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Goethe – Aufklärer oder Esoteriker?: Wie modern ist Goethe? Studien zu seiner fortdauernden Aktualität

Franz Biet

Goethes "vernünftige" Esoterik betrifft vor allem seine Vorstellung von Natur und Dichtung. Ausgangspunkt der Arbeit ist daher die Frage nach der Natur als Lebens- und Forschungsinhalt Goethes. Damit verbindet sich die methodische Frage nach seiner Vorstellung von Wissenschaftlichkeit. Die Untersuchungen ergeben, dass Goethes Denken ganzheitlich ist und Dichtung sowie "wissenschaftliches" Arbeiten in gleicher Weise behandelt. Der Blick ist auf seine Farbenlehre, Morphologie und Physiognomie gerichtet sowie auf seine poetischen Werke, insbesondere "Wilhelm Meister" und "Faust"...

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36 Seiten + Musik-CD

ISBN: 978-3-937601-85-4
Preis: 9,99 €

 

Faust I

Faust I

Georg Bürke

Aufbau

  1. „Portal": „Zueignung"
  2. „Portal": „Vorspiel auf dem Theater"
  3. „Porta1": - Handlung im Himme1, „Prolog im Himmel": Exposition
    - Handlung auf Erden

Der Tragödie erster Teil

Fausts Studierzimmer
Vor dem Tore
Studierzimmer I.
Studierzimmer II. = Erregendes Moment.
Faust überlässt sich den Einfluss Mephistos. Die kleine Welt

A)Studentenleben : Auerbachs Keller in Leipzig.
B) Liebes1eben :
    a) Vorbereitung: Faust Verjüngung in der Hexenküche
    b) Gretchen Tragödie:
        1) Das Erwachen der Liebe.
            Straße
            Abend. Kleines reinliches Zimmer
            Der Nachbarin Haus.
            Straße.
            Garten
       2) Fausts vergeblicher Versuch, sich von Gretchen loszureißen:
           Wald und. Höhle
           Gretchens Stube
       3) Der Sündenfall:
           Marthens Garten: Höhepunkt der Gretchentragödie
           Am Brunnen
           Zwinger
           Nacht. Straße vor Gretchens Türe
           Dom
       4) Mephistos vergeblicher Versuch, Faust von Gretchen loszureißen:
           Walpurgisnacht
           Intertmezzo
       5) Fausts Rückkehr und Gretchens Ende:
           Trüber Tag. Feld
           Nacht. Offen Feld
           Kerker: Katastrophe der Gretchen Tragödie

 

Inhalt

Durch ein dreifaches ‘Portal‘ nähern wir uns der eigentlichen Faustdichtung; Zueignung, Vorspiel auf dem Theater, Prolog im Himmel

Vorspiel auf dem Theater: Theaterdirektor (materielle Auffassung), Dichter
(ideale Auffassung) und Lustige Person (= der Hanswurst im Puppenspie1; realistische Auffassung) diskutieren in heiteren Gespräch über Wesen und Aufgabe der dramatischen Kunst.
Während der Direktor nur auf volle Häuser sieht und alles nach den Gesichtspunkt des Erfolgs bei der Menge berechnet, bekennt sich der Dichter zu der höheren, göttlichen Poesie, die sich von der Menge eher abgestoßen als angezogen fühlt. Die Lustige Person gibt praktische Ratschläge, wie man das Publikum am. besten unterhalten könne Goethe rechtfertigt sich vor sich selbst, dass das Werk nie seinen eigenen höchsten Ansprüchen entsprechen werde. 

Prolog im Himmel: Hebt die Idee der Dichtung heraus: Indem der Streit um die Seele Fausts in Himmel beginnt, will der Dichter das individuelle Schicksal Fausts ins Typische Allgemeingültige heben: Das Leben des Menschen ist ein Kampf zwischen irdischen und himmlischen Gewalten in seiner Brust. Der rastlos vorwärtsstrebende Mensch, der versucht, den Dasein einen tiefen Sinn zu geben, wird aus Irrtum, Schuld, Sünde, Verworrenheit zur Klarheit Gottes geführt.
Die drei Erzengel Raphael (=Sonne), Gabriel (=Erde), Michael ( Atmosphäre) preisen die unzerstörbare Harmonie der Schöpfung Gottes. Aber Mephistopheles (= der Teufel, die Verkörperung des Bösen, des Nihilismus und Skeptizismus) bestreitet diese Harmonie mit dem Hinweis auf die unselig zwiespältige Doppelnatur des Menschen (= Faust): Er ist eingespannt zwischen himmliche und irdische Gewalten, zwischen Leib und Geist, Trieb und Geist, Tier und Geist, Gut und Böse, also nicht eines mit sich selbst, und muss daher immer ringen, streben, kann nicht einfach genießen. Leichter würde er leben, wenn Gott ihn nicht einen „Schein des Himmelslichte" gegeben hätte, da doch Faust an sich böse sei. Mephisto verhöhnt Fausts (= des Menschen) Leidenschaft, mit der dieser Tor ihm diene („Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne ‚ und von der Erde jede höchste Lust." Gott aber führt als Genbeweis gerade auch Faust an, der sein „Knecht" ist, ein wahrhaft guter Mensch; gerade jene zwiespältige Doppelnatur und das daraus folgende Streben des Menschen sei eben das große und fruchtbare; zwar diene Faust dem Herrn jetzt nur verworren, aber seine gute Anlage, die als dunkler Drang in ihm wirke, führe ihn sicher nach oben. Mephisto bietet eine Wette, ein Experiment an und der Herr geht darauf ein: Mephisto dürfe versuchen, Faust, den Knecht Gottes, den Menschen voll unersättlichem Erkenntnisdrang, solange er auf Erden weile von seinem hohen Streben durch Verführungskünste von seinem Urquell abzuziehen und damit Fausts „Güte" als nichtig zu erweisen. Mephisto werde an Ende beschämt erkennen müssen: Faust ist ein guter Mensch; er kann wohl irren (es irrt der Mensch, solang er strebt.), aber „ein guter Mensch in seinen dunklen Drange ist sich des rechten Weges wohl bewusst. Der Teufel, Mephisto, werde sein Ziel nicht erreichen, ja er fördere durch sein Eingreifen nur, was er untergraben will, nämlich Fausts Aufwärtsstreben, und verhindert, was er herbeiführen möchte, nämlich Fausts Gefallen am Genuss des Erreichten; so sei der Teufel selbst Gottes Knecht, „ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft". Da der Mensch in seinem Tätigkeitsdrang allzu leicht erschlaffe, bedürfe er des Antreibers zum Streben; denn „wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen". Gottes Auftrag an die „echten Göttersöhne" sorgt, dass Faust, wenn ihm die Verführung nahetritt, auch auf „Liebe" trifft, die ihm hilft und ihn erlöst- (Dieser Prolog ist angeregt durch das 2. Kap. des Buches Job, dem der Dichter in wesentlichen Zügen folgt.) 

Der Tragödie erster Teil:

Fausts vergebliche Versuche, aus den Schranken seiner Doppelnatur, halb Tier, halb Geist, herauszubrechen und sein geistiges Teil zur ungehemmten Auswirkung zu bringen:

• 1. Versuch: Der bisherige, wissenschaftliche Versuch blieb vergeblich. In den Eingangsmonolog bei Nacht im Studierzimmer finden wir Faust in trübster Stimmung und Verzweiflung über die Nutzlosigkeit alles überlieferten menschlichen Wissens, das er durchmessen hat (Philosophie, Jura, Medizin, Theologie), da sie nicht zum Ziele führen, d. h. nicht zur vollen Erkenntnis über Ursprung und Wesen aller Dinge und zum tiefen Erfassen des Sinnes allen Daseins.

• 2. Versuch: Nun hofft Faust noch auf den magischen Versuch im Bund mit den über-menschlichen Geistern, um damit zu seinem Ziele zu gelangen also durch mystische Gefühlssteigerung in das Herz der von Geistern beseelten Natur einzudringen. Auch dieser Versuch scheitert. Das Zeichen des Makrokosmos, des Geistes des Weltganzen, der das Weltall durchdringt und belebt, erfüllt ihn zwar mit ahnungsvoller Wonne über die Harmonie, die das All durchdringt, bleibt aber doch seinen Erkenntnisdrang unfassbar, Tief gedemütigt erfährt er seine Ohnmacht. Verständlicher erscheint ihm das Zeichen des Mikrokosmos, des Erdgeistes, des in der irdischen Welt herrschenden Geistes, den er nun zu beschwören versteht. Niederschmetternd demütigend zeigt ihm der Erdgeist die Vergeblichkeit seines Ringens und Strebens und weist ihn in die engen Schranken menschlicher Erkenntnis und, zeigt ihm seine Zwerghaftigkeit gegenüber der Natur und ihren ewig schaffenden Gewalten: Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir."

• 3. Versuch: Der misslungene Versuch und das Gespräch mit seinen Schüler und Famulus Wagner (der nur an Scheine haftenden, selbstzufriedenen Verkörperung der Selbstbescheidung in Leben und Wissen) steigert Fausts Verzweiflung über die engen menschlichen Grenzen zum Entschluss, durch eine heldische Tat, den Griff nach der Giftflasche, die Schranken des Irdischen zu durchbrechen, sich von hemmenden Körper zu erlösen und in die freie Entfaltung des rein geistigen Daseins vorzustoßen und so den unstillbaren Wissensdrang zu stillen. Schon hat er den Giftbecher an die Lippen gesetzt, als der heroische Anlauf durch die wehmutsvolle mensch1iche Rührung verhindert wird, die der Glockenklang des Ostermorgens und der Chorgesang („Christ ist erstanden") wecken. Sie rufen in Faust das Bild seiner Jugend wach, in der er in Glauben frei von allen Zweifeln war und den jeden der Seele besaß. Die „Liebe" hat eingegriffen. Eine gehobene Stimmung umfängt ihn. Und wenn ihn auch der Glaube an die Osterbotschaft fehlt („Die Botschaft hör‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube."), so fühlt er sich doch den Leben, der Erde zurückgegeben. („Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder.") Begleitet von seinem Famulus Wagner unternimmt er einen Osterspaziergang vor das Tor der Stadt. Ehrfurchtvoll begrüßt ihn das festesfrohe Volk als Gelehrten und mutigem Helfer, da er einst in jungen Jahren bei der Bekämpfung einer Pestseuche hilfreich eingegriffen hatte. Ihn aber klingt der Beifall der Menge wie Hohn, kennt er doch die Unzulänglichkeit seines Wissens nur zu wohl, und er bleibt innerlich einsam unter den Menschen. Aber aus seiner hohen Stimmung schiebt er die niederdrückenden Erinnerungen kraftvoll beiseite, bejaht das Menschenlos und erhebt das rohe, triviale Menschentreiben ins Geistige. Das herrliche Schauspiel der untergehenden Sonne weckt in ihn die Freude an der Erdenschönheit, aber auch den faustischen „Trieb", die metaphysische aufwärts- und vorwärtsstrebende Sehnsucht nach Auferstehung zu einen neuen Leben. („Zwei Seelen wohnen ach! in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen.") Auf dem Heimweg umkreist ihn ein geheimnisvoller, schwarzer Pudel (= Mephisto, der Teufel, der Höllengeist der Lust), dessen gespenstisches Wesen Faust erkennt und der ihm ins Studierzimmer folgt,

• 4. Versuch: Wiederum sitzt Faust allein bei Nacht am Pult in seinen Studierzimmer, Der Osterspaziergang hatte die Liebe zu den Menschen und zu Gott in ihn geweckt. Aus diesen Glücksgefühl unternimmt er einen kontemplativen Versuch, zu neuen Leben aufzuerstehen; er will wieder glauben lernen, will die Seligkeit des gottverbundenen Fühlens und Schauens in der biblischen Offenbarung suchen. Aber schon beim 1. Versuch, wie einst mit kindlich schlichtem Herzen in der Bibel zu lesen, steigen mit aller Macht die Zweifel in ihn auf: Gleich an Anfang des Johannes-Evangeliums stößt er auf die unüberwindbare Schwierigkeit der Übersetzung des griech. Wortes „Legos". In seiner landläufigen Bedeutung als „Wort" kann es ihn nicht genügen. So wählt er die Formulierung: ‘Im Anfang war die Tat." Indem er aber dem Wortlaut der Bibel die eigene Weltdeutung entgegensetzt, misslingt der Versuch, und der Weg des Glaubens bleibt ihn verschlossen. Auch stört der randalierende Pudel seine andächtige Stimmung. Faust beschwört ihn mit einer Zauberformel, und es erscheint als "des Pudels Kern" Mephistopheles (in Gestalt eines fahrenden Scholaren). Er offenbart sein eigenes Wesen „Ich bin der Geist, der stets verneint", „ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft", „ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar"; Zerstörung sein Element, die vernichtende Flamme ihm eigen. Sofort beginnt Mephisto damit, Faust von seinen Streben nach hohen Zielen abzubringen. Wohl entdeckt Faust, dass auch die Geister der Hölle gewissen Gesetzen gehorchen müssen (womit der Teufel auch ein Gefangener ist) aber Mephisto gibt ihn eine Probe seiner Kunst, indem er Faust einschläfert und ihm Bilder wilden Sinnengenusses vorgaukelt, Als Faust erwacht, ist Mephisto, der sich durch ein Pentagramm im Fußboden in seiner Bewegungsfreiheit behindert sah, entwichen: Doch bald kehrt er als Junker verkleidet zurück und findet den überlisteten Faust wieder in seiner alten verzweifelten Stimmung. Hohn und Spott Mephistos steigern diese zum leidenschaftlichen. Fluch auf das Erdenleben und all das Schöne, Edle, Große Glaube, Hoffnung, Geduld bis zur Verneinung alles Sinns der Welt. Darin liegt Fausts schwerste Schuld und die entscheidende Wende seines Schicksals. Liebend greifen wieder die Geister von oben ein und zeigen Faust die Aufgabe, die zerstörte Welt in seinem Innern neu aufzubauen, die ganze Kraft seiner Innerlichkeit zusammenzuraffen um wieder zu erwerben, was er eben in blinder Wut von sich geworfen hat. Mephisto deutet dies in seinem Sinn und bietet Faust einen Pakt an im Dienste an der Befriedigung seines Sehnens. (Erregendes Moment)

• 5. Versuch: Der mehistophelische Versuch. Durch Zweifel und Verneinung hilft Mephisto zur klaren Erkenntnis von Ziel und Sinn des Strebens: Hatte Faust erst die einengenden Schranken durchbrechen wollen durch Aufstieg über die Erde, so will er nun im Hinstürmen durch gesamte Diesseits (durch ganzes Mensch-Werden) sein Sehnen nach einem höheren Dasein erfüllen: „Was der ganzen Menschheit zugeteilt ist, will ich in meinem Innern selbst genießen," Mephisto lockt auch die entscheidende Formel für den Pakt heraus: Mephisto; verbindet sich auf Erden ganz zu Fausts Diensten; dafür soll Faust Seele „drüben" dem Teufel verfallen sein, wenn es Mephisto vermöge, ihn durch Erfüllung seiner Sinnenwünsche zu befriedigen, so dass Faust zum Augenblicke sagen möchte: „Verweile doch, du bist so schön", und er in den Genüssen "sich gefallen" werde. Dann dürfe Mephisto ihn „in Fesseln schlagen", dann möge die Totenglocke erschallen; und dann solle Mephisto seines Dienstes ledig sein. Darauf wird der Pakt geschlossen und mit einem Tropfen Blut aus Fausts Arm besiegelt. - Die Ausführung des Versuchs bildet den Gegenstand der Dichtung. Es geht darum, ob Mephisto die aufwärtsstrebende Natur Fausts zu brechen; seine Verbindung mit Gott zu stören, seinen Drang zu rastloser Tätigkeit zu hemmen vermag. Wie er einwirken wird, deutet die Schülerszene an:
Er zerstört alles, was Vernunft und Wissenschaft heißt, und verlockt zu gemeinen Sinnlichkeit. (Einem unerfahrenen Schüler, Studenten, sucht Mephisto, in der Maske Fausts, die Wissenschaft verächtlich zu machen. Satire auf die vier Fakultäten. Er empfiehlt den ärztlichen Beruf als Mittel zur Befriedigung sinnlichen Begierden und verleitet den Jüngling durch den Stammbuchvers zur Se1bstüberhebung.) Mephisto entwickelt sein Programm: Er wird den Rastlosen nur durch flache, unbedeutende Genüsse schleppen, ihm wirklich große Erlebnisse versagen. Auf dem Zaubermantel fährt er mit Faust ab - zuerst in die kleine Welt (Faust I), dann in die große Welt (Faust II).

 

Fausts - Weltfahrt durch die kleine Welt

Für die Fahrt durch die Welt weckt Mephisto in Faust die Sinnlichkeit. Zuerst soll Faust in „Auerbachs Keller" in Leipzig unter alten Studenten die Freuden des Zechers kennenlernen. Aber das wüste Treiben der trunkenen Gesellen, ihre platten Späße, ihre Gedankenlosigkeit. worin ihnen „kannibalisch wohl" ist "als wie 500 Sauen" ekeln Faust an.
Was Mephisto jetzt zu bieten hat, ist sinnliche Liebe: Gretchen-Tragödie. In der „Hexenküche", wo es unter Geschrei von Meerkatzen toll hergeht und wo „Junker Satan" (Mephisto) sich erst Respekt verschaffen muss, sieht Faust in einem Spiegel das himmlische Bild eines Weibes, für das er sofort leidenschaftlich entflammt ist. Die Hexe muss ihm einen Verjüngungstrank reichen. Durch diesen Trank von Sinnlichkeit durchglüht, wird er, wie Mephisto prophezeit, bald „Helenen in jedem Weibe" sehen.
(Es folgt die eigentliche Gretchen-Tragödie. Diese ist das entscheidende Beispiel dafür, wie Mephistos Absicht durch Gegenkräfte durchkreuzt wird selbst da, wo er Faust in seine eigenste Domäne, die rohe Sinnlichkeit, treiben will. In Gretchen tritt die Gegenspielerin gegen Mephisto um Fausts Heil in das Ringen ein. Sie ist das schützende Prinzip der „Liebe", das der Herr im „Prolog" verhieß. Sie beginnt Fausts Rettung in der irdischen Handlung und vollendet sie in der überirdischen. Die Verstrickung in grobe Sinnlichkeit zieht Faust nicht in den Staub hinab; wohl verführt er das Mädchen und bringt es ins Elend, doch seine besseren Triebe werden durch dieses Erlebnis nicht abgestumpft, sondern geweckt. Der Schluss der Gretchen-Tragödie weist auf den Abschluss der Dichtung und Gretchens Rolle darin. Für ihr Vergehen, das Schicksal und Schuld war, „ein guter Wahn", übergibt sich das Mädchen dem Schwert des Henkers; bis zum Ende geht sie den Weg, wie ihr Gefühl, ihr dunkler Trieb es ihr vorschreibt; sie kommt zuerst hinüber ins höhere Dasein. Von dort; wird sie liebend Fausts unermüdlichem Streben zu Hilfe kommen; sein Streben und ihre Liebe werden ihn retten. Der Schluss des 1. Teiles ist der entscheidende Markstein auf dem Weg, der im Prolog vorgezeichnet wurde.
An Gretchen, einem einfachen, schlicht-natürlichen Bürgermädchen von reiner Schönheit soll sich Fausts Liebessehnen tragisch erfüllen. Er begegnet ihr auf dem Heimweg von der Beichte und spricht sie sofort in stürmischer Werbung an. Mephisto hatte in der Hexenküche Faust für die sinnlichen Strudel der Walpurgisnacht entzünden wollen; dass Gretchen das Opfer sein werde, war nicht sein Plan. Drum zögert er nun und macht Schwierigkeiten. Dann aber ist er sofort bereit, Geschmeide herbeizuschaffen, mit dem Gretchen betört werden soll. Faust wird von Mephisto in Gretchens Zimmer gefürt. Gretchen freut sich kindlich an dem herrlichen Schmuck. Durch Wesen und Umwelt des reinen Mädchens wird Fausts Sinnlichkeit zurückgedrängt; er fühlt sich durch seine Liebe zu Gretchen seelisch geläutert und gehoben. Aber vergeblich kämpft das Edle in ihn gegen die von Mephisto durch Spott über seine Gewissensbedenken geschürte Leidenschaft an. In vollem Bewusstsein des Unrechts und der Tragik verachtet er die reine Liebe und verlangt sinnliche Liebe. Im Garten der Nachbarin Marthe Schwerdtlein treffen sich Faust und Gretchen wieder. Faust bittet um Verzeihung für seine freche Annäherung. Es kommt zum ersten Liebesgeständnis von Seiten des Mädchens. Wiederum erwacht in Faust sein besseres ich. Verzweifelt sucht er sich von Mephisto zu lösen (Szene „Wald und. Höhle") und Gretchen nicht ins Unglück zu stürzen Aber Mephistos Hohn und Zynismus und sein Appell an Fausts Mitleid mit Gretchens Liebesgram brechen seinen Widerstand. Auch Gretchen spürt den Sturm der Leidenschaft. (In Marthens Garten:) Mit ahnendem Instinkt sieht sie in Mephisto den „bösen Geist", der zwischen ihr und ihrer Liebe steht. Sie sucht einen Schutzwall zu errichten, indem sie sich versichert, dass der Geliebte, um dessen Seelenheil ihr gläubiges Gemüt bangt, ihr im Heiligsten, in der Religion, nicht fremd ist. Sie entlockt ihm das (pantheistische) „Glaubensbekenntnis", das zwar nicht christlich, aber doch auf seine Weise religiös-fromm ist. Sie lässt sich beruhigen. Auf Fausts Rat reicht sie ihrer Mutter einen Schlaftrunk, an der diese stirbt. Faust zerstört Gretchens Lebensglück durch die Sünde. (Der innerste Grund der Leidenschaft gewährt nicht Erfüllung, sondern Verwüstung.) Der Teufel triumphiert über beide. (Höhepunkt der Gretchen-Tragödie.)
Gretchen, die ein Kind unter dem Herzen trägt, wird von tiefstem Schuldbewusstsein, Verzweiflung und Herzensangst gepeinigt (Peripetie) und betet vor dem Bild der Mater dolorosa („ich neige, Du Schmerzensreiche, Dein Antlitz gnädig meiner Not!") Valentin, Gretchens Bruder, ein tapferer Soldat, hat erfahren, was sich mit Gretchen abgespielt hat und ist entrüstet über den zerstörten Ruf der Schwester. Er stellt Faust zum Zweikampf, bei dem Valentin fällt, da Mephisto seine Hand erlahmen ließ. Sterbend flucht er seiner Schwester. Gretchen aber gerät im Dom, wo der Gesang des „Dies irae" wieder ihre Gewissenspein weckt, über ihre Sünde, den Tod der Mutter, die Ermordung des Bruders in Verzweiflung und Ohnmacht. Weil der Totschlag an Gretchens Bruder in Faust das Gewissen geweckt und erst recht ans Mädchen gebunden hat, sucht Mephisto seine moralischen Vorsätze zu durchkreuzen, sein Schuldgefühl zu betäuben und ihn endgültig auf seiner Bahn zu halten; er lässt ihn eintauchen in die gemeinste Sinnlichkeit beim Hexensabbath der Walpurgisnacht auf dem Blocksberg (Harz). Doch mitten im abstoßenden Treiben erhebt sich vor Fausts schuldbewussten Augen Gretchens Bild und lässt ihn nicht mehr los trotz aller Ablenkungsversuche Mephistos (Dilettantentheater), und er zwingt Mephisto, mit ihm zurückzukehren. Auf der Rückkehr erfährt er von Mephisto, dass Gretchen das Kind, das sie zur Welt brachte, ertränkte und als Kindsmörderin eingekerkert ist und am nächsten Tag hingerichtet werden soll. Da erwacht wiederum Fausts besseres Ich zur Verantwortung, Liebe, Hilfsbereitschaft. Er flucht dem Verführer Mephisto und droht, den Bund mit ihm. zu lösen, worüber Mephisto nur höhnt, und zwingt den widerstrebenden Mephisto, ihn in den Kerker zu führen, um Gretchen zu befreien. Faust findet die Geliebte im. Kerker, die Sinne umnachtet. Bei ihrem Anblick packt Faust „der Menschheit ganzer Jammer" an. Doch klar und fest ist sie darin, dass sie ihr Verbrechen mit dem Tode büßen will. Vergeblich versucht Faust, sie aus dem Gefängnis zu retten. In Not stehen sich die beiden gegenüber: Gretchen kann ihm nicht folgen, Faust sich nicht losreißend (Katastrophe der Gretchen-Tragödie:) Mephisto bringt die Entscheidung. Bei seinem Anblick erwacht Gretchen zu hellem Bewusstsein ihrer Lage und ihres Wertes: Sie lehnt die Rettung aus Mephistos Hand ab und wendet sich schaudernd vom Geliebten, den sie als Genossen des Teufels erkennt. Sie befiehlt sich reuig der Gnade Gottes und sieht dem Tod ohne Furcht entgegen. „Sie ist gerichtet!" ruft Mephisto. Doch aus der Höhe erklingt eine Stimme: „Ist gerettet!" Einen Augenblick stand Faust zwischen den zwei Gestalten, die um seine Seele kämpfen. Dann reißt ihn Mephisto mit sich hinweg („Her zu mir!"). Faust ist den Banden des Bösen erlegen - sein tiefster Fall. Zweimal ruft Gretchen den Geliebten in ihrer Angst um ihn, da sie ihn Mephisto folgen sieht. Ihr Angstruf ist Mahnung, die Faust durchs Leben begleiten wird.
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Bildquelle: Georg Friedrich Kersting "Faust im Studierzimmer" (1829); gemeinfrei, wikipedia

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