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Alpakafrech: mein 6. Geburtstag

Die Alpakas Fred und Egon führen durch eine bunte Geburtstagsreise mit pädagogisch wertvollen Lernspielen, Zahnkalender und lustigen Rätseln sowie einem Rezept und einen Experiment. 

Der Hänfling

Der Hänfling

Jean-Pierre Claris de Florian

Ein junger Hänfling war seiner Mutter ganzes Glück. Voller Stolz auf seine herausragende Schönheit verwöhnte sie ihn jeden Tag neu, versorgte ihn mit den besten Speisen, befriedigte seine Bedürfnisse und hielt ihn frei von allen Mühen und jeder Last.

Der junge Hänfling fand das alles angemessen. Er hielt sich unter allen Vögeln für den schönsten, fähigsten und besten und da er auch nach außen so auftrat, zeigten die anderen Vögel eine große Ehrfurcht vor ihm und lobten ihn bei jeder Gelegenheit. Der Hänfling aber wurde darüber immer übermütiger. Er begann, alle anderen Vögel, denen er begegnete, zu schmähen und zu kränken.

Die Mutter sah und hörte es und war darüber unglücklich. Sie warnte ihren Sohn vor Überheblichkeit und flehte ihn an, seine Eigenliebe zu zügeln und den anderen Vögeln Verständnis und Achtung entgegenzubringen. Doch der Sohn war inzwischen von seiner Einmaligkeit so überzeugt, dass er nicht auf sie hörte und für seine Umwelt weiterhin nur Spott und Häme übrig hatte.

In ihrer Betrübnis fragte die Mutter eine Amsel um ihren Rat. Die sagte zu ihr: „Mit Besorgnis und gutem Zureden wirst du deinen eitlen Sohn nicht ändern können. Trenne dich eine Zeitlang von ihm und schicke ihn in den Wald, damit er dort allein mit vielen anderen zusammen ist.“

Schweren Herzens folgte die Mutter dem Rat. Voller Selbstbewusstsein aber flog ihr Sohn in den nahen Wald. Dort fuhr er fort, sich aufzuplustern und alle anderen Vögel zu beleidigen. Die aber setzten sich heftig zur Wehr, blieben ihm keine Widerworte schuldig, zeigten ihm seine Grenzen auf und kränkten nun auch ihn bis tief in sein Innerstes. So gingen ihm bald seine Lust am Spott und seine Überheblichkeit verloren. Die Vögel im Wald ließen ihm nichts von seiner übersteigerten Eigenliebe. So musste er lernen, sich neu einzuschätzen und seinen Übermut abzulegen. Bekehrt flog er nach Hause, gleichsam neugeboren, sanftmütig, liebevoll und bescheiden.

Fazit: „Der beste Lehrer sind die Leiden.“
(Claris de Florian)

*****

Nacherzählt von Florian Russi

Vorschaubild : Bild von Kathy Büscher auf Pixabay 

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