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Silvia Frank: Kennst du Georg Büchner?

Vor Ihnen liegt der spannungsreiche Lebensweg eines jungen Mannes, der seine Zeit kritisch reflektierte und an Veränderungen mitwirkte. Er wurde steckbrieflich gesucht und musste emigrieren, begegnete seiner großen Liebe, verlobte sich heimlich und überwarf sich mit dem Vater.

Georg Büchner

Georg Büchner

Florian Russi

Er wurde nicht einmal 24 Jahre alt und sein literarisches Werk umfasst nur zwei Dramen, ein Dramenfragment, eine Erzählung sowie zwei Übersetzungen. Dennoch wird Georg Büchner zu den bedeutendsten deutschen Dichtern gerechnet und gilt als ein Begründer der modernen deutschen Literatur. Der bedeutendste deutsche Literaturpreis, der jährlich von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung an herausragende deutschsprachige Autoren verliehen wird, trägt seinen Namen. Seine Dramen wurden in mehrere Sprachen übersetzt und gehören zu den weltweit meist aufgeführten Bühnenstücken.

Büchner wurde am 17. Oktober 1813 in Goddelau, im damaligen Großherzogtum Hessen-Darmstadt geboren. Er war das älteste von sechs Geschwistern. Sein Vater Ernst Karl Büchner war Arzt. Kurz nach Georgs Geburt zog die Familie nach Darmstadt, wo der Vater als Stadt- und Amtsarzt für über 16.000 Bewohner verantwortlich war. Über ihn wird berichtet, dass er streng gewesen sei, gleichzeitig soll er aber alles getan haben, um die Entwicklung seiner Kinder zu fördern. In einem Schulaufsatz beschrieb ihn der damals 12-jährige Georg als „wohltätigen Gott", der immer auf die Sorgen und Nöte seiner Patienten bedacht sei.

Georgs Mutter wird als fröhliche, intelligente, charmante und liebenswürdige Frau geschildert. Sie soll ihr Leben ganz in den Dienst ihrer Familie gestellt haben. Georg besuchte das „Pädagog", ein angesehenes Gymnasium in Darmstadt. Schon als Schüler schloss er sich Kreisen an, die für Freiheitsrechte und Demokratie eintraten. Seit dem Niedergang Napoleons I. und dem anschließenden Wiener Kongress (1814-1815) herrschte in Europa die „Restauration". Das bedeutete, dass die Landesherren, Könige, Herzöge und Grafen ihre Macht unumschränkt ausüben wollten und konnten. Von den Idealen und Forderungen der Französischen Revolution (1789) „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", durfte nicht mehr gesprochen werden. Auch der amtierende Großherzog von Hessen-Darmstadt regierte mit absoluter Macht und ließ jeden Anflug von Freiheitsstreben im Keim ersticken. Die Behandlung, welche die Mitstreiter Büchners in hessischen Gefängnissen erdulden mussten, zeugt von großer Brutalität, Menschenverachtung und Willkür.

Berühmt wurde Büchners Beitrag für den Hessischen Landboten, dessen 1. Ausgabe 1834 erschien und als eine der Initialgründungen für die Freiheitsbestrebungen der sog. Märzrevolution in den Jahren 1848 und 49 angesehen wird. Der Landbote bestimmt die Arroganz der Vornehmen und Mächtigen und rechnet vor, welch hohe Leiden die etwa 700.000 Einwohner des Großherzogtums Hessen für sie aufbringen müssten. „Der Vornehme" nimmt das Korn und lässt ihm (dem Bauern) „die Stoppeln" und „700.000 Menschen schwitzen, stöhnen und hungern" heißt es darin. Auch findet sich hier erstmals der Aufruf „Wir sind das Volk", den Büchner ein Jahr später auch in seinem Drama „Dantons Tod" verwendet und der später zur Losung der DDR-Bürgerrechtsbewegung wurde.

Entgegen dem Rat seines Vaters und vor der Familie verheimlicht, traf Georg sich mit Freunden und Schulkollegen zu konspirativen Sitzungen, in denen die Abschaffung der Fürstenherrschaft angestrebt wurde. Bald schon erfuhren die Sicherheitsorgane von diesen Treffen und Georg Büchner wurde steckbrieflich gesucht. Er floh nach Straßburg und später nach Zürich in die Schweiz, wo er sein begonnenes Medizinstudium fortsetzte. 

In seinem Werken bedient sich Büchner einer klaren, verständlichen und unpathetischen Sprache. Seine Helden reden, wie Menschen auch im Alltag sprechen, allerdings konzentriert und pointiert, mit Rhythmus und sprachlichem Klang. Büchners Dramen eignen sich nicht so sehr zum Lesen. Man sollte sie auf der Bühne erleben.

Beeindruckend liest es sich dagegen, wenn er in seiner einzigen Erzählung über den Schriftsteller Jakob Michael Reinhold Lenz den genialen jungen Dichter in seinen seelischen Krisen und Schwankungen begleitet. Man mag sich gern vorstellen, was Büchner noch zu leisten im Stande gewesen wäre, wenn ihm weiter Lebensjahre und entsprechende Entwicklungen und Erfahrungen vergönnt gewesen wären.

Zwei kritische Fragen habe ich mir dennoch bei der Lektüre von Silvia Franks „Kennst du Georg Büchner?" gestellt: Wieso hat dieser junge und gradlinige Mann, der mir im Deutschunterricht als Freiheitsheld und Vorkämpfer der 48er Revolution dargestellt wurde, sich immer, wenn er von der Staatsgewalt gesucht wurde, ins Ausland geflüchtet? Seine Familie hat er in Gefahr gebracht und seine Freunde und Mitstreiter mussten hart für ihre Überzeugungen büßen. Büchner dagegen litt aus der Ferne.

Die zweite Frage betrifft Büchners Verhältnis zu seiner Verlobten Louise Wilhelmine Jaeglé. In den Briefen des jungen Revolutionärs an sie ist von allerlei Unbill und auch von Sehnsucht die Rede, doch fehlt mir das Feuer einer jugendlichen Liebe. Wenn ich an meine Verlobte und heutige Frau, so wie der Medizinstudent Büchner an seine Louise geschrieben hätte: „Ich sehe dich immer so halbdurch zwischen Fischschwänzen, Froschzehen etc. ..., alle meine Gedanken schwimmen im Spiritus", ich glaube, sie wäre beleidigt gewesen.

Hätte er der deutsche Shakespeare werden können? Georg Büchner starb 23-jährig am 19. Februar 1837 in Zürich an einer Typhusinfektion. „Wen die Götter lieben, den rufen sie früh zu sich", sagt der Volksmund. Im Falle Büchners könnte auch Neid oder Eifersucht der Grund gewesen sein.

 

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Literatur: Silvia Frank, Kennst du Georg Büchner?, Bertuch Verlag, Weimar 2011

Bildquellen
Vorschaubild: Georg Büchner als Freimaurer, mit einem Logenbijou (Pastell eines unbekannten Künstlers, um 1830) Wikimedia Commons, gemeinfrei,
Bild oben rechts: Georg Büchner nach einer Illustration einer französischen Werkausgabe von 1879.
Wikimedia Commons, gemeinfrei
Bild unten links: entnommen S. Frank: Kennst du Georg Büchner?, Bertuch Verlag, Weimar 2011.

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