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Weihnachten

Ein Fest der Familie und des Friedens

Florian Russi, Herbert Kihm (Hg.)

Alle Jahre wieder feiern wir das Weihnachtsfest im Kreise unserer Familie und lassen althergebrachte Traditionen in familiärer Atmosphäre aufleben. Doch wo hat das Fest seinen Ursprung, warum feiern wir Weihnachten und woher stammt der Christbaum?

Das liebevoll gestaltete Heftchen gibt Auskunft hierüber und enthält zudem eine kleine Sammlung der bekanntesten Weihnachtslieder. Des Weiteren Rezepte laden zum Kochen und Backen ein.

Rapunzel

Rapunzel

Brüder Grimm

Die Geschichte von dem Mädchen mit dem langen Haar, das von einer bösen Hexe in einem Turm eingesperrt wurde, ist vermutlich jedem Kind bekannt. Insbesondere weil Disney dieses, wie viele andere, Märchen durch einen Zeichentrickfilm in das Gedächtnis eingeprägt hat. Aber die Geschichte war nicht nur in Deutschland zu Lebzeiten der Grimms bekannt. Die älteste überlieferte Geschichte einer jungen Frau, welche ihre Haare als Leiter für ihren Liebhaber zur Verfügung stellt, geht bis auf die Persische Mythologie zurück. Auch der Legendenschatz der griechischen Antike greift die Geschichte in „Danaë“ wieder auf. Und nicht zuletzt erscheint die Sage wieder in der christlichen Legende von St. Barbara. Neben dem lehrenden pädagogischen Charakter der Volksmärchen werden diese in der heutigen Zeit sogar unter psychologischen Gesichtspunkten analysiert. Doch waren und bleiben Märchen stets ein wichtiger Aspekt der früheren und heutigen Kindheit. Sie sind spannend, etwas gruselig und haben in den heutigen Versionen immer ein Happy End. Und jedes Kinderherz schlägt wohl bei diesem Satz etwas höher: „Es war einmal…“

Carolin Eberhardt.

Es war einmal vor langer langer Zeit, da lebte ein Mann mit seiner Frau. Das Paar wünschte sich schon sehr lange sehnlichst ein Kind, doch ihre Wünsche wurden nicht erhört. Doch eines Tages war es der Frau, als würde der liebe Gott ihren Wunsch erfüllen. Im hinteren Teil ihres Hauses hatte das Ehepaar ein kleines Fenster, welches einen herrlichen Blick auf den angrenzenden prächtigen Garten freigab. Die herrlichsten und schönsten Blumen und Kräuter wuchsen hier. Doch war der Garten von einer hohen Mauer umgeben und niemand im ganzen Land wagte, das Grundstück zu betreten, denn es gehörte einer mächtigen und weithin gefürchteten Zauberin. Eines Tages nun stand die Frau an besagtem Fenster und blickte verträumt in den Garten hinab. Sie erblickte ein Beet, auf welchem die schönsten Rapunzeln wuchsen, die so frisch und grün aussahen, dass sie ein tiefes Verlangen danach packte, sie zu essen. Dies Verlangen wuchs nun Tag für Tag weiter und weil sie wusste, dass sie die Rapunzeln nie könnte essen, so ward sie immer dünner, blasser und elender darüber. Ihr treuer Mann erschrak sehr über den Zustand seiner Frau und fragte endlich: »Was fehlt dir, liebe Frau?« - »Ach«, antwortete sie ihm, »wenn ich keine Rapunzeln aus dem Garten hinter unserem Hause zu essen kriege, so sterbe ich. « Der Mann, der seine Frau sehr lieb hatte, dachte: »Eh du deine Frau sterben lässest, holst du ihr von den Rapunzeln, es mag kosten, was es will. « Als die Abenddämmerung sich niedersenkte stieg er also über die Mauer in den Garten der Zauberin, stach in aller Eile eine Handvoll Rapunzeln aus und brachte sie eilig zu seiner Frau. Voller Vorfreude machte diese sich sogleich einen Salat daraus und aß diesen in voller Begierde. Da sie ihr aber so gut gemundet hatten, verspürte sie am darauf folgenden Tag eine dreimal so große Begierde, weitere Rapunzeln zu essen. Um seine Frau zu besänftigen, blieb dem lieben Mann nichts anderes übrig, als erneut über die Mauer in den Zauberergarten zu steigen. Doch so wie er die Mauer herabklettern wollte, erschrak er fürchterlich. Denn genau vor ihm, von Angesicht zu Angesicht, stand die fürchterliche Zauberin. »Wie kannst du es wagen«, sprach sie mit zornigem Blick, »in meinen Garten zu steigen und wie ein Dieb mir meine Rapunzeln zu stehlen? Das soll dir schlecht bekommen. « - »Ach«, antwortete er, »lasst Gnade für Recht ergehen, ich habe mich nur aus Not dazu entschlossen. Meine Frau hat Eure Rapunzeln aus dem Fenster erblickt und empfindet ein so großes Gelüsten, dass sie sterben würde, wenn sie nicht davon zu essen bekäme.« Da ließ der Zorn der Zauberin etwas nach und sie sprach zu ihm: »Verhält es sich so, wie du sagst, so will ich dir gestatten, Rapunzeln mitzunehmen, soviel du willst. Allein ich mache eine Bedingung: du musst mir das Kind geben, das deine Frau zur Welt bringen wird. Es soll ihm gut gehen und ich will für es sorgen wie eine Mutter. « In seiner Angst stimmte der Mann der Bedingung sofort zu und als seine Frau nun eines Tages das Kind gebar, so erschien alsbald die Zauberin im Hause des Paares, gab dem Kinde den Namen Rapunzel und nahm es mit sich fort.

Rapunzel ward das schönste Kind unter der Sonne. Zu seinem 12. Geburtstag schloss es die Zauberin in einem Turm ein, der tief in einem Wald gelegen war und weder Treppe noch Türe hatte. Nur ganz oben hatte er ein kleines Fensterchen. Wollte die Zauberin zu Rapunzel hinein, so stellte sie sich unten hin und rief hinauf:

»Rapunzel, Rapunzel,

lass mir dein Haar herunter. «

Wenn das Mädchen nun die Stimme der Zauberin vernahm, so band sie die Zöpfe ihres prächtigen langen Haares auf, welches so fein wie gesponnenes Gold war, wickelte es um einen Fensterhaken und ließ ihre Haare zwanzig Ellen tief herunter fallen, damit die Zauberin daran hinaufklettern konnte.

Nach einigen Jahren trug es sich zu, dass ein Königssohn eben durch den Wald ritt, in welchem sich der Turm befand. Als er an diesem vorüberkam, vernahm er einen so lieblichen Gesang, welchen er noch nie zuvor vernommen hatte. Und so verweilte er dort still und lauschte. Die süße Stimme Rapunzels, die sich ihre Einsamkeit damit vertrieb zu singen, erweckte in dem jungen Mann das Verlangen, zu ihr hinauf zu steigen. Und so suchte er vergeblich um den ganzen Turm nach einer Türe oder Treppe. Daraufhin ritt er heim, vergaß aber nicht den Gesang, der ihm so sehr das Herz gerührt hatte, und so ging er jeden folgenden Tag hinaus in den Wald, um dem Gesang zu lauschen. Als er einmal hinter einem Baum stand und Rapunzels Stimme wieder einmal zuhörte, beobachtete er wie die Zauberin an den Turm herantrat und hinauf rief:

»Rapunzel, Rapunzel,

lass dein Haar herunter. «

Da ließ Rapunzel ihr langes goldenes Haar herab und die Zauberin stieg daran empor. »Ist das die Leiter, auf welcher man hinauf kommt, so will ich auch einmal mein Glück versuchen.« Und bereits am folgenden Tag in der Abenddämmerung ging der Jüngling zu dem Turm und rief:

»Rapunzel, Rapunzel,

lass dein Haar herunter.«

Es verging nur ein kurzer Moment und schon fielen die Haare des Mädchens zu dem Königssohn hinab, welcher auch gleich den Aufstieg wagte. Zuerst erschrak Rapunzel sehr über diesen Fremden, der zu ihr herein kam. Sie hatte zuvor mit ihren Augen auch noch nie einen Mann erblickt. Doch der Jüngling redete sehr freundlich mit ihr und erzählte, dass von ihrem Gesang sein Herz so sehr berührt worden war, dass es ihm keine Ruhe gelassen hatte, bis er sie selbst gesehen habe. Rapunzel verlor darauf ihre Angst und als der Königssohn sie fragte, ob sie ihn zu ihrem Manne haben wolle, so dachte sie: »Der wird mich lieber haben als die alte Frau Gothel.«  Und so sagte sie ja und legte ihre Hand in seine. Dann sprach sie zu ihm: »Ich will gerne mit dir gehen, aber ich weiß nicht, wie ich herabkommen kann. Wenn du kommst, so bring jedes Mal einen Strang Seide mit, daraus will ich eine Leiter flechten, und wenn die fertig ist, so steige ich herunter und du nimmst mich auf dein Pferd.«

Und so verabredeten sie, dass er nun jeden Abend zu ihr kommen sollte, denn tagsüber erschien die Zauberin. Diese merkte zunächst nichts von Rapunzels Verabredungen, bis sich das Mädchen eines Tages selbst verriet. Denn sie sagte: »Sag mir doch, Frau Gothel, wie kommt es nur, Sie wird mir viel schwerer heraufzuziehen als der junge Königssohn.« - »Ach, du gottloses Kind«, rief da die Zauberin erbost, »was muss ich von dir hören! Ich Dachte, ich hätte dich von aller Welt geschieden und du hast mich doch betrogen!« In ihrem grenzenlosen Zorn packte die Zauberin Rapunzels Zopf, wickelte sie einige Male um ihre linke Hand und griff mit der rechten Hand nach der Schere. Mit einem lauten „Ritsch, Ratsch“ waren die schönen langen Haare abgeschnitten und lagen auf der Erde. In ihrer Wut verbrachte die Zauberin Rapunzel in eine völlig leere und abgeschiedene Gegend, wo sie ihre Strafe für ihre Untreue verbüßen sollte. Hier musst das arme Mädchen nun in großem Kummer und Elend fortan leben. Die Zauberin aber machte sich am gleichen Tage wieder auf den Weg zum Turm, befestigte die abgetrennten Haare am Fensterhaken und wartete darauf, dass am Abend der Königssohn wieder kam. Als dieser nun rief:

»Rapunzel, Rapunzel,

lass dein Haar herunter.« ,

so ließ sie die Haare auch herab. Der Königssohn stieg nun, wie gewohnt hinauf, ohne zu wissen, was ihn im Turm erwartete. Denn oben angelangt fand er nicht seine wunderschöne Rapunzel vor, sondern vor ihm stand die böse Zauberin und stierte ihn mit giftigen Blicken entgegen. »Aha«, rief sie höhnisch, »du willst die Frau Liebste holen, aber der schöne Vogel sitzt nicht mehr im Nest und singt nicht mehr. Die Katze hat ihn geholt und wird dir auch noch die Augen auskratzen. Für dich ist Rapunzel verloren, du wirst sie nie wieder erblicken.« Der Königssohn war so erfüllt von Verzweiflung und tiefem Schmerz, dass er sich den Turm hinabstürzte. Durch glückliche Fügung überlebte er zwar seinen Sturz, doch zerstachen ihm die Dornen der Hecke am Boden die Augen und so war er fortan blind. Er irrte im Wald umher, aß nichts als Wurzeln und Beeren und weinte und jammerte fortwährend über den Verlust seiner lieben Rapunzel. Als er nun so elendig mehrere Jahre umhergeirrt war, geriet er endlich in die Einöde, in der sich Rapunzel mit den Zwillingen, ein Mädchen und einen Jungen, lebte, die sie geboren hatte. Als der Königssohn nun eine ihm vertraute liebliche Stimme vernahm, ging er eilends darauf zu. Und wie er näher kam, so erkannte Rapunzel ihn sogleich, fiel ihm um den Hals und weinte. Zwei ihrer Tränen fielen dabei auf die Augen des Jünglings. Wie durch ein Wunder erlangte er daraufhin sein Augenlicht zurück. Sogleich machte sich das Paar mit den Kindern auf den Weg in des Jünglings Königreich, wo die Familie mit großer Freude empfangen wurde. Hier lebten sie noch lange glücklich und vergnügt. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

 

*****

Textquelle:

Nacherzählt von Carolin Eberhardt in Anlehnung an: Grimm, Jakob und Wilhelm: Deutsche Märchen, Leipzig, 1910.

Bildquelle:

Vorschaubild: Illustration von Paul Hey, erstellt um 1910 via Wikimedia Commons  Gemeinfrei.

Illustration entnommen aus: Grimm, Jakob und Wilhelm: Deutsche Märchen, Leipzig, 1910.

Rapunzel-Zitat am Diebsturm in Lindau (desgleichen am dortigen Mangturm), Urheber: Sarang via Wikimedia Commons  Gemeinfrei.

 

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