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Der Bettnässer

Russi thematisiert in seinem neuen, einfühlsamen Roman die gesellschaftlichen und psychischen Probleme eines Jungen, dessen Leben von Unsicherheit und Angst geprägt ist.

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Der alte Baum und der Gärnter

Der alte Baum und der Gärnter

Jean-Pierre Claris de Florian

Ein Gärtner hatte einst einen alten Birnenbaum in seinem Garten stehen, der ihm über viele Jahre eine gute Ernte gebracht hatte. Doch seit einiger Zeit trug der Baum nun schon keine Birnen mehr, und so hatte der Gärtner beschlossen, den Baum zu fällen, um sein Holz gewinnbringend verkaufen zu können.

Als sich der Mann nun mit einem Beil in der Hand dem treugedienten Baum näherte, da sagte der Baum:

„Halt ein, mein Freund! Hör mein Flehen! Ich bitte dich! Lass mich hier stehen! Ich war dir immer ein treuer Freund. Habe ich dir nicht über die Jahre viele Früchte geschenkt? Stand ich dir nicht über viele Jahre treu zur Seite? Spendete ich dir nicht im heißen Sommer stets ein kühles Schattenplätzchen? Überlege dir gut, ob du deine Hand mit meinem Blut beschmutzen möchtest. Bin ich denn weniger wert für dich, jetzt da ich nicht mehr in jugendlichen Jahren und in voller Blüte vor dir stehe? Gewiss, das Alter hat mich eingeholt und schwächt mich jeden Tag mehr. Doch ist das Alter nicht meine Schuld. Auch du wirst eines Tages alt werden. Also bitte, hab doch Geduld mit mir!“

Der Gärtner aber antwortete:

„So leid es mir tut, aber ich kann dich nicht verschonen. Das ist der Lauf der Dinge und der Lohn der Welt. Ich brauche dein Holz. Und so ist es dein Schicksal, gefällt zu werden, um mir in meiner Not zu helfen.“

Kaum hatte er seinen Satz beendet, da schwirrte um den Baum ein Schwarm von Nachtigallen, die laut zwitschernd niedersanken. „Lieber Gärtner“, piepste eine von ihnen, „dieser treue Birnenbaum beschützt uns mit seinem dichten Laub vor den Sonnenstrahlen. Wenn du ihn fällst, wo sollen wir hin?“

Wieder wollte der Gärtner sein Beil erheben, er beachtete weder das Flehen des Baumes noch der Vögel.

Plötzlich umschwirrte ihn ein aufgeregter Bienenschwarm: „Halt ein, hab Erbarmen!“, summte es da mit vielen Stimmen. „So gönne uns doch diesen kleinen Raum und schone auch unseren lieben Baum! Wenn du ihn nicht fällst, so wirst du jeden Tag den besten Honig von uns bekommen und damit kannst du dein Geld verdienen.“

„Wahrlich, ich bin durch eure Bitten zu Tränen gerührt. Mein lieber Baum hat mir in seiner Jugend so viele Früchte geschenkt. Das sollte ich nicht vergessen. Auch habe ich es dem guten alten Freund zu verdanken, dass in meinem Garten so viele Vögel sind, die mich mit Liedern erfreuen. Nicht zu vergessen, was ihr lieben Bienen mir nützen wollt. Als Dank möchte ich ihn nun stehen lassen.“

Und die Moral von der Geschicht‘: Rechne mit Dankbarkeit und Erbarmen ohne einen Vorteil nicht.

nacherzählt von Carolin Eberhardt

 

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Vorschaubild:

botanischer-druck-pflanze-und-wurzeln-33089, 2012, Urheber: Clker-Free-Vector-Images via Pixabay CCO; gärtner-bauer-silhouette-rechen-4747135, 2020, Urheber: mohamed_hassan via Pixabay CCO; baum-pflanze-grün-ökologisch-2750366, 2017, Urheber: GDJ via Pixabay CCO; bienen-fliegend-schwarz-und-weiß-44507, 2012, Urheber: Clker-Free-Vector-Images via Pixabay CCO; neu bearbeitet von Carolin Eberhardt.

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