Ludwig Uhland (1787-1862) hat nicht viele, aber sehr beliebte Balladen („Bertran de Born", „Des Sängers Fluch", „Schwäbische Kunde" u.a.) geschrieben. Sie alle sind von klarer Aussagekraft. Die Ulme von Hirsau wurzelt in der Enge von alten Klostermauern. Doch ihre Äste breiten sich darüber aus und streben nach Sonne und frischer Luft. Uhland vergleicht den Baum mit dem Reformator Martin Luther, der ebenfalls enge Klostermauern überwunden hatte. Für den überzeugten Protestanten und Demokraten war es ein wichtiges Ziel der Menschen, sich aus überkommenen Hierarchien, aus Dogmatismus und weltanschaulicher Gängelei zu befreien.
Florian Russi
Zu Hirsau, in den Trümmern,
Da wiegt ein Ulmenbaum,
Frisch grünend, seine Krone
Hoch über'm Giebelsaum.Er wurzelt tief im Grunde
Vom alten Klosterbau,
Er wölbt sich statt des Daches
Hinaus in Himmelsblau.Weil des Gemäuers Enge
Ihm Luft und Sonne nahm,
So trieb's ihn hoch und höher,
Bis er zum Lichte kam.Es ragen die vier Wände,
Als ob sie nur bestimmt,
Den kühnen Wuchs zu schirmen,
Der zu den Wolken klimmt.Wenn dort im grünen Tale
Ich einsam mich erging,
Die Ulme war's, die hehre,
Woran mein Sinnen hing.
Wenn in dem dumpfen, stummen
Getrümmer ich gelauscht,
Da hat ihr reger Wipfel
Im Windesflug gerauscht.Ich sah ihn oft erglühen
Im ersten Morgenstrahl;
Ich sah ihn noch erleuchtet,
Wann schattig rings das Tal.Zu Wittenberg, im Kloster,
Wuchs auch ein solcher Strauß
Und brach mit Riesenästen
Zum Klosterdach hinaus.O Strahl des Lichts! du dringst
Hinab in jede Gruft.
O Geist der Welt! du ringest
Hinauf in Licht und Luft.