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Kennst du die Brüder Grimm?
Kurt Franz und Claudia Maria Pecher

Das vorliegende Buch gibt Einblicke in das Leben der beiden Brüder. Ausschnitte aus Briefen, Märchen und Sagen sowie Fotos und Bilder ermöglichen eine umfangreiche Sicht auf die Schaffens- und Lebenszeit der Brüder Grimm.
2012, 120 Seiten, ab 14 Jahre

Hans Fallada

Hans Fallada

Ulrike Unger

Ein Autor zwischen Lebensgier und Scheitern

An einem Oktobermorgen des Jahres 1911 kommt es in einem Waldstück nahe Rudolstadt in Thüringen zu einer tragischen Begebenheit. Zwei Schüler stehen sich auf einer Lichtung mit Pistolen gegenüber. Schüsse fallen. Einer der Jungen stirbt. Der andere überlebt schwer verletzt und wird in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Als „Gymnasiastentragödie auf dem Uhufelsen" geht der als Duell fingierte Zwischenfall in die Kriminalgeschichte ein.

Der Überlebende ist der heute unter dem Pseudonym Hans Fallada bekannte Schriftsteller Rudolf Ditzen (1893-1947). Als man ihn in der Jenaer Klinik auffordert, seinen Lebenslauf zu verfassen, legt er mit schonungsloser Offenheit und großer Reflexionsgabe die Beweggründe, die zu dieser Tat führten, schriftlich frei. Dieses Zeugnis über sein Innerstes gibt tiefe Einblicke in die Gefühlswelt Falladas vor seinem Erfolg als Autor. Gemeinsam mit dem Freund Hanns Dietrich von Necker hatte er beschlossen, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Die Gründe für den geplanten Doppelsuizid sind vielschichtig. In Ditzen spiegelt sich die Zerrissenheit einer Jugend im deutschen Kaiserreich um 1900. Der Zwiespalt zwischen Fortschrittsglaube und Endzeitstimmung trifft ihn als Heranwachsenden, der auf der Suche nach Sinn und Ziel ist, besonders hart. Er ist überwältigt von den großartigen Literaturen des Fin de siècle. So liest Ditzen bevorzugt die Schriften Nietzsches, liebt Hugo von Hofmannsthals Werke und die Oscar Wildes.

Vielleicht fand im Kopf des sensiblen Schülers eine Vermischung von Kunst und Leben statt, eine Entfremdung, die die gesellschaftlichen Umstände noch verstärkten. In der alten pommerschen Stadt Greifswald geboren, ist seine Kindheit die eines Sonderlings, der nirgendwo recht Fuß fassen kann, der unter den Gängelungen des Vaters leidet, der eine Juristenlaufbahn für ihn vorgesehen hat.

Fallada-Museum in Carwitz
Fallada-Museum in Carwitz

Auch der Fortgang seiner Biographie ist geprägt von Zwangsideen und Unrast. Er verdrängt die Jahre in Thüringen. Schon vor dem Skandal des geplanten Doppelselbstmordes hat er verschiedene Stationen in Krankeneinrichtungen und Heilanstalten durchlaufen: Sanatorium in Bad Berka, Schnepfenthal, psychiatrische Klinik Tannenfeld bei Gera, schließlich Jena. Eine Anklage wegen Totschlag des Freundes wird bald aufgrund von Schuldunfähigkeit fallen gelassen. Ohne Abitur, ohne Perspektive verbringt Ditzen die Zeit bis nach dem Ersten Weltkrieg erneut in Entzugseinrichtungen. Man versucht ihn dort von seinem Alkoholismus und seiner Morphinsucht zu therapieren. Er beginnt jetzt mit ersten schriftstellerischen Tätigkeiten.

1932 erscheint sein vielbeachteter Roman „Kleiner Mann - was nun?". In ihm porträtiert er die Situation des jungen Angestellten Pinneberg und dessen scheinbar aussichtslosem Kampf für ein bescheidenes Familienglück - gegen soziale Kälte und materielle Not in der Weltwirtschaftskrise. Das Werk spricht die Sprache einfacher Leute, die Figuren sind warmherzig und erlangen dadurch ihren Identifikationscharakter. Die kaum bekannte frühe Prosa Ditzens ist dagegen stilistisch ungewöhnlich und stark expressionistisch. „Kleiner Mann - was nun?" macht ihn international berühmt. Seit er schreibt, nennt er sich Hans Fallada, in Anspielung auf zwei Grimmsche Märchengestalten: den „Hans im Glück" und das über seinen Tod hinaus die Wahrheit sagende Pferd Falada der „Gänsemagd".

Grabstein Hans Falladas in Carwitz
Grabstein Hans Falladas in Carwitz

Nach einer Haftentlassung wegen Betrugs und Unterschlagung lernt der Schriftsteller in Hamburg Anna Issel kennen. Sie vermählen sich. Nach der Hochzeit arbeitet Fallada in Neumünster in der Lokalredaktion des „General Anzeiger" und kümmert sich auch um die Anzeigenwerbung. Mit der Fertigstellung des Romans „Bauern, Bonzen und Bomben", der die Landvolkbewegung der 20er Jahre in Schleswig-Holstein in den Blick nimmt, zieht er mit Anna, die er Suse nennt, in die Nähe von Berlin. Nach einer Denunzierung durch Nazischergen verlegt er seinen Hausstand ins mecklenburgische Carwitz. Das Anwesen, das heute das Hans-Fallada-Museum beherbergt, erwirbt er 1933.

Die steigende Allgegenwart nationalsozialistischer Ideologie lässt den sozialkritischen Autor dazu übergehen, weniger politisch-verdächtige Literatur zu verfassen. Manchmal ist es lediglich Glück, dass Bücher wie „Wolf unter Wölfen" von den Nazis missinterpretiert werden und trotzallem aufgelegt werden können. 1944 lassen sich Anna und Rudolf Ditzen scheiden, wütend schießt er während eines Wortgefechtes mit seiner ehemaligen Gattin in einen Tisch. Dieser Vorfall bringt ihm erneut Strafen und Aufenthalte im Maßregelvollzug in Neustrelitz ein.

In seine späte Schaffensperiode gehören so düstere Werke wie „Der Trinker", „Jeder stirbt für sich allein" oder „Der Alpdruck". In letzterem verarbeitet er seine Erfahrungen in der jungen SBZ*-Diktatur und das Leben in der hermetisch abgeschotteten Siedlung Majakowskiring. 1946 wird er in die Nervenklinik der Charité überstellt, weil er nicht loskommt von Alkohol und Morphin. Einsam ist sein Sterben.

Hans Fallada, ein Autor zwischen Lebensgier und Scheitern, der viel mitmachte, litt und schrieb. Er hat sich in seinen Büchern den Menschen zugewandt, die im Schatten stehen, den Helden im Kleinen. Einen Roman über seine eigenen aufwühlenden Jugendjahre schrieb er nie.

 

*SBZ = Sowjetische Besatzungszone

***** 

Quellen:

• Daniel Börner: „Wenn Ihr überhaupt nur ahntet, was ich für einen Lebenshunger habe!" Hans Fallada in Thüringen. Ausstellungskatalog (Literaturmuseum „Romantikerhaus". 3. Juli bis 10. Oktober 2010). Stadtmuseum Jena (Dokumentation, Bd. 18). Jena 2010.
• http://www.jena.de/fm/41/Faltblatt%20Fallada.pdf

• http://www.mdr.de/kultur/artikel123928_page-0_zc-6615e895.html
• http://www.otz.de/web/zgt/kultur/detail/-/specific/Film-ueber-Hans-Fallada-in-Thueringen-13810334
 

Bildquelle:

Vorschaubild,  Hans Fallada - Bronzetafel am Courierhaus in NMS, Martin1009, (CC BY-SA 3.0), bearbeitet von Andreas Werner

Fallada-Museum und Grabstein Hans Falladas in Carwitz von P. Unger

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