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Goethe mal eher privat.
Hermann Multhaupt erzählt, wie der Dichterfürst mit seinem Sohn August nach Pyrmont reist, wo er sich von einer schlimmen Krankheit zu erholen sucht.

Die „Dunsthöhle“ in Bad Pyrmont

Die „Dunsthöhle“ in Bad Pyrmont

Hermann Multhaupt

Im Juni 1801 weilte Johann Wolfgang von Goethe mit seinem elfjährigen Sohn August zur Kur in Bad Pyrmont. Neben den Kuranwendungen und seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen fand der große Meister Zeit, sich mit der Geschichte des Ortes und ihren Zeugnissen in der Landschaft zu beschäftigen.  Ein Phänomen, das bis heute seine Faszination auf die Menschen ausübt, ist die wohl einmalige Dunsthöhle. In der Goethezeit war die Dunsthöhle ein Ort am Helvetiushügel, an dem „Schwefeldunst“ – die Bezeichnung Kohlendioxid war damals noch nicht geläufig – aus Gesteinsspalten an die Oberfläche steigt. Man wurde auf sie aufmerksam, als einige Arbeiter in einem Steinbruch, in dem seit dem 17. Jahrhundert Bundsandstein gebrochen wurde, plötzlich ohnmächtig wurden, wenn sie eine bestimmte Tiefe erreicht hatten. In der Grube wurden auch immer wieder tote Vögel und andere Tiere gefunden.

Der Brunnenarzt Dr. Johann Philipp Seip, der 1712 nach Pyrmont kam, ging dem Phänomen auf den Grund. In Selbstversuchen stellte er durch „wiederholtes Schwitzen und Einziehung des Schwefeldunstes in der Grube“ fest, „dass von giftigem Wesen nicht das allergeringste darinnen“ sei. Seip vertiefte die Grotte und baute mit Genehmigung des Fürsten Friedrich Anton Ulrich zu Waldeck und Pyrmont 1720 „ein steinernes Gewölbe über die dünstende Grube … und darüber ein kleines Gebäude, ohngefähr sechs Schuh ins Viereck und zehn Schuh hoch“. Die Kurgäste sollten hier ein „trockenes Schweißbad“ erhalten. Eine Inschrift auf einer Steintafel besagt: „Machst du Italien mit Raritäten groß, sieh hier, die Schwefelgrub´ dampft auch aus Pirmonts Schoß“. Dieser Hinweis galt der Grotta del Cane, der Hundsgrotte in Neapel, die eine ähnliche Wirkung hatte, aber nicht mehr existiert. Dr. Seip entdeckte als erster die Wirkung des CO2-Quellgases. Konnte sein „trockenes Schweißbad“ wegen des unregelmäßigen Kohlendioxid-Standes auch nicht ständig genutzt werden, so erreichte er doch, dass Patienten aller Schichten „von guter Besserung und Hülfe gegen Geschwulst der Füße, Gichtschmerzen, Steifigkeit der Glieder“ sprachen. Inzwischen kennt man den Ursprung des Kohlenstoffdioxids: Ein erkaltender Magmaherd in dreitausend bis viertausend Metern Tiefe entgast Kohlendioxid. Dessen Spiegel hängt von der jeweiligen Wetterlage und vom Luftdruck ab. Da das Gas eineinhalbmal schwerer ist als Luft, kriecht es über den Boden; es lassen sich hier aufregende Experimente vollführen.

Schon Johann Wolfgang und August von Goethe waren fasziniert von der seltsamen Naturerscheinung, die auch heute noch viele Besucher in ihren Bann ziehen. Sie ließen sich die Vorgänge vom Brunnenmeister genauestens erklären. Goethe machte sich Notizen und schrieb später in seinen Aufzeichnungen: „Die merkwürdige Dunsthöhle in der Nähe des Ortes, wo das Stickgas [Kohlendioxyd], welches mit Wasser verbunden so kräftig heilsam auf den menschlichen Körper wirkt, für sich unsichtbar eine tödliche Atmosphäre bildet, veranlasste manche Versuche, die zur Unterhaltung dienten. Nach ernstlicher Prüfung des Lokals und des Niveaus jener Luftschicht konnte ich die auffallenden und erfreulichen Experimente mit sicherer Kühnheit anstellen. Die auf dem unsichtbaren Elemente lustig tanzenden Seifenblasen, das plötzliche Verlöschen eines flackernden Strohwisches, das augenblickliche Wiederentzünden, und was dergleichen sonst noch war, bereitete staunendes Ergötzen solchen Personen, die das Phänomen noch gar nicht kannten, und Bewunderung, wenn sie es noch nicht im Großen und Freien ausgeführt hatten. Und als ich nun gar dieses geheimnisvolle Agens, in Pyrmonter Flaschen gefüllt, mit nach Hause trug und in jedem anscheinend leeren Trinkglas das Wunder des auslöschenden Wachsstocks wiederholte, war die Gesellschaft völlig zufrieden und der unglaubliche Brunnenmeister so zur Überzeugung gelangt, dass er sich bereit zeigte, mir einige dergleichen wasserleere Flaschen den übrigen gefüllten mit beizupacken, deren Inhalt sich auch in Weimar noch völlig wirksam offenbarte.“

Wer die Dunsthöhe heute besichtigt und den Experimenten von Ernst Morsch, dem Mitarbeiter des Staatsbades, folgt, kann nur staunen: Da verlöscht die brennende Kerze kniehoch über dem Boden, Seifenblasen verwandeln sich in Bodennähe, weil ihnen der Sauerstoff entzogen wird, werden größer und zerplatzen. Wer als Zuschauer von der Besichtigungsgalerie aus die Füße nach unten hält, spürt wie die Gliedmaßen warm werden, und wer sich mit der Hand das unsichtbare Gas zuwedelt, empfindet ein Kribbeln in der Nase wie nach einem Schluck Sekt. Was da aus dem Boden steigt, ist bei allen bösen Überraschungen der Vergangenheit heilsam: Schlecht heilende Wunden schließen sich, offene Beine werden geheilt. Das nun seit mehreren Jahrhunderten genutzte CO2-Quellgas wird als anerkanntes Naturheilmittel abgeschöpft und mittels einer unterirdischen Leitung ins Königin-Luise-Bad transportiert, wo es zur Behandlung chronischer Gefäßerkrankungen genutzt wird. Warum diese Reaktion so positiv eintritt, ist wissenschaftlich noch nicht ganz geklärt und wird derzeit erforscht. Das Forschungsinstitut für Balneologie, Prävention und Rehabilitation e.V. Bad Pyrmont hat eine Pilotstudie initiiert, an der u. a. auch das Institut von Prof. Dr. Gutenbrunner an der Medizinischen Hochschule Hannover mitwirkt. Ziel ist es, einem Phänomen auf den Grund zu kommen, das schon Goethe faszinierte und das vielen an Gefäßerkrankungen leidenden Menschen bereits zum Segen wurde.

 

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Fotos: Hermann Multhaupt

 

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