinge adliger Familien ihre Ausbildung als Pagen an herzoglichen oder kaiserlichen Höfen absolvierten. Im benachbarten Schweden erstrahlte keine Familie in hellerem Glanz als die des alten Johann Christoph Königsmarck, der 1648 Prag erobert und das berühmte Silberne Buch des Bischofs Wulfila erbeutet hatte. Seine Nachkommen hatten ihre Namen auf allen Schlachtfeldern Europas verewigt und überall Spuren hinterlassen. Sie taten sich im Krieg und in der Liebe hervor und bestachen durch ihre Schönheit und ihr einnehmendes Wesen. Man erzählte sich abenteuerliche Geschichten über sie, die sogar stimmten. Karl Johann war mit seinem Schwert zwischen den Zähnen durchs Meer geschwommen und hatte eine türkische Galeere im Alleingang erobert. Er war der einzige Protestant, der jemals zum Ritter von Malta geschlagen wurde. Ein Mädchen aus einer vornehmen englischen Familie floh aus seiner Heimat und kampierte mit ihm als sein Page von Wien bis vor die Tore Konstantinopels. Wenn es eine Schlacht zu schlagen oder eine Frau zu lieben galt, war jemand aus dieser Familie zur Stelle. Und nun blühte ein Sproß dieses Baumes am ruhigen Hof von Celle, und die größte Erbin ihrer Zeit wickelte ihren Vater um ihren kleinen Kinderfinger und entzückte ihre Mutter, die sie vergötterte, mit ihrer Lebhaftigkeit und Intelligenz. Er, Schultz, hätte die Gefahr erkennen und ihr vorbeugen müssen.
Er saß da und machte sich Vorwürfe. Plötzlich fiel ein Schatten auf den hellen Tag. Die Stille im Raum wurde bedrückend. Er hatte das Gefühl, daß sich Schatten in den Ecken sammelten, die ein Eigenleben bekamen, böse Geister, die sich in dem gemütlichen Palast ausbreiteten und ihn zum Schauplatz schrecklicher Tragödien machen würden. Kanzler Schultz schüttelte sich, erhob sich von seinem Stuhl und ging schnell durch den Raum. Er schaute aus dem Fenster und sah den Rasen und die Allee im Sonnenlicht. Der friedliche Anblick beruhigte ihn. Vom Marktplatz jenseits der Kirche drang ein schläfriges Summen an seine Ohren, und zu seiner Rechten hörte er die Aller fröhlich rauschen.
Es ärgerte ihn, daß er sich so leicht von albernen Phantasien ins Bockshorn jagen ließ.
Es ist höchste Zeit, daß ich in den Ruhestand gehe, dachte er bei sich. Ich werde alt, und alte Männer machen aus jeder Mücke einen Elefanten. Ein Page?
Einen Pagen kann man wegschicken, und der Staat steht immer noch aufrecht.
Er lachte und setzte sich wieder auf seinen Platz. „Lassen Sie mich diese tragische Geschichte von dem Pagen und der Prinzessin hören, mein guter Bernstorff.“
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Aus: A. E. W. Mason: Königsmarck. Deutsch von Nadine Erler. Verlag 28 Eichen, Barnstorf 2024.
Bildquellen:
Vorschaubild: Sophie-Dorothea von Braunschweig-Lüneburg, etwa 1670-1699, Urheber: unbekannt via Wikimedia Commons Gemeinfrei; bearbeitet von Carolin Eberhardt.
Sophie Dorothea von Braunschweig-Lüneburg, 1650, Urheber: Jakob Ferdinand Voet via Wikimedia Commons Gemeinfrei
Philipp Christoph von Königsmarck in jungen Jahren, Datum und Urheber unbekannt via Wikimedia Commons Gemeinfrei.