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Christoph Werner
Um ewig einst zu leben
Caspar David Friedrich und Joseph Mallord William Turner

Im Roman werden das Leben und Wirken, der Antrieb und Erfolg beider Männer gegenübergestellt. Zwei Lebenswelten in der gleichen Zeit. Für Spannung sorgt die Frage nach dem Berührungspunkt. 

Stefan Heym

Stefan Heym

Christoph Werner

Stefan Heym zur 100. Wiederkehr seines Geburtstages

 

Teil 1

Es gehört wohl zu den beschämendsten Stunden im Deutschen Bundestag, als sich die sich so nennenden christlichen Demokraten am 10. November 1994 bei der Eröffnungsrede des Alterspräsidenten Stefan Heym weigerten, dem 81jährigen wenn nicht schon Beifall zu spenden, so doch wenigstens Respekt zu zollen. Eine Frau unter ihnen bewies Mut und widerstand dem Fraktionszwang: Rita Süssmuth.
Ein solcher Mut, allerdings unter gefährlicheren Umständen, zeichnete Stefan Heym ein Leben lang aus, der Mut, wider den Stachel zu löcken.

Helmut Flieg, so sein Geburtsname, wurde am 10. April 1913 in Chemnitz als ältester Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Die Familie war nicht orthodox, man aß nicht koscher und ging nur an den bedeutenden Feiertagen in die Synagoge. Dennoch machten ihm die Gesellschaft, die Schule und die jüdische Gemeinde selbst immer wieder sein Judentum bewusst. Er wurde und blieb der ewige Jude, ein Engel Gottes, der sich mit dessen unvollkommener Schöpfung nicht abfinden wollte. Diese Charakterisierung bildet später den Hintergrund eines der faszinierendsten Bücher Stefan Heyms, Ahasver (1981).

Der junge Flieg besucht das Chemnitzer Staatsgymnasium, wo er 1931 das Gedicht "Exportgeschäft" schreibt, das in der "Jugendstimme", einer Beilage der sozialdemokratischen "Chemnitzer Volksstimme" erscheint. Das Gedicht ruft den Unwillen der Nationalisten und der immer stärker werdenden Nationalsozialisten hervor. In der Schule wird er von Mitschülern misshandelt. Das ist eine nachhaltige Erfahrung, "aus der ihm der Trieb erwuchs, Nur ja nicht diesen noch einmal in die Hände fallen!, und daraus resultierend dessen Umkehrung, der Zwang, sich selbst immer wieder beweisen zu müssen, daß er sehr wohl imstande ist, einer feindseligen Masse gegenüberzutreten, einer Übermacht Paroli zu bieten." (Nachruf, S. 49).

Das Lehrerkollegium erteilt Flieg das consilium abeundi, er verlässt die Schule und hat das Glück, in Berlin das Abitur machen zu können. Danach beginnt er Philosophie, Germanistik und Zeitungswissenschaften zu studieren und schreibt erste Beiträge für Zeitschriften, unter anderem für Ossietzkys "Weltbühne".

Im Jahre 1933, nach der Machtübergabe an Hitler, emigriert er nach Prag und schreibt unter verschiedenen Pseudonymen, darunter der Name Stefan Heym, Artikel für deutschsprachige und tschechoslowakische Zeitungen. Von nun an wird er sich Stefan Heym nennen.

Im Jahre 1935 begeht sein Vater Selbstmord. Andere Familienmitglieder werden später von den Nationalsozialisten in den Vernichtungslagern ermordet. Stefan Heym emigriert in die USA, studiert an der Universität Chicago Germanistik, arbeitet als Chefredakteur der antifaschistischen New Yorker Wochenzeitung "Deutsches Volksecho" und gerät hier bereits in den Zwiespalt zwischen Ideologie und Wirklichkeit. Er veröffentlicht 1942 seinen ersten Roman, "Hostages" (dt. "Der Fall Glasenapp", 1958), der ein großer Erfolg wird. Hier beginnt ein philologisches Wunder, das sich nur mit dem Werk von Chamisso vergleichen lässt. Nach nur sieben Jahren Aufenthalt in den USA schreibt Heym auf Englisch, und das wird er für viele seiner Bücher, auch als er wieder in Deutschland ist, beibehalten.

1943 tritt er in die U.S. Army ein und nimmt als Sergeant in einer Einheit für psychologische Kriegsführung an der Invasion in der Normandie teil.

1948 erscheint sein großer Roman "The Crusaders" (dt. "Kreuzfahrer von heute", 1958), der ein Welterfolg wird.

Im Jahre 1952, auf der Höhe der antikommunistischen Stimmung und Politik in den USA, gibt er sein Leutnantspatent sowie seine Kriegsauszeichnungen zurück und siedelt über Warschau und Prag in die DDR über.

 

Teil 2

Bis zum Jahre 1989, dem nahen Ende der DDR, wird sich Stefan Heym als kritischer und im Grunde wohlmeinender Wegbegleiter dieses Landes mit dessen verfehlter und schließlich in den Untergang führenden Politik auseinandersetzen. Er wird verleumdet, verfolgt, bestraft, von der Geheimpolizei überwacht, aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen, und bleibt dennoch im Land. Nach der Wiedervereinigung glaubt er weiter an einen demokratiefähigen Sozialismus und wird zunehmend ungehalten über die Art und Weise, in der sich unter den neuen Umständen und mit Schmerzen und Zumutungen der selbstbestimmte Bürger zu etablieren versucht. Wie wirklichkeitsfremd Stefan Heym am Ende seiner Utopie nachhing, wird in dem folgenden Zitat deutlich: "So lese ich denn die Akte (des Ministeriums für Staatssicherheit) ... weniger als ein Stück mich betreffenden Klatsches, ... denn als eine Fallgeschichte, die Teil ist der Geschichte des Zusammenbruchs eines großen sozialen Versuches, der, mit viel Glück und Weisheit und Freundlichkeit, vielleicht hätte gelingen können." (Offen gesagt, S. 63)
Stefan Heym starb am 16. Dezember 2001 in Israel.

Seine Bücher haben vielen, auch Ihrem Autor, das Leben in der DDR erleichtert. Sie haben sie in dem Glauben bestärkt, dass ein aufrechter Gang Teil einer inneren moralischen Unverfügbarkeit sein sollte, die zumindest ein der menschlichen Würde angemessenes Ziel ist, wenn es auch angesichts der Verführungen des täglichen Lebens von den Wenigsten erreicht wird. Dafür hatte Heym Verständnis. Seine Bücher waren aber auch ein Spiegel, in dem sich die Herrschenden - unwillig - wiedererkannten und sie deshalb verpönten.

Lesen Sie "Kreuzfahrer von heute", den "König David Bericht", "Ahasver" und "Die Schmähschrift", dann kennen Sie Stefan Heym. Wie nahe uns dieser große Humanist ist, spüren Sie in seinem letzten veröffentlichten Text (Offene Worte, S. 273 ff.) über die Todesangst und Einsamkeit des Sterbenden, ein Heymsche Variation des Sch'ma Jisrael, des jüdischen Glaubensbekenntnisses.

 

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Literatur:

Heym, Stefan. 1958. The Crusaders. Volume I. Berlin: Seven Seas Publishers.

Heym, Stefan. 1958. The Crusaders. Volume 2. Berlin: Seven Seas Publishers.

Heym, Stefan. 1974. Die Schmähschrift oder Königin gegen Defoe. Erzählt nach den Aufzeichnungen eines gewissen Josiah Creech. Leipzig: Verlag Philipp Reclam jun.

Heym, Stefan. 1984. (1983). Ahasver. Roman. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag

Heym, Stefan. 1990. (1988). Nachruf. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag GmbH

Heym, Stefan. 1996. 5. Auflage. Der Winters unsers Mißvergnügens. Aus den Aufzeichnungen des OV Diversant. München: btb Verlag

Heym, Stefan. 1999. 23. Auflage. Der König David Bericht. Roman. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag.

Heym, Stefan. 2003. Offene Worte in eigener Sache 1989-2001. München: btb Verlag

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Weiterführende Lektüre:

Engelmann, Roger/Vollnhals, Clemens (Hg.). 2000. Justiz im Dienste der Parteiherrschaft. Rechtspraxis und Staatssicherheit in der DDR. Berlin: Ch. Links Verlag

Ernst, Otto. 1965. Stefan Heyms Auseinandersetzung mit Faschismus, Militarismus und Kapitalismus: dargestellt an den Gestalten seiner Romane. Universität Jena: Dissertation

Goldberg, Henryk. Der Kreuzfahrer. Vor 90 Jahren wurde der ungeschmeidige Stefan Heym geboren. Thüringer Allgemeine vom 10. April 2003

Krug, Manfred. 1996. Abgehauen. Ein Mitschnitt und Ein Tagebuch. Düsseldorf: ECON Verlag GmbH

Walther, Joachim. 1996. Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin: Ch. Links Verlag

Walther, Joachim u.a.1991. Protokoll eines Tribunals. Die Ausschlüsse aus dem DDR-Schriftstellerverband 1979. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH

Wolle, Stefan. 1999. Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971-1989. Econ & List Taschenbuch Verlag.

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Bildquelle: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1104-039 / Link, Hubert / CC-BY-SA; ADN-ZB/Link/ 4.11.89/ Berlin: Demonstration/ 500.000 Bürger beteiligten sich an einer Demonstration für den Inhalt der Artikel 27 und 28 der Verfassung der DDR. Auf dem anschließenden Meeting auf dem Alexanderplatz ergriff auch der Schriftsteller Stefan Heym das Wort. wikipedia

 

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